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May 10, 2023

Von vielem eine Menge: The Rocky Horror Show

Kunigunde Weissenegger

Es beginnt zunächst einmal so gar nicht wie ein Musical. Beruhigend ist aber, dass da ein irgendwie bekanntes Gesicht zu uns spricht: Lukas Lobis besetzt den Erzähler der Geschichte, die uns hier in den nächsten zweieinhalb Stunden bannen wird, und gibt so ziemlich präzise Anweisungen, wie wir mitmachen könnten bzw. sollten … Denn das ist Kult: Wenn’s auf der Bühne regnet, kann mit Mini-Wasserpistolen gespritzt werden, wenn Party angesagt ist, können (mitgebrachte) Papierluftschlangen fliegen, und wenn das Ende naht, können (Watt-)Karten springen (und so vielleicht einige zuhause angesammelte Werbegeschenke ihren finalen Nutzen finden …). Dies nur als Beispiele …

Dann geht’s Schlag auf Schlag: Die Geschichte ist bekannt tragisch und kurios, vertraut skurril und doch alltäglich. Fatal. Von den 20 Protagonist*innen sticht bestimmt, neben all den anderen, eines ganz besonders ins Auge: die Bühne, für die Ayşe Gülsüm Özel verantwortlich zeichnet. Bekannt ist die prämierte Bühnen- und Kostümbildnerin für ihre Videoarbeiten, die nun auch bei The Rocky Horror Show der Vereinigten Bühnen Bozen eine Hauptrolle spielen: „Für mich ist die Kamera nicht nur ein Auge, die das Geschehen betrachtet und überträgt, sondern ein Performer, der eine gewisse Selbstständigkeit hat und vor allem mit den Spieler*innen agiert. Die Videos, die ich mit den Spieler*innen drehe, überlagere ich gerne in der Postproduktion und ergänze mit Animationen, wodurch eine neue Ästhetik entsteht, die zwischen der analogen und der digitalen Welt oszilliert. Ein Video im Bühnenbild ist für mich viel mehr als eine Reflexionsfläche, es ist ein Raum, eine Immersion, die weitere Räume generiert und die Bühne erweitert. Wie die Kamera, kommunizieren auch die Videos auf der Bühne mit den Spieler*innen.“„Welcome to Transy lvania“ prangt in großen Lettern auf der Bühne. Nach ein wenig Umherirren von Brad und Janet, ein wenig Verzweiflung und Verwirrung kommen viel Glitzer, Liebe, Lust und Eifer ins Spiel. – Wo sind wir hier überhaupt? „The Rocky Horror Show ist zwar eine musikalische Darbietung einer Sience-Fiction-Geschichte, die Themen aber, die darin behandelt werden, finden mitten in der Gesellschaft statt. So entstand die Idee, sich für das Bühnenbild von der Stadt Bozen inspirieren zu lassen. Aufmerksam war ich auf das heutige Finanzgebäude geworden, vor allem auf seine Geschichte und den Spruch von Hannah Arendt, der sich aktuell auf dessen Fassade befindet: Niemand hat das Recht zu gehorchen. Diese Architektur und der Kontrast, der durch diesen Spruch entsteht, versuchte ich in einer abstrakten Art auf die Bühne zu übertragen. Das Ganze wird von mobilen Elementen ergänzt, die das Genre Musical bedienen und mehr für Glamour und Show stehen, und findet auf einer verlängerten Bühne statt, deren Ende bis mitten in den Zuschauer*innensaal hinausragt, sodass das Publikum nicht nur mitmacht, sondern sich mitten im Bühnengeschehen befindet.“ Genau so hat Ayşe Gülsüm Özel die Frage gelöst, wie sich bühnenbildnerisch an einem tausendfach aufgeführten und interpretierten Musical nicht ab-, sondern hinanarbeiten.

Dass Bozen nicht der Broadway ist, ist nichts Neues, aber „Kunst zu machen ist auch außerhalb der großen Städte wichtig, und jede Atmosphäre hat ihre Vorteile. Es ist eine große Freude, in diesem wunderschönen, speziellen, zweisprachigen Gebiet Italiens zu arbeiten. Die Möglichkeit, Teil eines solchen Gefüges zu sein, bekommt mensch nur an kleineren Theatern – das ist einzigartig und unvergleichbar mit anderen Orten,“ stellt Steven Ralph klar. Auf der Bühne ist er Riff-Raff und für das schreckliche Ende mitverantwortlich. Und darin spiegelt sich wohl die Faszination des Autors Richard O’Brien für Science-Fiction- und Horrorfilme ein wenig wider.

Einer, der auch gern in der Provinz spielt, ist der Meraner Andrea De Majo: „Erstmals wieder seit 2018 stehe ich in Bozen auf der Bühne und es ist mir wieder eine große Freude, mit diesem Team zu arbeiten. Denn genau hier habe ich 2014/15 meinen Weg in die deutschsprachige Theaterwelt begonnen. In diesen neun Jahren bin ich sehr gewachsen. Nun zuhause mit einem größeren Erfahrungsschatz zu spielen, macht alles noch schöner und spannender. Die letzten beiden Monate waren ein besonderes Erlebnis und werden mir immer in bester Erinnerung bleiben.“230504_Rocky Horror Show_K2_c_Nikolaus_OstermannEr interpretiert Rocky: „Diese gemeinsame Reise war wirklich interessant. Die sechswöchigen Proben begannen mit einem Workshop zum Thema Diversity, der uns nicht nur noch mehr die Augen für wichtige Themen öffnete, sondern auch eng zusammengeschweißt hat und als geeinte Gruppe hervorgehen ließ. Das Ziel dieser Aufführung war sofort klar: die Öffentlichkeit und die Gesellschaft für Themen zu sensibilisieren, die leider immer noch sehr aktuell sind. Und genau da habe ich bei der Ausarbeitung meiner Figur angesetzt: Mir war sofort klar, dass es nicht einfach werden würde, geschweige denn gewöhnlich, und ich war sofort Feuer und Flamme für die Art der Stückentwicklung. In der ‚klassischen‘ Rocky Horror Show wird meine Rolle blond und skulptural dargestellt. Bei dieser Produktion konnte ich stattdessen äußerst facettenreich arbeiten, mit verschiedenen Perspektiven spielen – angefangen beim ursprünglichen Menschenbild bis hin zum Thema der Männlichkeit in unserer Gesellschaft, oder der Suche nach dem weiblichen Teil der Figur bis zur Impulsivität und dem sexuellen Instinkt, oder der spielerischen, fast kindlichen Prägung bis zur reifen Reaktion im Moment des Todes seines Schöpfers. Rocky repräsentiert ein Bild der Perfektion, ich aber habe mich in den letzten Monaten vor allem gefragt, was ist eigentlich diese Perfektion? Diese Arbeit war spannend, auch dank des Regisseurs Rudolf Frey und des Choreographen Marcel Leemann sowie der wunderbaren Kostüme von Aleksandra Kica. Ich habe in meiner zehnjährigen Karriere viele Aufführungen bestritten, aber The Rocky Horror Show wird immer einen besonderen Platz in meinem Herzen haben, weil sie unglaublich ist und die Teile von mir zum Vorschein bringt, von denen ich nicht einmal wusste, dass sie existieren, und die voller Emotionen ist, die angesichts der Schönheit und der Zerbrechlichkeit, des Wahnsinns des Menschen auch berühren können.”

Mariyama Ebel ist, in der Rolle der Columbia, zum ersten Mal auf den Brettern der VBB zu sehen: „Columbia ist eine gestrandete Seele, die Frank’n’Furter bei sich aufgenommen und sehr in der Hand hat. Sie ist aufgeweckt, wundervoll weird und sieht das Gute im Menschen, was sie zu einem wichtigen Bindeglied zwischen den Leuten im Haus macht.“ Auf die Frage, inwiefern „The Rocky Horror Show“ auch heute  – in unserer (anscheinend) aufgeklärten Welt – noch besonders in der LGBTQIA+-Popkultur als Meilenstein gelten kann, meint sie: „So aufgeklärt, wie wir denken, ist die Welt leider immer noch nicht. Als schwarze Frau in einer homosexuellen Beziehung bekomme ich täglich mit, wie viel Abneigung und Unverständnis noch unter den Menschen existiert. Je kleiner die Stadt, desto unaufgeklärter sind die Leute. Damit bleibt die Thematik immer noch aktuell.“ 

Also doch.

Fotos: The Rocky Horror Show (c) Nikolaus Ostermann/VBB

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