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October 18, 2024
Im Skulpturendschungel von Neda Saeedi: „In Fire Yet We Trust“ im TaxisPalais
Andreas Heiler
Man betritt eine faszinierende Welt aus Licht und Farbe, Materialien und Formen, Illusion und Realität in der aktuellen Ausstellung In Fire Yet We Trust von Neda Saeedi im TaxisPalais Kunsthalle Tirol in Innsbruck. Massive Metallstrukturen, filigrane Glasarbeiten und verschlungene industrielle Rohre formen komplexe Skulpturen; kaleidoskopartige Projektionen tanzen über die Oberflächen und verändern den Raum mit jedem Schritt. Schwebende Glaselemente, die wie durchsichtige Inseln im Raum verteilt sind, wurden leicht und präzise platziert. Es ist ein Füllhorn an Eindrücken – und doch wirkt alles harmonisch zusammen, niemals zu viel.
Geboren im Iran und heute in Berlin ansässig, greift Neda Saeedi gesellschaftliche Strukturen und historische Kontexte auf, insbesondere die komplexen Beziehungen zwischen Erinnerung und Vergessen. Dabei reflektiert sie über die fließende und transformative Natur von Identität und wie unsere sozialen Umfelder unsere Selbstwahrnehmung und unser Verständnis der Welt prägen. Mit einer klaren künstlerischen Sprache und der sensiblen Wahl ihrer Materialien schafft die Künstlerin Werke, die sich mit der Zerbrechlichkeit von Machtverhältnissen auseinandersetzen und gleichzeitig Raum für Reflexion und Dialog eröffnen. Glas symbolisiert dabei sowohl Verletzlichkeit als auch Resilienz, während Stahl die Schwere unterdrückender Strukturen verkörpert. Auf einer Metaebene erschaffen Licht und Reflexionen eine transzendierende Realität auf der Oberfläche der Materialien selbst.
Die Ausstellung ist nicht nur eine Ansammlung von Objekten, ein Skulpturendschungel, sondern ein narratives Geflecht, das die Besucher*innen auf unterschiedlichen Ebenen anspricht – visuell, körperlich und intellektuell. Neda Saeedis Fähigkeit, den Raum zu verwandeln, schafft eine Atmosphäre, die sowohl zum Innehalten als auch zum Weiterdenken anregt. Ihre Kunst fordert uns auf, die eigenen Wahrnehmungen zu hinterfragen und die fluiden Grenzen von Identität und Realität zu erkunden. Die Ausstellung läuft bis zum 17. November 2024.Hallo Neda, wo bist du gerade und was beschäftigt dich derzeit am meisten?
Ich bin gerade in meinem Studio in Berlin. In letzter Zeit denke ich viel über die Verbindungen zwischen Erinnerung und Materialität nach – darüber, wie die Objekte, denen wir begegnen, ihre eigenen Geschichten tragen und wie sie unsere vergangenen Erfahrungen hervorrufen können.
In deiner aktuellen Ausstellung „In Fire Yet We Trust“ im TaxisPalais präsentierst du großformatige Skulpturen und Installationen. Wie ist diese Ausstellung entstanden und was können die Besucher*innen erwarten?
Diese Ausstellung ist das Ergebnis einer langen Kollaboration und vieler Gespräche mit der Kuratorin der Ausstellung Nina Tabassomi im Rahmen meiner fortlaufenden Erforschung kultureller Landschaften und der Geschichten, die sie bergen. Sie ist ein Dialog zwischen einigen älteren Werken und zwei neuen, die ich speziell für die Ausstellung geschaffen habe. Der Titel selbst – In Fire Yet We Trust – fasst die Spannung zwischen Hoffnung und Verzweiflung zusammen. Die Besucher*innen können eine Erfahrung erwarten, bei der jedes Stück zur Reflexion über Vergangenheit und Gegenwart einlädt. Die Ausstellung fordert die Betrachter*innen heraus, darüber nachzudenken, wie wir mit Stabilität und Fragilität umgehen und wie diese Konzepte unser Verständnis von Identität und Ort beeinflussen.
Könntest du uns eines der Werke oder Skulpturen vorstellen und den Leser*innen einen eindringlichen Einblick in die Ausstellung geben?
Eines der zentralen Werke der Ausstellung ist The Monument of Oblivion, eine Skulptur, die sich mit der komplexen Beziehung auseinandersetzt, die wir zu Denkmälern sowie zum Erinnern und Vergessen haben. Dieses Werk stellt grundlegende Fragen: Für wen wurden Denkmäler errichtet, und wie gehen wir mit den Figuren und Geschichten um, die übersehen oder ausgelöscht wurden? The Monument of Oblivion bringt diese vergessenen Erzählungen an die Oberfläche, während Trümmer innerhalb der Struktur unaufhörlich rasseln, seufzen und kreisen. Die Skulptur ist ein Paradox – sowohl ein Denkmal als auch ein Anti-Denkmal – und lädt die Betrachter*innen ein, über die selektive Natur der historischen Erinnerung nachzudenken.
Der lateinische Ursprung des Wortes Monument kommt von monere, was erinnern oder warnen bedeutet, aber es ist auch die Wurzel des Wortes Monster. Das Werk fordert uns auf, darüber nachzudenken, was wir in Erinnerung behalten und was wir lieber vergessen, wer diese Entscheidungen trifft und zu welchem Preis. Die Installation wird lauter, wenn Trümmer durch eine vibrierende Rutsche zirkulieren und die Spannung erhöhen – wie lange können wir das Gewicht der Vergangenheit zurückhalten? Das Werk dient als kraftvolle Erinnerung an die Gefahren des Vergessens und fordert uns auf, uns sowohl unserer Gegenwart als auch unserer Vergangenheit zu stellen.Deine Arbeit beinhaltet oft fragile Materialien wie Glas. Welche symbolische Bedeutung hat diese Fragilität in deinen Werken und wie spiegelt sie die Verletzlichkeit der Themen wider, die du erforschst?
Glas repräsentiert in meiner Arbeit sowohl Verletzlichkeit als auch Widerstandsfähigkeit. Seine Fragilität spiegelt das empfindliche Gleichgewicht unserer Geschichten und Identitäten wider und suggeriert, dass unsere Vergangenheit zwar leicht zerbrochen werden kann, aber auch das Potenzial für Schönheit und Transformation birgt. Die Art und Weise, wie Licht mit Glas interagiert, erzeugt ein dynamisches Zusammenspiel von Reflexionen und Schatten, das die Komplexität menschlicher Erfahrungen symbolisiert. In diesem Sinn wird Fragilität zu einer kraftvollen Linse, durch die ich die vergängliche Natur der Existenz erforsche.
Aber in der Ausstellung finden wir auch harte Materialien wie Stahl. Symbolisiert das die dunkle Geschichte wie die koloniale Vergangenheit Europas?
Absolut. Der Einsatz von Stahl in meiner Arbeit dient als Erinnerung an das Gewicht der unterdrückenden Strukturen, die unsere Gesellschaften formen. Er steht in starkem Kontrast zum Glas und schafft einen Dialog über Stärke und Verletzlichkeit. Zusammen verkörpern diese Materialien die Spannung zwischen Zerstörung und Erneuerung und drängen die Betrachter*innen dazu, sich mit den Komplexitäten unserer kollektiven Geschichte auseinanderzusetzen.
Was ist mit Licht und Reflexionen, was symbolisieren sie?
Licht und Reflexion in meinen Installationen dienen als Metaphern für Wahrnehmung und Bewusstsein. Sie laden die Besucher*innen ein, sich aus verschiedenen Blickwinkeln mit dem Werk zu beschäftigen und persönliche Interpretationen zu fördern, die sich je nach Standpunkt ändern. Das Spiel mit dem Licht unterstreicht die vergängliche Natur der Wahrnehmung; genauso wie sich Reflexionen verändern und verschwinden, kann sich unser Verständnis dessen, was wir sehen, weiterentwickeln. Diese dynamische Interaktion lenkt die Aufmerksamkeit auf die Fluidität der Erfahrung und darauf, wie unsere Perspektiven ständig von dem geformt werden, was beleuchtet oder im Schatten gelassen wird.Was ist deine Verbindung zur Topografie der Berge? Hast du persönliche Bindungen zur Natur oder zu den Bergen?
Berge haben für mich eine große Bedeutung, sowohl als Inspirationsquelle als auch als Symbol für Ausdauer. Aufgewachsen in Teheran waren die Berglandschaften der Hintergrund meiner Kindheit und haben mein Verständnis von der Kraft und Schönheit der Natur tief beeinflusst. Sie repräsentieren Stabilität und Stärke, aber auch die Herausforderungen, in komplexen Terrains zu navigieren – sowohl physisch als auch metaphorisch.
Wie beeinflussen deine Wurzeln im Iran und dein Leben in Berlin deine künstlerische Praxis? Welche Rolle spielen diese kulturellen Kontexte in deiner Arbeit?
Das Aufwachsen in Teheran während Zeiten des Wandels hat mir ein Gefühl der Dringlichkeit und ein Bewusstsein für die Dynamik von Macht und Identität vermittelt. Berlin, mit seiner vielschichtigen Geschichte und dem offenen Dialog über die Vergangenheit, ermöglicht es mir, diese Themen in einem anderen kulturellen Kontext zu erkunden. Beide Städte prägen mein Verständnis von Entfremdung, Zugehörigkeit und der fortwährenden Suche nach Sinn in einer von Fragmentierung geprägten Welt.
Deine Werke sprechen oft gesellschaftliche Themen an. Gibt es auch persönliche Fragen der Identität, die du erforschst, insbesondere in Bezug auf junge Identitäten?
Ich denke, es hängt davon ab, wie wir Identität definieren, wobei ich glaube, dass die Definition von Identität von Natur aus fließend und transformativ ist. Unsere sozialen Umfelder beeinflussen maßgeblich, wie wir uns selbst und die Welt um uns herum wahrnehmen. Gewiss werden bestimmte Erfahrungen die Art und Weise formen, wie man sich selbst versteht. Ich reflektiere oft über die Herausforderungen und Komplexitäten, denen jüngere Individuen gegenüberstehen, besonders im Kontext von kultureller Verschiebung und gesellschaftlichen Erwartungen. Ich versuche, diese Kämpfe zu beleuchten und Räume für Dialoge über Zugehörigkeit, Resilienz und die facettenreiche Natur der Identität zu schaffen.
Abschließend, könntest du einen typischen Arbeitstag beschreiben? Hast du Routinen oder Rituale, die dir beim Arbeiten an deinen Werken helfen?
Ich widme viel Zeit dem Nachdenken über meine Forschung und Ideen, lasse meine Gedanken frei fließen, ohne den Druck einer sofortigen Produktion. Ich glaube, dass Momente der Stille und sogar der Langeweile wichtig sind. Wenn ich in die praktische Phase übergehe, tauche ich tief in die Materialien ein, experimentiere und entdecke ihre einzigartigen Eigenschaften.
Ich bemühe mich, jeden Tag in mein Studio zu gehen, diese Routine bringt Disziplin in meine Praxis. Mein kreativer Prozess beinhaltet oft zielloses Umherwandern und das Anstarren der weißen Wände in meinem Studio, wodurch mein Geist abschweifen kann, um Lösungen und Inspiration zu finden.
Picture credits:
(1) Neda Saeedi, Monument of Oblivion, 2024, Debris chute, dimensions variable, 8-channel sound, 10 min. (loop), Sound design: Azin Feizabadi, Commissioned by TAXISPALAIS Kunsthalle Tirol for NEDA SAEEDI in fire yet we trust, Courtesy the artist, Photo: Günter Kresser.
(2) Neda Saeedi, photo© Ela Bialkowska OKNO studio.
(3) Neda Saeedi, Two Shades of Green, 2021, Room installation, mixed media, dimensions variable, Supported by Staatliche Kunsthalle Baden-Baden, Courtesy the artist, NEDA SAEEDI in fire yet we trust, exhibition view, TAXISPALAIS Kunsthalle Tirol, 2024. Photo: Günter Kresser.
(4) Neda Saeedi, Only Birds Who Fly The Highest Can Shatter The Windows, 2022, Stained glass altarpiece, dimensions variable, Special thanks to Pejman Foundation/Carolyn Tso, Courtesy the artist, NEDA SAEEDI in fire yet we trust, exhibition view, TAXISPALAIS Kunsthalle Tirol, 2024. Photo: Günter Kresser.
(5, 6) Neda Saeedi, Sinking Suns, 2024, Room installation (three-dimensional light painting), glass sculptures, altered overhead projectors, dimensions variable, Commissioned by TAXISPALAIS Kunsthalle Tirol for NEDA SAEEDI in fire yet we trust, Courtesy the artist, Photo: Günter Kresser.
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