Music
November 14, 2014
Bewusstsein in die Köpfe! Philipp Kieser, DJ, Producer + Organisator
Kunigunde Weissenegger
Ein letztes Mal findet es am Freitag, 14.11.2014 ab H 21 im Max in Brixen statt: das Final Collapse Festival – 10. und Final Edition also. Für mich Grund genug, um bei einem der Hauptdrahtzieher, Philipp Kieser, näher nachzufragen. Und eins kann ich euch versprechen, der Typ kann (nicht nur) Sprüche klopfen…
Philipp, wer bist du? Was machst du? Was sind deine Hobbies? Wovon lebst du?
Die Frage “Wer bist du?” um 10:12 morgens zu beantworten ist echt hart. Ich muss hier einfach auf ein Zitat von Raoul Duke (FALILV) verweisen: There he goes. One of God’s own prototypes. A high-powered mutant of some kind never even considered for mass production. Too weird to live, and too rare to die.
Bürgerlicher Steckbrief: Philipp Kieser, Baujahr 86 – Unterlandler aus Mazon. Family Business in der Weinwirtschaft. 2 abgebrochene Studien (Jura, PPE). 2008–2013 Gründer + Gesellschafter einer Marketing-Agentur in Bozen. Seit 2007 Drum&Bass-DJ & -Producer Corax (zur Zeit inaktiv, kommt aber wieder). Seit 2009 Records Label Besitzer: Culture Assault Records. Tolle Freundin : D
Im Augenblick arbeite ich an verschiedenen Projekten, die sich mit digitaler Kunst, Musik und lokaler Kulturförderung auseinandersetzen. Eines davon läuft unter dem Arbeitstitel 2050 und wird demnächst lanciert. Es geht hier um eine alternative Form von Musikvermarktung unter Anwendung von digitaler Kunst und Storytelling. Ich suche übrigens noch Investoren ; )
Ein weiteres Projekt ist die Gründung eines die Südtiroler Underground-Kultur überspannendes Netzwerk inklusive angekoppeltem Unternehmen. Daneben schmeisse ich noch ein paar Events für Culture Assault, Final Collapse, minimal isch kriminal und einige kleinere Sachelen für das Point in Neumarkt. Es gibt da noch das Projekt “Local Cult”, das junge Südtiroler Musikproduzenten fördert und veröffentlicht bzw. als Booking Agency fungiert. Und natürlich das Motherlabel Culture Assault Records, das heuer sein 5jähriges Jubiläum feiert. Summa summarum, ich bin eigentlich durchwegs beschäftigt, davon zu leben ist in einem Kontext wie Südtirol bis lang noch relativ schwierig, aber genau das wollen wir ja ändern : – )
Ansonsten bin ich einfach gern “draussen in den Reben” oder im Wald unterwegs. Das beruhigt, gibt Halt und ist Quelle für Inspiration. Ich versuche auch jedes Jahr nach Schottland zu reisen, früher familienbedingt, jetzt aus Sehnsucht nach Einsamkeit. Ach ja, dann koche ich auch noch gerne Fisch. Am liebsten selbst gefangen. Whiskey, Wein und Schokolade sind meine Hobbies : – )
Final Collapse Fest Vol.8 – Photo by Clemens Bittner
Ich höre: am 14.11. das finale Final Collapse. Ihr gebt auf? Was ist da los?
In Zeiten der Hypervermarktung von Events hin bis zur Selbstzerstörung der Marke, muss man auch mal Stopp sagen können. Patze (Faller) und ich haben uns einfach gedacht, wir lassen das ganze mal sein, wenn es am Schönsten ist. Es war eher eine Impulsentscheidung – so wie auch das erste Final Collapse, damals an einem Mittwoch. Patze meinte, er würde ein paar Bands am Mittwoch im Club Max spielen lassen, ich bot ihm an die Aftershow mit Drum&Bass zu machen. Er sagte, ja why not? Und Final Collapse ward geboren : D
Jetzt nach 10 Editionen und mehr als 10.000 Besuchern haben wir eigentlich erreicht, was wir wollten: Grenzen niederreissen, Vorurteile abbauen und harte Underground-Musik in die Clubs bringen. Die Kombo Metal/Hardcore/Punk und Drum&Bass auf einem Club-Event hat es in dieser Art laut unseren Recherchen europaweit vor uns noch in keinem Club gegeben. Da prellen Welten (Szenen) aufeinander, die zwar oberflächlich betrachtet total gegensätzlich wirken, es im Grunde aber nicht sind. Das wollten wir beweisen. Wir haben erst letzte Woche erfahren, dass sie nun auch in Portugal und Belgien diese Idee umsetzen. Einfach nur geil!
Was kommt nach?
Das Leben ist wie eine Klospülung. Es kommt immer irgendwas nach. Mal schauen worauf wir Bock haben. Vielleicht Schlagercore-Events?! : D Aber die letze Edition des FC sollte man auf keinem Fall verpassen, denn die hat es in sich: 4 internationale Band-Headliner und 4 internationale Drum&Bass-Headliner inklusive Weltpremiere der Live-Drum&Bass-Band Corrupted Minds.
Stichwort Culture Assault Records: Was ist das? Wer steckt dahinter?
Culture Assault Records ist ein Indielabel (unabhängige Plattenfirma) für elektronische Musik der härteren Gangart, im Speziellen Drum&Bass. Wir haben aber auch lange Zeit Dubstep und IDM released, um unserem Credo “no boundaries – keine Grenzen” gerecht zu werden. Zurzeit veröffentlichen wir Tracks digital und weltweit, z. B. auf Beatport oder iTunes über einen Distributor in Holland. Die Zentrale liegt aber nach wie vor in Südtirol. Gegründet haben mein guter Kamerad, der Hans Rabe, und meine Wenigkeit das Ganze schon 2007 im lokalen Rahmen als Netzwerk, um Drum&Bass südtirolweit bekannter zu machen, haben aber bald gemerkt, dass wir unser Heil im Ausland suchen müssen, da es hierzulande einfach zu wenig Publikum gab. Daraus entstand dann die Idee zur Plattenfirma. Wir haben begonnen talentierte unbekannte Künstler aus aller Herren Ländern unter Vertrag zu nehmen und digitale Alben, EPs und Singles zu veröffentlichen. Wie versucht ihr das Volk in Südtiroler Berg und Tal aufzumischen? Gelingt es auch?
Nach dem internationalen Durchbruch sind auch die hiesigen Medien und Menschen auf uns aufmerksam geworden, besonders Headliner (Freitag-Spezial in der Südtiroler Tageszeitung) und Radio Freier Fall im Radio Rai Südtirol haben uns von “klein auf” immer sehr stark supportet. Durch unermüdliches Marketing auf der Strasse mit Stickers, T-Shirts, CDs und Podcasts sowie einer qualitativen Präsenz im Internet kennen uns die Leute nun etwas besser. Vor allem die Brand – der weiße Korinther Helm mit dem Sägeblatt – ist vielen schon irgendwo begegnet. Außerdem haben wir schon sehr früh damit begonnen jungen Musikproduzenten und Nachwuchs-DJs eine Plattform zu bieten, sie zu fördern und aufzubauen. Viele sind heute gerade mal 20 und gelten schon als Veteranen im Geschäft und spielen auch schon im Ausland.
Mittlerweile sind wir im 5. Tätigkeitsjahr angelangt und feiern nach mehr als 50 Releases am 23.12.2014 in der Halle28 in Bozen die 3. Label Night mit großen Acts aus Holland, Italien, Österreich und Polen. Wir können nun endlich auch in Südtirol Events mit internationalem Line-up schmeissen, die Leute sind bereit dafür und wir schaffen es zumindest kostendeckend zu arbeiten. Wenn man bedenkt, dass es in ganz Italien und Österreich mit ihren Millionenstädten Rom, Mailand und Wien vielleicht zusammen ein halbes Dutzend Anbieter auf diesem Gebiet gibt, die pro Event 800+ Eintritte verzeichnen, dann hat sich in Südtirol in den letzten Jahren schon was entwickelt. Und das gilt auch für andere Genres in der lokalen Szene!
Was fehlt denn in Südtirols Kultur- und Jugendszene? Sind wir zu verwöhnt, zu brav….?
Ich habe da meine ganz persönliche Vision wie sich die junge Kultur entwickeln könnte, auch wirtschaftlich interessant werden kann, um Braindrain vorzubeugen und soziale Wertschöpfung zu generieren. Zuerst müssen wir aber ein Grundproblem lösen. Wenn man mich fragt, was fehlt denn in Südtirols Kultur- und Jugendszene, dann antworte ich: Das Bewusstsein. Und zwar das Bewusstsein für diese Art von Kultur in der breiten Bevölkerung. Nicht die Strukturen, nicht die Förderungen, nicht die Möglichkeiten. Nein, ich glaube es ist schlichtweg das Bewusstsein, welchen Stellenwert die junge Kultur mit all ihren Facetten in der Gesellschaft einnimmt. Stellenwert beinhaltet Wert. Die junge Kultur ist wertvoll. Und dieses Bewusstsein muss in die Köpfe der Menschen gelangen. Aufklärungsarbeit ist gefragt! Differenzieren, aufzeigen, überzeugen! Ist das geschafft, können wir uns sicher sein, dass wir alle andere Problematiken lösen.
Es wird zur Zeit ja viel geredet über die junge Kultur und der neue LR Achammer hat sich die Thematik ja von Anfang an auf seine Fahne geschrieben und einige Sachen ins Rollen gebracht. Darüber freue ich mich. Noch mehr freue ich mich wenn dann auch Ergebnisse folgen und wir das Potenzial, das im jungen Südtirol steckt, zu 100% nutzen.
Fotos: Florian Berger / kreatif multimedia
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