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April 29, 2020
Was läuft?
Susanne Barta
Corona hat uns unvorbereitet erwischt. Jetzt, zwei Monate später, lassen sich erste Richtungen erkennen, wie es vielleicht nach Corona weitergehen könnte. Blöd ist nur, dass diese Richtungen zum Teil einander entgegengesetzt zu sein scheinen. Die Wirtschaft drängt auf nachholen, schnell und schneller, andere philosophieren über die Möglichkeiten einer Veränderung.
Die Textilindustrie ist von dieser Krise besonders stark betroffen. Wirtschaftlich wie sozial. Zugesperrte Läden, gestoppte Produktionen, nicht abgenommene Ware, Kollektionen, die sich stapeln und irgendwann wieder auf Käufer_innen warten. Und dann die Arbeiter_innen in Produktionsländern wie Bangladesch, Kambodscha, Indien, Vietnam, Ukraine oder der Türkei. Sie trifft es besonders hart, wenn sich die Brands aus der Verantwortung ziehen. Informativ dazu, solltet ihr sie noch nicht gelesen haben, sind die Gespräche mit der Ökonomin Bettina Musiolek und der Nachhaltigkeitsmanagerin Marina Chaboune, die ich vor kurzem geführt habe. Interessant dazu auch das Videogespräch mit Marina für die virtual GREENSTYLE munich.
Aber auch die Fashion-Industrie ist auf Reflexionskurs. Zumindest suggerieren das viele Branchen-Magazine und Plattformen. „So kann es nicht weitergehen“, sagen jetzt selbst einige der Großen, die bisher immer noch weitergemacht haben, koste es, was es wolle. Es brauche, so liest man, eine Umorientierung zu mehr Nachhaltigkeit, Transparenz und Fairness. Wir sind gespannt, ob es dann wirklich Veränderungen geben wird oder ob es bei bloßen Marketing-Ankündigungsgesten bleibt.
„Die Aussichten für viele Mode-Startups waren schon vor der Pandemie nicht allzu gut. Jetzt, wo die Verbraucherausgaben krisenhaft sinken und die Investoren sich davor hüten, mehr Risiken einzugehen, sind die Aussichten geradezu düster, vor allem für Marken, die bei Instagram eher Gefallen als Rentabilität als den wahren Maßstab für Erfolg sahen“, war vor kurzem im täglichen Newsletter der Branchenplattform BoF (Business of Fashion) zu lesen. Ich habe mich bei einigen lokalen Akteuren umgehört, wie sie mit der Krise umgehen. Was läuft und was nicht? Sehen sie Möglichkeiten einer Veränderung? Sie haben den Weg zu mehr Nachhaltigkeit ja schon begonnen zu gehen. Und dass dieser Weg kein einfacher ist, wissen sie längst.
Karin Klammsteiner hat ihr Secondhand-Geschäft Kleopatra in Bozen am 12. März zugesperrt. Am 4. Mai hofft sie, wieder aufzusperren. In der Zwischenzeit arbeitet Karin im Obst- und Gemüsebetrieb ihrer Familie. „Lernen auf hohem Niveau“, beschreibt sie diese Zeit. Da sie einerseits arbeiten und Menschen um sich haben kann, sich andererseits aber „blockiert fühlt, ihre Passion auszuleben“. Die Miete für ihr Geschäft muss sie weiterzahlen. Sie habe gut gewirtschaftet und bis zu drei Monate könne sie durchhalten, länger aber nicht. Diese Zeit sei eine Bestätigung für sie, dass sie diese Arbeit liebt und weitermachen möchte. Karin bereitet sich bereits vor auf die herbeigesehnte Eröffnung, sie wird dann zu ihren Secondhand-Schätzen auch handgefertigten Mundschutz verkaufen. „Ich versuche aus dieser Situation das Beste machen. Und hoffe auch, dass uns diese Zeit lehrt, nur zu kaufen, was man auch anzieht.“
Werfen wir einen Blick nach Bruneck zu Mode Tschurtschenthaler, die in ihrem „Repertoire“ Green Fashion anbieten. Für Stefanie Tschurtschenthaler gilt es, „als erstes nicht zu verzweifeln, auch wenn wir gerne möchten. Uns persönlich ist es sehr wichtig in dieser Zeit, unsere Kunden und alle, die es interessiert, über das uns so wichtige Thema der Nachhaltigkeit zu informieren. Wir sind dabei, jede nachhaltige Firma vorzustellen, mit Fotos und Informationen. Gerade jetzt gibt es die Möglichkeit, dass ein Umdenken stattfinden kann. Uns wird allen bewusst, wie wenig wir eigentlich brauchen und deshalb hoffen wir, dass bei diesem Wenigen in Zukunft mehr auf die Qualität geachtet wird. Wenn wir jetzt nicht zusammenhelfen, wird es viele der kleinen Firmen, die etwas bewirken wollen, nach der Krise nicht mehr geben.“
Die Tschurtschenthalers selbst sind derzeit dabei das Sortiment durchzugehen, um zu verstehen, was auch nächstes Jahr noch verkauft werden kann, sie halten Kontakt zu ihren Firmen und schauen, welche Unterstützung möglich ist. Aber auch sie selbst mussten Zahlungsziele verschieben.
Elisabeth Tocca, Gründerin von CORA happywear, war gerade dabei ihren ersten Shop in der Bozner Vintlergasse zu eröffnen, als anstatt Kunden, Corona vor der Tür stand. „Zunächst“, erzählt sie mir, „habe ich gedacht, das ist das Ende, diesen Schlag überleben wir nicht“. Lisi, wie sie von vielen genannt wird, hat mit ihrem kleinen, nachhaltigen Business schon einige Höhen und Tiefen hinter sich. Sie habe die Zeit dann genutzt, um CORA strategisch weiterzuentwickeln. „Ich bin in die Tiefe gegangen, etwas, wozu ich nie Zeit hatte, da ich so sehr im Operativen beschäftigt war, und habe mir angeschaut, was gut läuft und was nicht.“ Online, meint sie, habe ein großes Potential, „der Online-Verkauf war auch während dieser Zeit gut und hat mitgeholfen, dass der finanzielle Fall nicht ins Bodenlose ging.“ Alle Kosten liefen weiter. Bisher sei nur von ihren zwei größten Kunden storniert worden, von den kleineren bisher nicht. „Ob die Kunden aber dann auch zahlen können, wird sich erst zeigen.“ Lisi glaubt jedenfalls, dass sie diese Krise überstehen wird. Ihr Geschäft in der Vintlergasse ist nun auch offen, da sie neben nachhaltigen Damen-Basics, vor allem Baby- und Kindersachen produziert und verkauft.
Elisabeth Toccas Bruder Daniel hat Anfang Dezember 2019 mit seinem Geschäftspartner Bernhard Schönhuber den Kauri Store in der Bindergasse in Bozen eröffnet. Lange blieb das Geschäft nicht offen. Auch Daniel hofft, am 4. Mai wieder aufsperren zu können. Er ist bereits dabei, alles vorzubereiten, um die entsprechenden Sicherheitsauflagen erfüllen zu können. Die Brands, die im Kauri Store verkauft werden, zahlen derzeit keine Miete, sondern nur Provision. Damit versucht Daniel die Miete für das Geschäft zu decken. In der Branche beobachtet Daniel, dass es für Start-ups gerade leichter ist, sich neu aufzustellen, kreative Lösungen zu finden, als für große Unternehmen mit vielen Mitarbeiter_innen und komplexen Produktionsprozessen. „Yoga, Kosmetik und Sportbekleidung verkaufen sich sehr gut, Elegantes stockt derzeit“, sagt er. Außerdem sieht er eine große Chance für nachhaltige Mode für die Zeit nach Corona. „Die Leute werden bewusster und lokaler kaufen“. Online lief gut, das Kauri-Team steckt auch viel Energie in Social Media. Die Frage aber, die sich Daniel stellt: „Kommen die Kunden nach der Öffnung auch wieder ins Geschäft? Und so zahlreich, dass sich das alles finanziell ausgeht?“
Kauri hat auch zwei Masken-Projekte gestartet: Handgemachte Masken können bestellt und bald auch im Shop gekauft werden. Über das Crowdfunding-Projekt „One for one Mask“ kann man zwei Masken kaufen, eine für sich und die andere geht an einen Geflüchteten.
Ich habe auch bei Hannes Parth von Frumat nachgefragt. Ihr erinnert euch vielleicht, Hannes hat die fabelhafte „Appleskin“ entwickelt, die weltweit immer mehr nachgefragt wird. Der Papiermarkt, Hannes hat auch Apfelpapier entwickelt, läuft weiter, auch die Produktion. Bei Appleskin steht alles. Hannes produziert ausschließlich in Italien. Hauptmarkt aber sind vor allem Nordeuropa und Nordamerika, da dort das Thema Nachhaltigkeit eine viel größere Rolle spielt. Hannes nützt die Zeit, um zu tüfteln, am Design und an der neuen (und ersten!) Website zu arbeiten. Was nicht ganz so einfach ist. Denn er hat vier kleine Kinder zuhause. Seine Frau und er arbeiten beide Vollzeit und das will gut aufgeteilt werden mit Homeoffice, Homeschooling und Home-Kindergarten. Er sieht diese Zeit, so schwierig sie ist, auch als Chance, „denn nachhaltige Materialien werden noch mehr als bisher nachgefragt werden. Ich sehe zuversichtlich in die Zukunft.“
Die Zeit ist herausfordernd für die Fashion-Industrie, umso mutiger ist es, gerade jetzt mit einer neuen Brand zu starten. Sara Canali hat vor kurzem gemeinsam mit Francesca Pozzi SHER Women’s Activewear gelauncht. Beide haben langjährige Erfahrung in der Fashion- und Sports-Industrie. Die SHER-Produkte kommen Corona bedingt erst in der ersten, zweiten Maiwoche. „Meine Partnerin Francesca und ich sind davon überzeugt, dass diese Krise trotz allem auch eine große Chance darstellt, andere, innovative, authentische, empathische Realitäten aufzubauen und die Verantwortung zu übernehmen, um zu einer besseren und nachhaltigeren Zukunft beizutragen. Dies ist unser oberstes Ziel, das uns jeden Tag, auch angesichts von Schwierigkeiten, die Energie und Motivation gibt, nicht aufzugeben, besonders in dieser frühen Phase eines Start-ups.“ Ziel ist es, die Prozesse auch wirklich zu schließen, also so zu produzieren, dass es einen Kreislauf gibt. Gerade im Sporttextilienbereich sei das sehr herausfordernd. Die beiden haben jedenfalls den Grundstein für den Weg dorthin gelegt. Produziert wird in Italien und Portugal, mit sorgfältig ausgewählten Partnern und Materialien. Alles soll so regional wie möglich sein. Wir sind gespannt auf die ersten Produkte.
Und zum Schluss noch ein Blick zu Salewa. Als einziges italienisches Textilunternehmen ist Salewa Lead Partner der Fair Wear Foundation. Alle Produktionsstätten werden dauerhaft zertifiziert und monitoriert. Der Bergsportausrüster hat sehr schnell nach Ausbruch der Corona-Krise Produktionsbetriebe auf die Herstellung von Schutzausrüstung und Atemmasken umgestellt und damit das Sanitätssystem in Südtirol ausgestattet. Darüber war ja viel zu hören, so weit ich das übersehen kann, haben sich Vorwürfe und Polemiken aufgeklärt. Interessant ist, wie Salewa selbst mit der Krise umgeht. Ich habe dazu mit Salewa-Marketingchef Thomas Aichner für die virtuelle Ausgabe der GREENSTYLE Conference ein Videogespräch geführt und da sagt er unter anderem: „Wir werden uns aus der Schnelllebigkeit der Outdoor Fashion schrittweise verabschieden.“
Ich habe eingangs die Branchenplattform „BoF“ über Corona-bedingte Aussichten zitiert und möchte auch so schließen. „Aber es ist nicht alles schlecht da draußen“, heißt es da. „Diese Krise könnte eine neue Welle von Unternehmern inspirieren.“ Let’s see.
Und noch ein allerletzter Hinweis: Bis 9. Mai 2020 findet in Bozen die erste digitale Ausgabe des Sustainability Festivals statt, die vom Kulturverein der Freien Universität Bozen veranstaltet wird. Mehr dazu findet ihr hier.
Fotos: (1) Maske > GREENSTYLE; Lederjacke > Re-Bello; T-Shirt > Thokk Thokk © Susanne Barta; (2+3) © Karin Klammsteiner; (4) © Elisabeth Tocca; (5) © Kauri Store; (6) Tasche aus Appleskin © Nuuwaï; (7+8) © SHER Women’s Activewear
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