Culture + Arts > Performing Arts
March 22, 2024
… wenn Kleinsprachen Bühnen erobern – phōnē: Calígula und Morvëies
Kunigunde Weissenegger
So etwas hat’s noch nie gegeben … und wer weiß, wann es wieder passieren könnte … und „zu manchen Aufträgen kommt man im Leben gelegentlich auch ungewollt“, um gleich auch noch ein Zitat der Künstlerischen Leitung des Stadttheaters Bruneck Christine Lasta nachzuschieben. Denn Klaus Gasperi hatte vor, sage und schreibe, zehn Jahren die Idee für ein Projekt, das in den kommenden Tagen, Wochen und Monaten in Bruneck, Stern, St. Ulrich und Enneberg über die sprichwörtlichen Bühnen gehen wird.
phōnē ist ein EU-Projekt (mit entsprechendem Aufwand, wie bei der Präsentation Anfang März in Bozen herauszuhören war) und trotzdem ein Herzensprojekt – wie auf der Website zu lesen ist – mit 8 Theatern aus 8 Ländern in 8 Sprachen, das Minderheitensprachen oder, schöner gesagt, Kleinsprachen eine Bühne und Sprachrohre gibt. Projektpartner sind Spanien mit dem galizischen Centro Dramatico Galego in Santiago de Compostela, Deutschland mit dem deutsch-sorbischen Volkstheater in Bautzen, Irland mit dem gälischen Fibin in Galway, Norwegen mit dem kvenischen Kvääniteatteri in Tromso, Frankreich mit dem das bretonischen Teatr Piba in Brest, Rumänien mit dem jiddischen Teatrul Evreiesc de Stat in Bukarest und die Niederlande mit dem friesischen Tryater in Leeuwarden.
phōnē ist ein Theaterstück, eine internationale Nacht, ein Gemeinschaftstheater und ein multilinguales Netzwerktreffen für Theaterleute aus ganz Europa. Das Theaterstück „Calígula“, aus der Feder von Iaco Rigo, Direktor der ladinischen Wochenzeitschrift „La Usc di Ladins“, wird heute, 22. März um 20:00 im Stadttheater Bruneck uraufgeführt, weitere Vorstellungen finden zwischen 25.3. und 6.4.2024 statt. Regie führt Multitalent Viktoria Obermarzoner, Ursula Tavella verantwortet die Ausstattung und auf der Bühne stehen Mirko Costa, Sabrina Fraternali, Hanenn Huber und Lisa Laner. Die Musik liefert die Bruneckner Komponist*in, Musiker*in, Interpret*in, Chorleiter*in, Arrangeur*in, Musikpädagog*in und Donauwellenreiterin Maria Craffonara.Das nächste Rendezvous ist für 25., 26., 29. und 31. Mai geplant mit dem Community-Theater-Projekt aus der Feder der Autorin Nadia Rungger unter der Regie von Simon Kostner. Der abschließende Showdown passiert von 30. Juni bis 6. Juli mit einer Abschlussperformance am letzten Tag in Enneberg.
Einige der motivierten Stimmen haben wir einfangen und nach ihren Erfahrungen im Rahmen des Projektes fragen können …
Wie geht mensch als Theaterchefin mit einer derartigen Herausforderung um?
Christine Lasta, Künstlerische Leitung des Stadttheaters Bruneck: Zu manchen Aufträgen kommt man im Leben gelegentlich auch ungewollt. Dies ist ein solcher. Ich habe dieses Minderheitenprojekt von meinem Vorgänger Klaus Gasperi übernommen, da es ihm sehr am Herzen lag. Vor zehn Jahren hat er gemeinsam mit dem künstlerischen Leiter des Volkstheater Bautzen und dem Regisseur Claus Tröger den Grundstein für dieses europäische Sprachminderheitenprojekt gelegt. Damals bewarb sich das Stadttheater Bruneck mit der deutschen Sprache als Minderheitensprache in Italien. Die EU hat ihr Veto eingelegt, weil die deutsche Sprache ja nicht geschützt werden muss. Also haben wir uns vor zwei Jahren mit der ladinischen Sprache ins Spiel gebracht und es hat geklappt.
Im Vergleich zu den sieben anderen Theatern, die im Gegensatz zu uns alle ihre Stücke fast ausschließlich in der jeweiligen Minderheitensprache spielen, fehlt mir manchmal das Auge und das Gefühl für ihre Problematiken. Eine weitere Herausforderung war professionelles Personal für ein ladinisches Stück zu finden. Autor, Schauspieler, Ausstatter, Regie. Aber wer sucht, der findet. Was jetzt noch wichtig, aber unvorhersehbar ist, sind die Verkaufszahlen. Haben wir genug Publikum, welches sich ein ladinisches Stück anschaut? Wir werden es sehen. Auf alle Fälle kann ich allen Unentschlossenen Mut machen, dass man dem Inhalt auch ohne Ladinisch-Kenntnisse folgen kann, da die Regisseurin Viktoria Obermarzoner viele deutsche Passagen eingebaut hat und so auch ein Stück Südtiroler Realität mehrsprachiger Familien aufzeigt.
Was ist dir als Künstlerische Leitung wichtig?
Christine Lasta: Der Austausch zwischen den einzelnen Theatern ist wohl der spannendste und wichtigste Punkt. Wie arbeiten die anderen? Wie werden sie finanziert? Haben sie politischen Rückhalt? Gibt es noch Nachwuchs an künstlerischem Personal ? Welche Problematik bereitet ihnen ihre Minderheitensprache? Grundsätzlich ist es spannend zu sehen, wie andere in derselben Zunft arbeiten. Fazit: Wir kochen alle nur mit Wasser.
Wie schreibt mensch ein mehrsprachiges, möglichst für viele verständliches Theaterstück?
Iaco Rigo: „Calígula“ ist ein zeitgemäßes und aktuelles Theaterstück in ladinischer Sprache, das ich im Sommer 2023 für das Kleinsprachenprojekt phōnē im Auftrag des Stadtheaters Bruneck geschrieben habe. In einer zweiten Phase habe ich das Stück ins Deutsche übersetzt, damit es für viele Mitarbeiter und Partner dieses europäischen Projektes zugänglich ist. Bedenken wir, dass Deutsch eine Großsprache ist und heutzutage auch dank guter Digi-Programme in viele andere Sprachen übersetzt werden kann. Das Stadttheater Bruneck und die Regisseurin Viktoria Obermarzoner haben sich dann für eine mehrsprachige Inszenierung entschieden, die Gründe dafür sind wohl personeller und auch dynamischer Natur. „Calígula“ spielt in einer typischen, modernen Kleinfamilie; die teilweise Verwendung mehrerer Sprachen in der Handlung verlangt von den Zuschauer*innen nichts ab und gelingt sehr gut. Chapeau!
Was waren die Herausforderungen für dich?
Iaco Rigo: Wir sind im Projekt phōnē acht Autor*innen in ebenso vielen sprachlichen Wirklichkeiten, die ein originales Bühnenstück für professionelle Theaterhäuser zwischen Galway und Bukarest, Tromsø und Bruneck schreiben sollen und dürfen. Bei einem ersten Treffen in Lyouwert/Leeuwarden in Friesland in den Niederlanden beschlossen wir, mit unseren Mentoren das Motto „nature & humanity“ für den Inhalt der neuen Theaterstücke festzulegen. Von diesen zwei abstrakten und doch pünktlich konkreten Formulierungen hat sich meine Fantasie anregen lassen und dann den Vogel „Calígula“ in die Welt gesetzt. Ich wollte ein aktuelles Stück schreiben, das über unsere sprachlichen, kulturellen und moralischen Grenzen hinausgeht und in allen möglichen Sprachen und Realitäten aufgeführt werden kann. Im kreativen Aspekt war das Schreiben für mich diesmal ein Vergnügen, auch weil ich mehrere Monate Zeit hatte, die Akteure und die Handlung zu kreieren. Ich habe in dieser Phase genau die Bühne vor mir und lasse verschiedene Versionen von Szenen – ähnlich wie Filmszenen – ablaufen.Wie hast du dir die Musik für „Calígula“ vorgestellt und wie hast du deine Vision umgesetzt?
Maria Craffonara: Da waren zum einen die kalte und unheimliche Atmosphäre, welche das Stück zum Teil dominieren. Meine ersten klanglichen Gedanken liefen in Richtung Gläsern und Metallisch. Zum anderen wollte ich den geschlossenen Raum der Handlung, das Eingesperrtsein im Käfig mitberücksichtigen. Daraus hat sich zum Großteil ein Instrumentarium aus häuslichen Gegenständen ergeben, wie Gläser, Scheren oder Papier. Es hat großen Spaß gemacht herumzuexperimentieren, um Musik mit Nichtinstrumenten zu kreieren.
Ein anderer Wunsch war es, zusätzlich ein Stück zu finden, welches idealerweise sowohl im kollektiven ladinischen als auch deutschen Gedächtnis angekommen ist – das Lied „Bel lingaz“ eröffnet jeden Abend im Fernsehen (von RAI Südtirol) den TRAIL und zumindest den prägnanten Anfangsakkord kennen viele. Ich habe das Lied in seine vier Grundmotive zerteilt und diese immer weiter rhythmisch und melodisch verfremdet. So sind aus dem Material eines Songs viele ganz neue Motive und Musiken entstanden. Eingebunden wurde auch das Ensemble mit vielen Sounds, welche die Stimme so hergibt. Ich mag das Ergebnis wirklich sehr und bin gespannt auf das Feedback.
Was ist dir als Regisseurin bei der Inszenierung von „Calígula“ wichtig?
Viktoria Obermarzoner: Mir war besonders wichtig, die Sprachaufteilung so auszubalancieren, dass alle Menschen, egal welcher Sprachgruppe, das Stück verstehen können. Und diesen Berührungspunkt mit der ladinischen Sprache so angenehm, lustig und vielleicht auch skurril zu gestalten, dass man den Klang und vielleicht sogar auch Wörter dieser uns nahen und doch so fernen Sprache gerne mit nach Hause nimmt.
Auf welche „Stilmittel“ setzt du, welche Werkzeuge und Instrumente kommen zum Einsatz?
Viktoria Obermarzoner: Ursula Tavella hat mir mit ihrer Ausstattung eine wunderbare Fläche geboten, sehr frei zu arbeiten, und zusammen mit Jan Gasperis Lichtdesign konnten wir schöne, bunte Bilder schaffen. Mir war ein Aufbau sehr wichtig, von einer „normalen“ Familiensituation (Eltern, Kind und Vogel) zu einer fast science-fiction-artigen Metamorphose zu gelangen. Außerdem arbeite ich immer gern mit Rhythmus und gesetzten Bewegungen und Bildern, wo schlussendlich auch Maria Craffonaras Musik zum Einsatz kam. Maria hat mit Papier, Glasorgel, Schere, Maultrommel usw. eine eigene verrückte Klangwelt für dieses Miniuniversum erschaffen, die auch von unseren Schauspieler*innen mitgetragen bzw. erweitert wird. Zudem nutzten wir die Möglichkeit, Calígula selbst mit der Tänzerin Sabrina Fraternali zu besetzen, die der schrägen Entwicklung des Vogels einen Körper leiht und seiner Evolution verschiedenste Facetten gibt.
Wie übersetzt du die Intention des Stücks in Visuelles? Worauf setzt du?
Ursula Tavella: Auf der Bühne hab ich mich mit zwei Elementen beschäftigt: Zum einen mit einem Schachbrett, wo sich die Schauspieler*innen begegnen und sich ihr Leben abspielt. Und zum anderen mit dem Element Käfig, der von klein zu ganz groß wächst und in dem sich am Ende alle, mit Vogelelementen am Kostüm, wiederfinden.Stichwort „Community Theatre“: Wie bist du an diese Herausforderung herangegangen?
Nadia Rungger: Wir haben mit der Gruppe im November und Dezember des Vorjahres ein paar Treffen veranstaltet. Die ersten zwei Theaterworkshops leitete Viktoria Obermarzoner, die weiteren Treffen übernahm ich mit Schreibworkshops, Fragen, Gesprächen und anderen Übungen. Schritt für Schritt lernte sich die Gruppe kennen und ich schrieb Beobachtungen auf und begann, alles in Form zu bringen. Als wir dann in diesem Jahr mit den Proben begonnen haben, standen schon erste Szenen fest. Weiter ging und geht es dann Stück für Stück, es ist ein dynamischer Prozess. Ich habe einiges adaptiert, da sich die Gruppe verkleinert hat. In unserem Theaterstück „Morvëies“ finden sich konkrete Beobachtungen von mir, aber auch Neues, das ich hinzufüge, sowie einzelne meiner Gedichte. Die sechs Schauspielerinnen spielen nicht sich selbst auf der Bühne. Es gibt Momente, mit denen sie sich identifizieren können. Dann gibt es natürlich Momente, in denen es darum geht, zu spielen, sich anderen Sätzen und Stimmungen anzunähern und diese zu verkörpern: Das ist die wunderbare Möglichkeit, die das Theater bietet.
Der Text durchläuft außerdem eine Übersetzung: Ich schreibe auf Grödnerisch, der Regisseur Simon Kostner übersetzt den Text ins Gadertalerische und die einzelnen Schauspielerinnen machen sich den Text nochmals zu eigen. Da kann es sein, dass einzelne Wörter ausgetauscht werden oder grammatikalische Strukturen. Ein sehr feiner und wertvoller Transferprozess, den ich aus der Nähe miterleben kann, da ich nach wie vor bei den Proben dabei bin und den Prozess somit beobachte und mitgestalte. Diese Art zu arbeiten ist für uns alle etwas Neues: sich darauf einzulassen, sich zu öffnen, Zeit und Energie für die Proben mitzubringen, sich intensiv damit auseinanderzusetzen. Wir haben einen Rhythmus gefunden, der seine Früchte trägt, und freuen uns auf die Vorstellungen Ende Mai.
Wie und wann wusstest du, in welche Richtung sich das Stück entwickeln sollte?
Nadia Rungger: Die ersten Szenen habe ich im Jänner und Februar geschrieben. Das war aus einem Impuls heraus. Bei den ersten Treffen kam unter anderem das Thema „Zuhause“ auf. Wie gehen wir nach Hause? Mit dieser Frage habe ich zu schreiben begonnen. Es kam ein Gedicht von mir dazu, das so beginnt: „wie kann man leicht auftreten / man wird ja nicht leicht davon“, „co dé sëura cun lesirëza / n ne devënta pu no lesieres per chël“. Und weiter spannt sich ein Netz von Begegnungen, Momenten des Alltags und deren Variation. Im Schreiben geht es für mich darum, das Wesentliche zu erfassen.
Wie setzt du die Vision von Nadia Rungger um?
Simon Kostner: Ich versuche, meinem Instinkt zu folgen. Das heißt, spontan und unvermittelt die besten Lösungen zu finden, um Nadias Text so klar und konkret wie möglich auf die Bühne zu bringen. Es geht mir nicht um Äußerlichkeiten, sondern um die (Aussage-)Kraft der Wörter und Gesten. Im Grunde möchte ich dieselbe Atmosphäre schaffen, die ich in meinen Träumen erlebe: Dinge geschehen, Situationen folgen aufeinander, Bilder schließen sich ab und andere schließen sich an, scheinbar ohne Logik und ohne jeden Zusammenhang. So wie der Traum sich aller denkbaren Ausdrucksmittel bedient, scheue ich nicht, alle Stilmittel einzusetzen, die mir zur Verfügung stehen: Tanztheater trifft auf Pantomime, Clownerie auf bürgerliches Lachtheater. Nadia ist bei den Proben dabei und gibt immer wieder Rückmeldung und Impulse zur Umsetzung ihrer Wörter auf die Bühne; ich bin ihr sehr dankbar, dass sie mir einen Text in die Hand gelegt hat, der mir erlaubt, viel zu experimentieren und Neues auszuprobieren.
Was ist dir wichtig bei der Arbeit auf der Bühne?
Es ist mir wichtig, dass wir in einer guten, entspannten Atmosphäre arbeiten: Jede Probe soll für uns eine kleine Entdeckungsreise sein. Ich möchte nie aus den Augen verlieren, dass ich mit Menschen arbeite, die bereits nach einem (mehr oder weniger anstrengenden) Arbeitstag zur Probe erscheinen. Für die Spielerinnen ist dieses Projekt eine große Herausforderung, denn die Pantomime und das Tanztheater verlangen eine große Präzision und ein perfektes Timing in den Bewegungsabläufen. Ich freue mich sehr, wenn ich imstande bin, meine Ideen und Vorstellungen so darzulegen, dass sie für die Spielerinnen nachvollziehbar sind – und, falls mir das nicht gelingt, ich ihren Augen das Vertrauen ablesen kann, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Dafür ist mir wichtig, dass ich die Eindrücke und Rückmeldungen aller Beteiligten wahr- und ernst nehme, und dass sie in jeder Phase dieses Entwicklungsprozesses einbezogen sind. So wird das Bewusstsein genährt, dass es nicht „mein“ oder „dein“ Stück, sondern „unser“ Stück ist.
Fotos © Silbersalz
Comments