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March 20, 2023

Incontrare Südtirol begegnen: Rosmarie

Daniela Caixeta Menezes
Wer einmal nach Südtirol kommt, kommt immer wieder – und einige entscheiden sich, zu bleiben. So auch die Autorin. Um die neue Heimat und ihre Menschen kennenzulernen, zu erfahren, wie sie leben, denken, wovon sie träumen, lässt Daniela sie erzählen. Den Ausgangspunkt für jede Begegnung bildet ein Fragen-Dreiklang: Wer bist du (heute)? Wie bist du dahin gekommen, wo du heute bist (gestern)? Wovon träumst du (morgen)?

Es gibt Orte, die beim ersten Betreten gleich bekannt vorkommen; Orte, denen – obgleich sie sich in unterschiedlichen Städten oder sogar Ländern befinden – ein ähnlicher Geruch anhängt, im wahrsten Sinn des Wortes und im übertragenen: Weltläden sind solche Orte (und fast immer gibt es dort Räucherstäbchen und Duftkerzen zu erstehen).

Zwangsläufig muss an dieser Stelle ein kurzer Disclaimer eingeschoben werden: Ich LIEBE Weltläden, dort kaufe ich von Kaffee über Seife bis hin zu praktischen, handgemachten Etuis aus Stoff praktisch alles für den täglichen und nicht ganz so alltäglichen Gebrauch. In meiner alten Heimat Berlin gibt es eine große Anzahl solcher Läden, die der französische Philosoph Foucault wohl als Heterotopie bezeichnet hätte: Orte, die den konkreten physischen Raum (das Geschäftslokal) und zugleich eine oder mehrere weitere Räume umfasst (all die Produktionsstätten, an denen die Waren gefertigt werden). Meine Neugierde auf das Südtiroler Pendant war entsprechend groß.

Schon als ich den in warmes Licht getauchten Laden (im Italienischen fast schon poetisch als „Bottega del Mondo” betitelt) betrete und Rosmarie inmitten der geflochtenen Körbe entdecke, weiß ich, was mich erwartet: ein ausgesprochen freundlicher, positiv denkender Mensch. Auch das scheinen alle Weltläden gemeinsam zu haben: Sie ziehen offene, interessierte und interessante Leute an. Solche, denen die Natur und alles Leben dieses Planeten – ob Mensch, ob Tier, ob Pflanze – gleich wichtig sind, qua Amtes gewissermaßen. Und aus Überzeugung.

Dass sie ein freundlicher Mensch ist, das muss mir zuallererst ihre Kollegin aus dem hinteren Teil des Ladens zurufen. Freundlich und nett und immer hilfsbereit. Achso, und unkompliziert ist sie auch, schallt es aus Richtung des Fair-Trade-Zuckerregals. Rosmarie scheint verlegen, auf dem Gesicht ein scheues Lächeln. Sich selbst zu rühmen, liegt ihr nicht. 

»Ich bin einfach sehr sozial eingestellt, das hat mich schließlich auch an diesen Ort geführt.«

Gekommen als Kundin, geblieben als Mitarbeiterin.
Dabei war ihr dieser Weg alles andere als vorgezeichnet. Aufgewachsen in einem kleinen, schattigen Bergdorf, verliert Rosmarie mit vier Jahren ihren Vater. Weil ihre Mutter jetzt Hauptverdienerin ist, kommt das Mädchen in die Obhut ihrer Schwester und Verwandten, bis sie irgendwann selbst ein Kind in der Nachbarschaft hütet. Aufeinander achtgeben, füreinander da sein, miteinander leben – ein natürlicher Kreislauf: Auf mich als Mensch aus der Großstadt wirkt das beinahe exotisch und selten kostbar. 

Bald gründet Rosmarie ihre eigene Familie, wird Mutter und Hausfrau, wie viele Südtirolerinnen ihrer Generation. Kaum sind die Kinder flügge, wagt Rosmarie den Sprung in ein neues Leben, fängt gewissermaßen noch einmal von vorne an: Sie zieht in die Stadt, belegt verschiedene Kurse und Fortbildungen, um sich schließlich für diese ihre Traumstelle hier zu qualifizieren.

Später im Gespräch, als ich sie bitte, Südtirol mit wenigen Attributen zu beschreiben, bezeichnet sie ihre Landsleute als „arbeitsam”. Dass sie vielleicht eine von den Arbeitsamsten und Fleißigsten ist: in ihrer Bescheidenheit kommt ihr dieser Gedanke gar nicht. Stattdessen ist ihr Blick auf die Zukunft gerichtet, Rosmarie hat große Pläne, möchte sich weiterentwickeln.

Wenn sie über die verschiedenen Projekte des Weltladens und die dahinter stehenden Werte – ökologisches, sozialverträgliches und kooperatives Handeln – erzählt, leuchten ihre Augen. Insbesondere ein Projekt in Brasilien habe es ihr angetan, da würde sie gern einmal hinreisen. Bei der Gelegenheit könnte sie dann auch gleich ihre dahin ausgewanderte Tante besuchen. Kichernd berichte ich von meiner brasilianischen Familie und für einen kurzen Moment schwelgen wir in Plänen und Bildern über die Tropen. 

»Jaja, eines Tages.
Aber in Südtirol ist es ja auch sehr schön.«

Wie recht sie hat, denke ich, und lasse mich von ihrer Stimme mitnehmen auf ihre vielen Wanderungen, nach St. Valentin auf der Haide, nach Taufers und ins Pustertal (eifrig notiere ich alles für künftige Ausflüge); gedanklich begleite ich sie und ihren Mann radelnd bis nach Kaltern und fast bis an den Gardasee, das Zelt auf dem Gepäckträger. Rosmarie, die keinen eigenen Pkw besitzt, noch nie besessen hat, identifiziert sich voll und ganz mit den Werten ihres Arbeitgebers. Auch – oder besser: erst recht – im Privaten.

Wie nachhaltig ist Südtirol für jemanden, der sich so intensiv und hingebungsvoll mit dem Thema auseinandersetzt? 

Es habe sich viel getan, antwortet sie nach einer kurzen Pause, politisch und wirtschaftlich gehe es in die richtige Richtung. 

»Endlich wird hier auch mal gestritten, auf eine gesunde Art natürlich«.

Und das werde der Region auf Dauer guttun und so manchen verschlossene*n Südtiroler*in dazu bewegen, auch mal über den Tellerrand zu schauen. Nach Brasilien zum Beispiel. Oder wenigstens mal bis nach Wien oder Innsbruck, da leben nämlich Rosmaries Kinder und bei ihren gegenseitigen Besuchen weht der Anfang-Fünfzigjährigen stets frischer Wind um die Ohren.

Zum Abschied drückt sie mir eine Tafel Schokolade in die Hand (woher weiß sie, dass mir die dunkle mit Minze am liebsten ist? Telepathie!) und verkündet, dass ich mir unbedingt die uralten Höfe im Ultental mit ihren traditionellen Schindeldächern anschauen muss. 

Ich beschließe, dass Brasilien noch eine Weile warten muss. Dieses Südtiroler Land hat einfach zu viel im Angebot.       

Foto von Daniela Caixeta Menezes: Die Welt kommt nach Meran und sie ist mittendrin: Rosmarie in  der „Bottega del Mondo“.

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