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July 3, 2014
Wir müssen ja nicht gleich die Welt retten – Gemeinwohl-Ökonomie ja oder nein?
Greta Sparer
Es ist spät, die meisten Leute sind nach Hause gegangen. Caro und ich sitzen am einen Ende des Tisches im Weltcafé in Wien bei unserem oikos-Stammtisch – oikos ist eine Studierendenorganisation, die das Thema Nachhatligkeit in der Wirtschaft an den Unis vorantreiben möchte – und unterhalten uns gerade darüber, dass wir es satt haben, als naive Ökos abgestempelt zu werden. Da breche ich wieder einmal die Diskussion zur Gemeinwohl-Ökonomie vom Zaun, also zum sozialen Wirtschaftskonzept und dem gleichnamigen Buch von Christian Felber: Caro, diese Gemeinwohl-Ökonomisten, machen die es sich nicht etwas zu leicht?
Kurz zum Inhaltlichen: Was ist Gemeinwohl-Ökonomie? Es handelt sich um ein Konzept, das den klassischen Kapitalismus, wie wir ihn heute kennen und häufig kritisieren, stark in Richtung einer sozialeren Marktwirtschaft abändern würde, und zwar durch demokratische Prozesse. Die Gemeinwohl-Ökonomie baut darauf, den Leuten die Bestimmung über die Produktionsmittel und -prozesse selbst in die Hand zu geben. Jeder und jede soll weiterhin fröhlich arbeiten und leben können, nur eben fröhlicher, weil weniger fremd- und mehr selbstbestimmt. EigentümerInnen könnten nur noch jene sein, die selbst im Unternehmen mitarbeiten. Damit soll verhindert werden, dass eine anonyme Anlegerschaft ein breitgefächertes Portfolio an Unternehmensanteilen in der Hand hält, das mit dem eigentlichen Produkt und besonders mit den Menschen dahinter, gar nichts mehr zu tun hat. Ja, genau, die Finanzmärkte wären überflüssig und Zinsen im Übrigen auch. Der Punkt ist, und das ist das Schwerbegreifbare, dass das Geld jene Bedeutung erhalten soll, die es ursprünglich hatte: die eines Zahlungsmittels und nicht jene eines Besitztums mit eigenem Nutzwert. Also Nutzwert hätte Geld, wenn ihr euch darin badet oder es als Matratzenfüllung verwendet – ihr wisst, worauf ich hinaus will.
Es gibt mittlerweile Gemeinwohl-Ökonomie-Bewegungen in mehreren Ländern. Bei uns wurde die Initiative beispielsweise in Brixen gegründet. Ganz praktisch und im ersten Schritt vertreten diese Bewegungen die Überzeugung, dass Unternehmen nicht nur nach ihren finanziellen Erfolgen bewertet werden sollten, sondern auch nach ihrer “Gemeinwohl-Bilanz”. Die Gemeinwohl-Bilanz enthält andere Kennwerte als eine klassische Bilanz und soll darstellen, was ein Unternehmen für das Gemeinwohl leistet. Umweltschädliche Aktivitäten oder Unterbezahlung der Arbeitenden schlagen hier beispielsweise negativ zu Buche, freiwillige Leistungen zum Wohle der Gemeinschaft dagegen positiv. Aber ich empfehle, für das ausgeklügelte System, das ich hier stark vereinfacht habe, sich im Buch “Gemeinwohl-Ökonomie” die leicht verständliche Übersicht anzusehen. Die Bewegungen verfolgen das Ziel, diese Bilanz, die einige Pionierunternehmen (2011 waren es laut Buch 60) zurzeit freiwillig erstellen, für alle verpflichtend zu machen. Das Bilanzschema wird anhand der Rückmeldungen der Unternehmen jährlich angepasst.
So weit, so gut. Aber: Ich halte mich ja für aufgeschlossen und tolerant, dennoch hatte ich zugegebenermaßen Schwierigkeiten, Felbers Buch und das Konzept der Gemeinwohl-Ökonomie an mich heranzulassen. Eigentum begrenzen? (Achtung, nicht abschaffen, nur die Anhäufung von Kapital auf beispielsweise zehn Millionen Euro beschränken.) Wie soll der Kapitalismus sozialer werden? Wie kann das alles möglich sein, wenn wir es nicht anders kennen? So blöd es ist, wie sollen wir das Essen, mit dem wir die Weltbevölkerung locker ernähren könnten, so umverteilen, das wirklich niemand mehr verhungern muss? Indem man den Besitz nach oben deckelt, Zinsen abschafft und dem (demokratischen) Staat Entscheidungen darüber überlässt, was gut für uns ist? Alles das geht doch eindeutig von Bedingungen und Wertesystemen aus, die wir heute noch nicht so kennen: Wir haben kein Vertrauen in den Staat, zumindest nicht auf lange Sicht. Wir wollen Zinsen für unser Geld, weil wir es eben nicht als reines Mittel sehen, um Bedürfnisse zu befriedigen, sondern es möglichst mühelos vermehren wollen, weil Zeit ja auch Geld ist. Maximales Eigentum von zehn Millionen klingt ok, aber schränkt mich das nicht in meiner persönlichen Freiheit ein, so viel anzuhäufen, wie ich kann, und nimmt mir das nicht den Antrieb, viel leisten zu wollen? Nein, sagt Felber, nur der Antrieb würde nicht mehr nur von den finanziellen Anreizen kommen – außerdem: Macht mich eine elfte Million denn glücklicher als die erste?
Also alles demokratisch? Selbst wenn Felber die Gegenargumente vorwegnimmt und zu entkräften versucht, mich hat er damit nicht ganz überzeugt. Demokratie kann besser funktionieren? Ja, das hoffe ich auch, aber wer kennt sich noch aus, wenn alle Entscheidungen demokratisch getroffen werden? Und wie kann sichergestellt werden, dass diese Demokratie richtig funktioniert? Bessere Bildung, schreibt Felber. Aber ist das nicht alles etwas weit hergeholt und sehr weit in eine ungewisse Zukunft gedacht?
Doch wenn man es genau betrachtet, wie war das sonst? – Frauen hinter den Herd, die gesunde Watschen, europäische Kriege, Folter in Gefängnissen, Todesstrafe oder – noch weiter zurück – die Leibeigenschaft und die Sklaverei. Zugegeben, all dies ist noch nicht vollständig überwunden, aber wichtige Schritte wurden gemacht und für viele sind diese Dinge heute unvorstellbar. Warum sollte in unseren Geschichtsbüchern nicht stehen: “Und von da an wurde die Wirtschaft menschlich, indem sie als Mittel zum Erreichen des Gemeinwohls verstanden wurde und nicht mehr als Instrument zur Vermehrung von Kapital, das wiederum zur Vermehrung von Kapital diente.”
Zurück zum Stammtisch: Caro macht einen Unikurs bei Felber, sie scheint etwas überzeugter als ich und bringt einen netten Gedanken ein: “Respekt, Vertrauen, Ehrlichkeit, Fairness ist das, was man sich von einer Beziehung mit einem anderen Menschen wünscht. Und wie haben wir’s aktuell in der Wirtschaft?” Ich erzähle ihr von meiner Erkenntnis, dass Felber in seinem Buch zwar Dinge verlangt, die für uns unrealistisch klingen, aber dass mir bewusst geworden ist, dass der erste Schritt das Umdenken ist. Genau das betont er im Buch immer wieder: Wenn alles demokratisch sein soll, dann kann auch nicht ein einzelner Denker oder eine Denkerin ein Rezept liefern; die Veränderung ist ein dynamischer Prozess. Deswegen ist Caros Aussage so revolutionär: Lasst uns ab und zu diskutieren, ohne die Welt verändern zu wollen.
Buchtipp
Christian Felber: Gemeinwohl-Ökonomie. Eine demokratische Alternative wächst. Aktualisierte und erweiterte Neuausgabe. Wien: Deuticke im Paul Zsolnay Verlag, 2012. Erhältlich in mehreren Sprachen, unter anderem Deutsch und Italienisch (z. B. im Mardi Gras in Bozen).
Foto: Greta Sparer
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