Music

August 3, 2018

Mein Leben in Noten: Mr. Coon

Florian Rabatscher

Ich befinde mich wieder einmal auf meiner üblichen Suche. Meine übliche Suche nach ignorierten Klängen in diesem Land. Mein Riecher führt mich dieses Mal nach Terlan. Nebenbei, was für eine Affenhitze. Der Schweiß rinnt mir literweise vom Kopf bis an die Zehen. Ich überlege gerade, ob ich es nicht in Flaschen abfüllen könnte, um es später dann irgendeinem Touristen als Südtiroler-Wundermittel anzudrehen. Gar keine schlechte Idee. Aber wieviel Wasser kann ich noch verlieren, bevor ich dehydriere? Sollte ich mir Sorgen machen? Noch wichtiger, warum mache ich mir so viele Gedanken über meine Hautausdünstungen? Vielleicht liegt es an dem Künstler, von dem ich euch jetzt erzähle. Eigenartige Vibrationen überkommen meine grauen Zellen. Seine Musik, die mich auf schöne Weise verwirrt und nicht so einfach einzuordnen ist. Herzlich Willkommen in der eigenartigen, entschuldigt, einzigartigen Welt von Mr. Coon.

Geboren wurde er 1972 in dieser Welt, unter dem Namen Gerhard Martini. Aber als Mr. Coon hat er sich irgendwie musikalisch vom Hier und Jetzt abgekapselt. Nicht von dieser Welt, was natürlich immer sehr hochgestochen klingt, aber alles andere wäre untertrieben. Bevor man sein Home-Studio betritt, fühlt man sich wie Alice im Wunderland. Man folgt dem Kaninchen in seinen Bau und findet sind gleich darauf in einer phantastischen Umgebung wieder. Wie er das schafft? Seine dezente Antwort darauf lautet: „Ich kann es einfach.“mrcoon1

Und wie er es kann. Sein Sound hypnotisiert. Er lässt dich fliegen, halluzinieren oder hilft dir dein Innerstes nach Außen zu kehren. Ein Vergleich für seinen Sound wäre am ehesten Trip-Hop oder IDM (Intelligent Dance Music). Massive Attack, Björk oder Aphex Twin schwirren einem als erstes durch den Kopf. Grob gesagt, es ist nicht einfach herkömmliche Tanzmusik. Schon bei diesen Künstlern taten sich Musikjournalisten schwer eine Schublade zu finden. Also belassen wir es auch an dieser Stelle. Wenn man aber bedenkt, dass viele seiner Tracks schon in den 90ern entstanden sind und damals schon diesen fortschrittlichen Charakter hatten, fragt man sich trotzdem: Woher kam die Inspiration? Lenny Kravitz hätte ihn inspiriert, meint er. Hä?! Es mag jetzt unbegreiflich klingen, aber seine Musik existiert einfach in seinem Kopf. Sie ist dort gefangen und wartet darauf, von ihm befreit zu werden. Gütiger Gott, sitze ich gerade einem übernatürlichen Wesen gegenüber? An Übernatürliches glaubt er aber nicht, was wahrscheinlich daran liegt, dass er drei Monate im absoluten Nichts verbracht hat. Sein Leben erzählt sich wie ein düsteres Märchen. Am Anfang verschlug es ihn in Richtung Kunst, er besuchte die Akademie der bildenden Künste in Florenz. Doch Musik war schon immer sein ständiger Begleiter. Sie wachte über ihm wie ein Geist, der dich ständig heimsucht. Dadurch sah er sich irgendwann gezwungen, sich ihr zu ergeben. Was er auch tat und sich selbst alles beibrachte. Er entwarf erste Soundtracks für Fernseh- und Radiospots.

Im Jahr 1998 hatte er seinen ersten Live-Auftritt.Er und die Musik hatten sich lieben gelernt, waren glücklich und es schien nur noch bergauf zu gehen. Doch dann, die erschreckende Wende. Als Pizzalieferant in Florenz unterwegs, passierte ein schlimmer Unfall. Er krachte in ein anderes Fahrzeug und erlitt ein Schädel-Hirn-Trauma. Ganze drei Monate verweilte er im absoluten Nichts. Es sei wie den Stecker zu ziehen, sagt er. Für ihn war es wie Urlaub, befreit von den ganzen Problemen und Sorgen, die das Leben mit sich bringt. Wir kommen aus dem Nichts und enden auch genau dort wieder. Also, warum sollte man sich Sorgen machen, was nach dem Tod kommt, oder sich an irgend etwas Übernatürliches klammern? Gedanken existieren ja nicht mehr. Einfach Nichts, gar nichts. Obwohl es die Ärzte längst nicht mehr glaubten, kam er wieder zurück. Nicht nur irgendwie, sondern mit einem gewaltigen Lachanfall. Der Urlaub war vorbei, harte Zeiten kamen auf ihn zu. Er kämpfte sich zurück ins Leben und das beeindruckend gut, wie man sieht. Die Musik immer noch an seiner Seite, mehr denn je. Ein normaler Beruf kam gar nicht mehr in Frage, die Möglichkeiten der elektronischen Musik schienen unendlich für ihn. Genauso wie die Melodien in seinem Kopf. Sein erstes Album „Die Träumer“ entstand und unzählige Kollaborationen mit Künstlern aus allen erdenklichen Sparten. Von Rappern, Performance-Künstlern, Sängerinnen, Pianisten und und und … Die Tore seiner Welt stehen nun offen, auch wenn viele es nicht realisieren. Zudem absolvierte er eine Ausbildung zum Musik-Designer an der Musik- und Akademie Deutsche Pop für Musik und Medien in Hamburg. mrcoon2

Was soll ich eigentlich noch alles erzählen? Wie ein verliebtes Schulmädchen komme ich aus dem Schwärmen nicht mehr heraus. Machen wir es also offiziell: Ich bin infiziert vom Mr.-Coon-Virus. Trotzdem fällt es mir immer noch schwer, dieses erlebte Gefühl in Worte zu fassen. Was ich auch ihm gestehe. Worauf er mir antwortet, ich müsse auch mal darüber nachdenken, welches Chaos in ihm brodle. Die Musik hat sich in seinem Kopf eingenistet. Es ist, als ob er verliebt wäre, sie ist ständig da. Mehrmals bestand seine Arbeit darin, den Soundtrack für Filme zu produzieren, Südtirol unter Eis, zum Beispiel. Was fast banal erscheint, wenn man bedenkt, dass sein Lebensinhalt schon darin besteht, einen Soundtrack für seine Welt zu kreieren. My life in notes … Unter diesem Namen steht auch sein nächstes Live-Set, das er uns am 04.08.2018, im Ost West Country Club in Meran präsentieren wird. Ich empfehle euch von ganzem Herzen dort hinzugehen, weil ich nicht mehr weiß, wie ich es euch beschreiben soll. Hört es, spürt es und lasst euch fallen. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass während seinem Set die Welt kurz still stehen wird. Schließt die Augen und versucht mit seiner Musik in euch zu gehen. Aus meiner Sicht wirkt sie wie eine Hypnose und jeder erlebt seinen eigenen Film. Wie macht er das nur? Ich glaube, er würde sagen: „Ich will es ja gar nicht, es passiert einfach.“ Oh ja, er kann es einfach.

 

Fotos: Gerhard Martini

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