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October 26, 2023

Der Dopler-Effekt

Kunigunde Weissenegger

 … wenn der Text auf dich zufährt
… wenn Figuren sich bewegen gedrängt durch Land in Raum
… wenn Gesagtes Erinnerungen sucht
… wenn Hinterland Baustelle Kreuzfahrtschifft Berg ist
… wenn Banalität bestürzt oder fasziniert
… wenn Mitte nur normal
… wenn es sticht
… wenn es nach dir greift
… wenn es stänkert
… wenn Drama sich verdaut 

Die Vereinigten Bühnen Bozen zeigen Ende Oktober, Ende November und Anfang Dezember Teresa Doplers Drama „Monte Rosa“: Aufstieg und Fall (?), Gipfel und Tal, getrieben und aufgerieben, bewegen sich drei Figuren, reden, schauen, steigen aneinander vorbei. Es ist das Leben … Und Teresa Dopler war für ein Interview bereit:

„Der Berg“: Welche Beziehung hast du zu ihm? Steigst du oft hinauf? Welchen hast du zuletzt bestiegen? Oder erobert? Wie hoch war dein höchster? Was machst du, wenn du oben bist?

Teresa Dopler: Als Österreicherin bin ich an den Bergen natürlich nicht vorbeigekommen, ich gehe gerne wandern, bin aber keine Gipfelstürmerin, sondern lasse mich am Liebsten auf gemütlichen Höhenwanderwegen von rüstigen Pensionist*innen überholen. Zuletzt bestiegen habe ich den Ypsarion auf der griechischen Insel Thassos, das war allerdings eine ziemliche Tortur, wenn ich das gewusst hätte wäre ich vielleicht am Strand geblieben. Am Gipfel ziehe ich mir gerne die Schuhe aus, meistens muss ich auch posieren, weil irgendwer ein Foto macht.

Was ist wichtiger: Oben oder unten ankommen?

Wahrscheinlich ist das Wichtigste, dass man wieder wohlbehalten unten ankommt. Aber ich frage mich oft etwas anderes, nämlich: Ist das Raufgehen oder das Runtergehen schöner? Beim Raufgehen freue ich mich immer schon auf den Abstieg, aber beim Absteigen merke ich, dass eigentlich der Aufstieg das Beste war, man ist also beim Bergstiegen nie wirklich zufrieden.

Welche 3 Dinge nimmst du immer mit rauf? 

Einen Apfel (ein Apfel schmeckt nie besser als nach dem Aufstieg), ein zweites T-Shirt (damit man sich beim Abstieg nicht verkühlt) und Wasser natürlich.

Was ist das Irrste, das dir oben auf einem Berg passiert ist? 

Ich finde es jedes Mal irre, wenn man im Hochsommer an einem Schneefeld vorbeikommt.

Zu Monte Rosa: Das klingt so romantisch, so idyllisch, so nett (zu nett? – gilt ja auch als der kleine Bruder von Sch… also hinterfotzig?) – Wie unberechenbar ist denn der Berg heutzutage oder eigentlich schon immer? Oder machen ihn die Menschen zu dem, was er ist? Ist dein Text eine Warnung …? Wovor? Oder ist es Tourismuswerbung? Geht’s auch um Freiheit? Ist Monte Rosa ein Bergsteiger*innenstück? Wer sollte diesem Bergruf ins Theater folgen?  … so viele Fragen, such dir eine zum Beantworten aus … 

Ist Monte Rosa ein Bergsteiger*innenstück?

Ja, ich glaube, das ist ein Missverständnis, dass manche Leute glauben, Monte Rosa sei ein reines Bergsteigerstück, ein Kommentar auf die Bergsteigerwelt, auf den Hochleistungssport und so fort. Das war nie mein vordergründiges Interesse, ich habe diesen Schauplatz ausgesucht, weil das Gebirge in seiner Kargheit, Schroffheit und Ausgesetztheit zu den Figuren passt, und weil diese Gebirgslandschaft auch etwas sehr Entrücktes und Zeitloses hat, es gibt ja kaum Infrastruktur am Berg, kaum Spuren von Zivilisation, dadurch war ich im Schreiben frei von der „realen Welt“ wie wir sie kennen, und konnte einen fiktiven Kosmos bauen. Für mich sind das auch keine normalen Menschen, die haben keine Berufe und putzen sich am Abend nicht die Zähne. Das sind Figuren, Menschen oder Kreaturen, die sich in den Bergen aufhalten, die kennen ja auch nichts anderes, ich stelle mir vor, dass sie irgendwann einmal aus einer Felsspalte gekrochen kamen.

Ist dein Text eine Warnung …? Wovor? Oder ist es Tourismuswerbung? Wer sollte diesem Bergruf ins Theater folgen?

Ich glaube, der Text ist vor allem eine extreme Zuspitzung von Dingen, die uns bekannt vorkommen. Diese Gespräche zwischen den Figuren, ihr Umgang miteinander, ihr emotionaler und geistiger Horizont, das ist ja wahnsinnig grotesk und absurd, aber manches davon ist vielleicht näher an uns dran, als wir glauben möchten. Insofern ist es also vielleicht schon eine Warnung. Aber ich versuche meine Texte eigentlich frei von Botschaften zu halten.

Was hat dich denn zum Stück inspiriert?

Das mit der Inspiration ist so eine Sache, daran glaube ich eigentlich nicht. Bei mir ist es meistens so: Es gibt ein paar erste Dialoge, eine Situation, die sich herausschält, und eine Sprache, die sich formiert, ein Ort und zwei oder drei Figuren, und wenn diese Anfangszelle stark genug ist, dann kriegt das Ganze sehr bald eine eigene Dynamik und der muss man dann folgen. MONTE ROSA (c) Elisa Cappellari (6)Dein Text sieht ja ursprünglich 3 Männer vor, in Bozen stehen nun aber 2 Frauen und bloß 1 Mann auf der Bühne: Was sagst du dazu?

Ich glaube, der Text lässt ganz offen, ob das Männer oder Frauen sind, es gibt keine Stelle, an denen die Figuren als Männer markiert sind. Und ich habe eigentlich den Eindruck, dass diese Figuren gar kein Geschlecht in dem Sinn haben, wie wir das kennen, das sind ja sehr fiktive Gestalten, vielleicht kennen sie diese Kategorien gar nicht. Es ist auch die Frage, ob das überhaupt noch Menschen sind, oder ob wir es hier mit einer ganz eigenen Spezies zu tun haben. Ich glaube, bei Monte Rosa fände ich es immer am Spannendsten, wenn die Schauspieler*innen nicht als Männer oder Frauen auftreten, sondern einfach als Figuren, als Spieler. 

Was fasziniert dich daran, fürs Theater zu schreiben? … Figuren runterzutexten, Dinge passieren zu lassen …?

An Theatertexten mag ich einerseits die klare Form und die Begrenzungen, andererseits das Luftige daran. Ein Theatertext hat ja immer ganz viele Lücken, ganz viele Löcher, vieles, was man nicht sieht oder was man sich hinzufantasieren kann, die Bebilderung passiert ja erst in der Inszenierung. Vor der Umsetzung hat ein Theaterstück etwas Schwebendes, Durchsichtiges – es ist ein Luftgespinst. Diesen Zustand in einem Text mag ich sehr gerne, wenn die Spannung und die Bedeutungen in den Leerstellen und zwischen den Zeilen entstehen.

Wie viel schreibst du jeden Tag? … welche Art von Texten? … ist es dir wichtig, dass die alle irgendwann mal jemand zu sehen bekommt?

Ich schreibe sehr regelmäßig und habe mir auch ein kleines Schreibatelier gemietet, wo ich meine Ruhe habe. An einem Tag schreibe ich meistens eine Szene, ich habe genau Energie für eine Szene, das Schreiben fürs Theater hat für mich etwas Nervöses, da muss man auch manchmal aufstehen und herumlaufen zwischendurch, bevor man eine Szene schreibt, spannt sich innerlich irgendwie ein Bogen an und dann entlädt sich das Ganze, oft brauche ich dafür gar nicht lange, eine Stunde vielleicht, davor und danach schaut man in die Luft, aber das gehört auch dazu, ohne Leerlauf geht gar nichts.

Verwirfst du manchmal auch etwas?

Ja, ich verwerfe sehr viel, vor allem am Anfang, man hat ja zunächst keine freie Sicht auf das, was da entstehen soll, da gibt es keinen vorgefertigten Plan, das Stück liegt nicht einfach so vor einem, sondern das muss erst freigelegt werden, da muss man Schichten abtragen, und jede Schicht, die man abträgt ist ein Entwurf, den man verwirft, und irgendwann kommt dann etwas zum Vorschein, das man nicht mehr verwerfen will, und das ist dann das Stück, aber der Prozess dauert oft lange.

Was sind die Themen, die wir von dir noch zu Gesicht bekommen werden? Warum beschäftigen dich gerade die? 

Ich glaube meine Figuren sind immer in irgendeiner Form auf der Suche nach Kontakt, nach Austausch, nach Nähe, und schaffen das oft nicht so gut. Vielleicht auch weil sie die ganze Zeit damit beschäftigt sind, eine Fassade hochzuhalten. Das ist wahrscheinlich ein Thema, das sich durchzieht bei meinen Texten. Und ich glaube, die Zeit, in der wir leben, spielt auch immer eine Rolle – was ist der moderne Mensch und woran leidet er?

Übrigens wird noch ein Stück von dir grad in Südtirol aufgeführt: am 26. Oktober anlässlich der „Sprachspiele / Linguaggi in gioco“ 2023 „Das weiße Dorf“. Freust du dich? (dich scheinen bei der Themenwahl Konstellationen auf engem Raum zu faszinieren …) 

Ja ich freue mich sehr! Es ist toll, wenn ein Stück herumkommt und fast so etwas wie ein Eigenleben entwickelt, ich werde manchmal gar nicht mehr informiert, wenn ein Stück gespielt wird, und wenn ich dann davon erfahre, freue ich mich jedes Mal sehr und habe das Gefühl, als würde der Text so ganz unabhängig von mir in der Welt sein Ding machen, das ist schön.

Teresa Dopler, *1990 in Oberösterreich, lebt zurzeit in Wien, studierte Sprachkunst an der Universität für angewandte Kunst in Wien sowie Theater-, Film und Medienwissenschaften an der Universität Wien. Längere Auslandsaufenthalte in Spanien, Portugal und Frankreich. Mit „Das weiße Dorf“ gewann sie 2019 den Autor*innenpreis des Heidelberger Stückemarktes, mit „Monte Rosa“ den Publikumspreis des Stücke-Fests am Landestheater Niederösterreich. Teresa Dopler ist Teilnehmerin bei FORUM Text 2018–20 und nahm 2019 an der Residency for Emerging Playwrights am Royal Court Theater teil. Sie erhielt zahlreiche Literaturstipendien, darunter das DramatikerInnenstipendium der Literar-Mechana, das Literaturstipendium der Stadt Linz, das Peter-Turrini-Dramatiker*innenstipendium des Landes Niederösterreich.

Fotos: (1) Teresa Dopler (c) Nenad Popovic; (2) Monte Rosa/VBB (c) Elisa Cappellari.

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