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November 13, 2024

„Es gibt keinen vorgefertigten Weg“ – die Designerin Stephanie Höcker

Susanne Barta

Stephanie Höcker hat lange gefeilt an ihrer ersten Kollektion. Jetzt ist sie da, das Label heißt intuism.crafts und hat auch schon einen Preis bekommen. Aber nicht nur die Kleidungsstücke wurden prämiert, sondern auch das, was Stephanie in den letzten Jahren gemeinsam mit ihrem Partner Schritt für Schritt rund herum aufgebaut hat: einen eigenen Flachsanbau, ein kleines Museum, das den Weg von der Pflanze zum fertigen Stoff anschaulich dokumentiert, Workshops, die Interessierten näherbringen, wie unsere Kleidung hergestellt wird. Stephanie ist Designerin und hat einige Jahre in der Modeindustrie gearbeitet, zuletzt bei Adidas. Heute lebt sie auf dem Bio-Bauernhof der Familie ihres Mannes in Patsch bei Innsbruck.intuism.crafts _2-3 © Philipp Huber-Susanne Bartaintuism.crafts ist ein Label, das Mode und Landwirtschaft zusammenbringt. Die Lieferkette der Stücke ist nachvollziehbar und transparent, das geht so weit, dass Stephanie offenlegt, wo die Pflanzen für einen bestimmten Stoff gewachsen sind, wo das Garn versponnen wurde. „Idealerweise ist es bio, idealerweise Europa, weil mir möglichst kurze Wege wichtig sind“, erzählt sie. Ich wusste zum Beispiel nicht, dass 80 % des Flaches in China versponnen wird und dann wieder zurück nach Europa kommt. „Nicht jeder Stoff kann komplett aus Europa sein“, sagt sie, „Ehrlichkeit und Transparenz sind da sehr wichtig“. Der Faden am Hang Tag ihrer Stücke ist bereits vom eigenen Feld, noch ist es jedoch nicht möglich von Hand die Qualität und Menge zu erreichen, die sie für ihre Kollektionen braucht.

Stephanie war im April dieses Jahres auch zu Gast als Referentin bei Fashion For Future, wo sie vor allem über ihre Erfahrung als Designerin und ihr Anliegen, Konsument*innen zu sensibilisieren wie unsere Mode hergestellt wird, gesprochen hat. Der Vivienne Preis für ökologische Textilien, den sie vor kurzem bekommen hat, wird von der gemeinnützigen österreichischen Bundesstiftung COMÚN und dem Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie vergeben. In der Begründung heißt es: „intuism.crafts bietet eine einzigartige Kombination aus nachhaltiger Mode und praktischen Bildungsangeboten. Durch lokale Produktion, transparente Prozesse und Engagement für Nachhaltigkeit schafft sie eine Marke, die sowohl die Bedürfnisse der Verbraucher als auch die Anforderungen des Planeten erfüllt. Dabei setzt sie auf vollständige Transparenz in der Lieferkette – von der Rohstoffbeschaffung bis zum fertigen Produkt.“ Ich habe Stephanie vor kurzem in Patsch besucht, mir das kleine, feine Museum und ihre erste Kollektion angeschaut und mit ihr über ihre Arbeit gesprochen.intuism.crafts _4 © philippphotoStephanie, was hat dich dazu veranlasst, der konventionellen Modeindustrie den Rücken zu kehren?

Ich hatte eine sehr gute Position bei Adidas, trotzdem habe ich immer wieder versucht, Dinge anders zu machen und den Status quo in der Firma zu hinterfragen. Ich konnte auch an nachhaltigen Projekten arbeiten, aber mir war klar, dass es doch vor allem um Kommerz geht. Es ist viel Angst da, in einer großen Firma schlechte Presse zu bekommen, daher wird meiner Meinung nach viel zu vorsichtig mit dem Thema umgegangen. Abgesehen davon, habe ich gemerkt, dass viele Projekte eigentlich gar nicht so nachhaltig waren, wie vorgegeben, angefangen bei recyceltem Plastik … Sportswear-Firmen produzieren zum größten Teil Kleidung aus Plastik, und werben dafür, es zu recyclen. Für mich ist es jedoch so, dass man versuchen sollte, es nicht mehr zu produzieren. Es sollte mehr Mode geben, die plastikfrei hergestellt wird, denn sonst bringt man immer wieder Materialien auf den Markt, die ewig lang nicht abbaubar und schwierig zu recyclen sind. Mir war aber auch klar, dass ich mich früher oder später selbstständig machen möchte.intuism.crafts _5-6 © susanne bartaAm Hof der Familie deines Mannes baut ihr Flachs an, habt ein Flachs-Museum eingerichtet, veranstaltet Workshops und vor kurzem hast du deine erste Kollektion gelauncht …

Mir ist wichtig, dass die Leute verstehen, dass ein Kleidungsstück nicht nur aus einem Oberstoff und gegebenenfalls einem Materialmix besteht, sondern mindestens 5–10 Komponenten hat, die da drinstecken. Deswegen lege ich meine Lieferkette offen und zeige alle „Zutaten“. Mir ist aber auch wichtig, zu zeigen, dass ein Leben am Bauernhof, Mutter zu sein – wir haben einen kleinen Sohn – und Unternehmerin zu sein, zusammengehen kann. Es gibt keinen vorgefertigten Weg, man muss einfach machen. Jeder Status quo kann hinterfragt werden.

Im Museum lässt sich sehr gut nachvollziehen, wie viele Schritte es bis zum fertigen Stoff braucht …

Ich glaube, den wenigsten ist klar, wie viele Produktionsschritte hinter einem fertigen Kleidungsstück stehen. Das Interesse ist jedoch groß, mehr zu erfahren. Wir zeigen in den Workshops, dass es bei einer Pflanze anfängt und wie die Faser aus diesen herangewachsenen Stängeln hervorbricht. Das fasziniert die Teilnehmer und ändert bei manchen sogar das grundlegende Verständnis von „Nachhaltigkeit“.intuism.crafts _7-8 @ susanne bartaDas Feedback auf deine Initiativen ist also gut?

Es ist noch überraschender, als ich dachte. Die Leute sind sehr inspiriert, viele fangen auch selbst an etwas auszuprobieren. Es scheint zu gelingen, nicht nur die Sicht, sondern auch ein klein wenig das Leben einiger Menschen zu verändern. Viele möchten auch wissen, wie sich der Preis eines Stückes zusammensetzt, da entstehen interessante Dialoge. 

Du hast dir viel Zeit für deine erste Kollektion genommen. Jetzt ist sie da.

Ich habe bewusst ein ganzes Outfit entwickelt, es besteht aus Hose, Hemd und Jacke. Die Jacke ist aus Schafwolle, Hose und Hemd aus Leinen. Die Hose ist sehr größenvariabel, sie wird an der Taille geschoppt, für das Hemd wurde ein klassischer Herrenschnitt für Damen adaptiert, ich beziehe mich explizit auf Workwear, weil mir Handwerk und Landwirtschaft wichtig sind. Die Jacke soll so edel wie möglich aussehen, mit modernem Twist, sie ist großzügig geschnitten mit weitem Halsausschnitt. Die Häkchen, die ich verwende, source ich Vintage in Frankreich, die Knöpfe kommen aus dem Nachlass einer nicht mehr aktiven Fabrik am Chiemsee.intuism.crafts _9 © LiebentrittDu hast vor kurzem einen Preis bekommen für deine Kollektion und das, was du rundherum aufgebaut hast …

Besonders gut gefällt mir, dass der Preis das komplette Konzept gelobt hat und kein reiner Modepreis ist. Es ist wichtig, dass die Mode immer mehr auch in Richtung Bewusstsein für Klima, Umwelt etc. geht und nicht nur in der High Fashion Bubble bleibt. 

Welche Pläne hast du als Designerin?

In Zukunft soll es ein On-Demand-Modell geben, denn weitere Styles folgen. Auf der Pinnwand im Arbeitszimmer hängen meine Recherchen, wo ich neue Modelle und Accessoires entwickle. Bei mir geht alles vom Material aus, ich unterhalte mich mit lokalen Produzenten von Stoffen, schaue, welches Material ich bekommen kann und was daraus entstehen könnte. Ich „wear-teste“ bestimmte Materialien dann auch, zum Beispiel gerade eine Hose und ein Top aus dünnem Wollstoff.intuism.crafts _10-11 © susanne bartaDu hast mit eigenen Augen gesehen, wie die Industrie arbeitet, auch welche Bemühungen es gibt, sie besser zu machen. Geht’s in die richtige Richtung? Wie schätzt du das heute ein?

Gerade bei großen Firmen macht mich manchmal sauer, wie oberflächlich das Thema Nachhaltigkeit gehandhabt wird. Es ist ein Tropfen auf den heißen Stein und schon das wird bei vielen eher als Zwang aufgefasst, weil Konsument*innen halt danach fragen. Generell sehe ich aber, dass sich etwas bewegt. Trotzdem manches wohl Greenwashing ist, ist es unter dem Strich doch positiv, weil das Thema nun viel öfter angesprochen und dadurch größer wird.  

Stephanies Stücke sind schlicht und edel, die Jacke habe ich probiert. Fühlt sich nicht nur sehr gut an, sondern sitzt auch richtig toll. Hier geht’s zum Webshop.

Fotos: (1, 4) © Philipp Photo; (2) ©Philipp Huber; (9) © Vienne Preis/Liebentritt; (3, 5–8, 10, 11) © Susanne Barta

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