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June 12, 2013

Mir sein mir – und – Außerirdische raus. – Woher kommt und wohin weht der Wind, der zur Zeit durch Südtirol bläst?

Kunigunde Weissenegger

Die Vorgeschichte ist bald erzählt und soll hier auch nicht breit getreten werden, weil das schon genug geschehen ist: Anscheinend (ich war nicht selbst zugegen, weiss es aber aus erster Hand von einer Redaktionskollegin) ist in der Nacht von Freitag auf Samstag bei einem Clubbing in der Bozner Industriezone Folgendes passiert: Schlägerei mit vielen Beteiligten, Flaschen sind geflogen, eine Gruppe Menschen mit Migrationshintergrund hat eine junge Frau provoziert, der Bruder ist interveniert, er und sein Freund sind dann zusammengeschlagen worden. Die für die Sicherheit bezahlte Security konnte erst nach einigen (zu langen) Minuten einschreiten. Die Ermittlungen laufen noch, die Täter werden noch gesucht, das Fest ist danach jedenfalls weiter gegangen. Ein ausführlicher Artikel zum Geschehenshergang hier auf salto.bz und hier eine Stellungnahme von Luigi Spagnolli. 

Das ist also am Freitag passiert. Am gestrigen Dienstag ist von einem Südtiroler Medium, das mit den Betroffenen in enger Beziehung steht, folgende Aktion gestartet worden: „Aktion der Tageszeitung Dolomiten ”Stopp der Gewalt in Südtirol”, off- und online begleitet von kommentarträchtigen Texten und Artikeln, animierenden Aufrufen und auch Stellungnahmen von Ordnungshütern, Lokalbesitzern und Gemeindepolitikern.

Aber auch darauf möchte ich hier nicht näher eingehen. In diesem Artikel soll es vielmehr auch darum gehen, zu beleuchten, was die Gefahren einer minimal oder gar nicht recherchierten Berichterstattung sein können, die nur darauf aus ist, Vorurteile und Unsicherheit zu fördern und Meldungen zu verbreiten, ohne sich auf verbindliche Statistiken oder Zahlen zu stützen und reine Beschuldigungen auszusprechen. Nach dem Motto: Feindbilder schüren macht sich immer gut (besonders in Vorwahlzeiten). Fraglich ist auch, was sich der “Journalist” beim Schreiben dieser Zeilen und der verantwortliche Redakteur beim Veröffentlichen derselbigen gedacht haben. Was außerdem bedenklich ist, ist welche Dynamiken die ”Sache” mittlerweile beispielsweise auf Facebook angenommen hat – viele Nutzerinnen und Nutzer haben das Foto der Aktion oder entsprechende Statements geteilt, kommentieren haltlos und rassistisch. 

Wichtig wäre es, lösungsorientiert zu denken und zu handeln, Präventionsprojekte und Integrationsprojekte voranzutreiben, damit es nicht so geht, wie vor gar nicht allzu langer Zeit, als Walsche und Crucchi sich aus ähnlichen Anlässen gegenseitig die Schädel eingeschlagen haben. Differenziertes Betrachten und Benennen sind anzustreben, voreiliges Verurteilen und Stigmatisierung von Gruppen zu vermeiden. Und vergessen wir vor allem in der ganzen Stimmungsmache nicht die Opfer – konzentrieren wir unsere – positive – Energie lieber auf sie. Konzepte müssen nicht nur besprochen, sondern auch umgesetzt werden. 

Ich habe Sonja Cimadom, Bildungsreferentin im Bereich “Miteinander” bei der OEW Organisation für Eine solidarische Welt, erreicht und um eine Stellungnahme gebeten: „In der oew (Organisation für Eine solidarische Welt) glühen mittlerweile Telefon- und Internetkabel aufgrund der zahlreichen Meldungen zu den Artikeln rund um die Kampagne STOPP DER GEWALT der Dolomiten. Wir sind schockiert von der Härte der Kampagne und von der Generalisierung, welche ”die Ausländer“ als Gruppe betrifft. Mit Sorge blicken wir auf das, was die Auswirkungen sein könnten. Wer den multikulturellen Alltag Südtirols sichtbar machen möchte, darf nicht auf einem Auge blind sein. Das Thema Gewalt MUSS diskutiert werden, die Frage ist nur WIE, wenn das Ziel eine gewaltfreie Lösung sein soll. Anstatt Gewalt mit Gewalt zu vergelten. Unsere Organisation arbeitet täglich mit dem Thema ”friedliches Zusammenleben in Südtirol”. Wir leben in einer multikulturellen Gesellschaft, ob uns das passt oder nicht. Die Herausforderung ist es, die schwarzen Schafen, die leider in der Tat existieren, zu isolieren. Und gleichzeitig aber dem großen Rest unserer zweiheimischen MitbürgerInnen ein Sprachrohr zu geben, Gesellschaft gemeinsam aktiv zu gestalten und dem Alltagsrassismus, der in Südtirol allgegenwärtig ist, ein genauso klares STOPP entgegenzusetzen.“

Weil immer wieder von jugendlichen Tätern gesprochen wurde, fragen wir auch einen, der berufsbedingt viel mit Jugendlichen – sowohl ohne als auch mit Migrationshintergrund – zu tun hat: Armin Mutschlechner aus Mühlbach arbeitet als Jugendarbeiter im Jugendtreff Sterzing

Was hältst du von derartigen Aktionen, wie sie die Tageszeitung Dolomiten am gestrigen Dienstag gestartet hat?

Von derlei Schlagzeilen halte ich überhaupt nichts. Denn es geht nur um das Produzieren von Schlagzeilen, um aufgeblasene Artikel mit reißerischem Inhalt, ohne Zahlen und Fakten. Hintergründe werden nicht beleuchtet. Die journalistische Sorgfaltspflicht wird verletzt und die Journalistenkammer sollte ein Machtwort sprechen. (A.d.R.: Hat sie inzwischen getan, hier die Stellungnahme der Journalistenkammer). Es wird stigmatisiert und es grenzt an Volksverhetzung. Was wiederum eine Fall für den Staatsanwalt wäre. Es wird genau das Gegenteil erreicht, da nicht die sachliche Berichterstattung im Vordergrund steht, sondern Vorurteile geschürt und Angsthaltungen Nahrung gegeben wird. Wir die Guten – sie die Bösen. Schwarz-weiss-Malerei pur. Wir, die Opfer von Sozialschmarotzern, ertönt es an der Gasthaustheke. Derartiges ruft starke Emotionen hervor, und bekanntlich prägen uns Emotionen stark. Solcherlei Schlagzeilen und Artikel sind der Nährboden für Fremdenhass. Mich stört in der aktuellen Diskussion, dass über einen Kamm geschert wird und nicht Ross und Reiter genannt werden, da es sich um organisierte Gewalt handeln soll. Darin verwickelt sind aber auch Gruppen aller Sprachgruppen, was auch transportiert werden sollte. In der Diskussion wird vergessen, dass es sich um Kreise handelt, die zu jenen ca. 15 Prozent der Bevölkerung gehören, die ein abweichendes Verhalten an den Tag legen. Das sind Kriminelle (vorbehaltlich der Unschuldsvermutung), und somit sind Schlagzeilen wie „jugendliche Banden“ eine nicht tolerierbare Verallgemeinerung. Was nunmehr ins Rollen gebracht wurde, versucht nicht zu ergründen wo die Ursachen liegen, sondern es wird ein Sündenbock gesucht. Wo die Südtiroler Gesellschaft die Hausaufgaben nicht gemacht hat, wird nicht hinterfragt. Aggressionen gehören zu Menschen und es darf kein Tabuthema sein. Aber: Gewalt ist nie und nimmer zu tolerieren. So wie es dargestellt wird, leiden viele darunter, aber kaum wer traut sich Zivilcourage zu zeigen. Das stimmt mich sehr traurig, denn es hat den Beigeschmack von omertà.

Du hast als Jugendarbeiter in Sterzing unter anderem auch Kontakt mit Jugendlichen mit Migrationshintergrund. Wie ist deine Erfahrung? Mit welchen Problemen kämpfen sie? Ich trau mich fast nicht zu fragen, aber: Wie unterscheiden sich junge Menschen von jungen Menschen?

Kontakt mit jugendlichen Migranten habe ich seit den 90er Jahren. Wenn Kulturen aufeinander treffen, gibt es Reibung. Im Grunde haben alle Jugendlichen dieselben Wünsche, Ängste, Sorgen und Nöte. Wobei bei Migranten das Hin- und Hergerissen-Sein zwischen den Kulturen das Leben nicht einfacher macht. Besonders dann, wenn ein muslimischer Hintergrund gegeben ist. Inzwischen leben in Südtirol Jugendliche mit “Migrationshintergrund”, die in Südtirol geboren sind, aber das Land ihrer Eltern nur von Erzählungen kennen. Von diesen Parolen wie “Scheiß Ausländer” zu hören, klingt paradox, spiegelt aber ein “Heimatbewusstsein” wieder. Kurz: Hier habe ich meine Wurzeln. Meine Erfahrungen haben mir gezeigt, dass – ganz egal welcher Volksgruppe ein Jugendlicher angehört – 90 Prozent der Jugendlichen tolle Menschen sind, denen man Fehlermachen auf dem Weg zum Erwachsenwerden zugestehen soll. Das Bild, das die Erwachsenenwelt von der „ach so schlimmen“ Jugend hat, wird von wenigen Wiederholungstätern gezeichnet. Das selbe gilt auch für Migranten und für alle, die angeblich Banden bilden und eine Blutspur durch Südtirol ziehen. Für keine Volksgruppe ist Gewalt ein typisches Verhalten. Es sind meist dieselben Wiederholungstäter quer durch alle Ethnien aufgeputscht mit Alkohol, die ein deviantes Verhalten an den Tag legen.

Wie arbeitet ihr im Jugendzentrum mit den Jugendlichen verschiedenster Hintergründe? Wo setzt ihr an?

Es wird in der offenen Jugendarbeit kein Unterschied gemacht, woher ein Jugendlicher kommt oder welche Sprache er spricht. Es wird auf kulturelle Unterschiede mit Respekt begegnet, aber die Werthaltungen und Normen sind für alle gleich. Das betrifft auch den Umgang mit Gewalt. Hier mit eingeschlossen ist auch die verbale Gewalt. Dadurch, dass Jugendliche aus einem andern Kulturkreis (z. B. Süditaliener) anders sozialisiert sind, ist das Aufzeigen und Erleben von Grenzen ein Fundament der Arbeit. Hierunter fällt auch das Aufzeigen der eigenen Grenzen des Jugendlichen, denn in anderen Kulturen werden Grenzen von Eltern den eigenen Kindern erst im Volksschulalter auferlegt. Wenn man dieses Hintergrundwissen hat, wird einem erst klar, warum jugendliche Migranten gewisse Handlungsweisen, aber auch Defizite aufweisen.

Hast du Vorschläge für ein lösungsorientiertes Handeln und Denken? Wo siehst du auch Gefahren für deine Arbeit? Was wäre von Seiten der Öffentlichkeit, der Politik und vielleicht auch der Medien oder anderer Institutionen notwendig? 

Patentrezept habe ich natürlich keines. Nur so viel. Der Terminus INTEGRATION in Zusammenhang mit Südtirol ist ein Unwort. Wir als Südtiroler Gesellschaft bauen auf die Trennung der Sprachgruppen auf. In einem Land, das sein Fundament auf Trennung der Ethnien gebaut hat, sollte so ein Wort aus dem Sprachschatz gestrichen werden. Die Jugendlichen sind das Spiegelbild der Erwachsenen, und so treffe ich oft auf Jugendliche mit vorgefertigten Mustern im Kopf. Auch was die Sprachkompetenz der Jugend angeht, hat das Vorzeigemodell Südtirol versagt. Südtirol sollte das Autonomiestatut schleunigst (z. B. den Artikel 19) ändern, denn mit Trennung tut Südtirol seinen Kindern keinen gefallen – im Gegenteil, auch wenn ich beispielsweise an Kinder von Migranten denke, die fünf Sprachen beherrschen. Die Gesellschaft ist aber wesentlich weiter und reifer, als es ihr die Politik zutraut. Ich habe wenig Hoffnung, dass sich in absehbarer Zeit diesbezüglich etwas ändert, denn es geht um die Erhaltung von Machtstrukturen, ergo um das Verteilen von öffentlichen Geldern, was Wählerstimmen impliziert. Und um beim Thema zu bleiben, dies ist institutionelle Gewalt. Aber das ist eine andere Baustelle.

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