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April 28, 2016

Was ist natürlich, was künstlich, wo verläuft die Grenze? Dokumentarfilmer Hannes Lang

Maximilian Mayr
Im folgenden Interview erzählt uns Hannes Lang von seinen bisherigen Erfahrungen als Filmemacher, vom Einfluss den seine Heimat Südtirol auf sein Schaffen hat und von der seiner Meinung nach nicht gerade rosigen Zukunft des Wintersports in den Alpen.

Den Überlebenskampf von Menschen und die unterschiedlichen Veränderungen, mit denen sie zurechtkommen müssen, das will Hannes Lang, nach eigener Aussage,  mit seinen Filmen zeigen. Seit Langs vielfach prämierter Abschlussarbeit “Leavenworth, WA” für die Kunsthochschule für Medien Köln, über ein US-amerikanisches Dorf, das sich aus Tourismusgründen in ein bayrisches Kleinod verwandelt, ist Hannes Lang einer der vielversprechendsten jungen Dokumentarfilmer im deutschsprachigen Raum.

In seinem ersten längeren Dokumentarfilm thematisiert der Filmemacher die Industrialisierung der Alpen und das damit einhergehende Eingreifen in ihre natürliche Landschaft durch den Tourismus. 

Seine letzte Regiearbeit für einen Dokumentarfilm trägt den Titel “I want to see the manager“: Dafür ist der Südtiroler um die ganze Welt gereist und hat Menschen getroffen, die versuchen mit der Globalisierung zurecht zu kommen. Von Thailand über China und Indien bis nach Italien und in die USA dokumentiert Hannes Lang die Zusammenhänge, die unser modernes Wirtschaftssystem hervorgebracht hat. In diesem von ihm ebenfalls produzierten Dokumentarfilm zeigt er Gewinner und Verlierer auf und zeichnet ein bewegendes, allgemeingültiges Bild der Menschen und ihrem Streben nach Glück und Erfüllung.

Hannes, du bist gelernter Schreiner. Wie bist du zum Dokumentarfilm gekommen?

Die Ausbildung zum Schreiner habe ich nicht abgeschlossen, die Liebe zum Holz trage ich dennoch in mir und zum Film bin ich gekommen, bevor ich die Tischlerlehre begonnen habe. Der Beruf des Filmemachers, der des Tischlers und der des Geometers – den ich auch erlernt habe – haben einen gemeinsamen Nenner: Als Ausgangspunkt gibt es das Bedürfnis, etwas zu entwerfen und zu erschaffen oder sich mit etwas auseinanderzusetzen. Ob man Objekte skizziert, Räume möbliert, Gebäude oder einen filmischen Raum entwirft – man hat die Möglichkeit, sich Gedanken darüber zu machen, wie man den vorhandenen Zustand eventuell verändern könnte, um eigene Ideen zu entwickeln.
Von dieser Betrachtungsweise ausgehend habe ich keineswegs das Gefühl, mich besonders weit entwickelt zu haben, allerdings habe ich das Medium gewechselt und mich einem anderen Publikum zugewandt.

Inwieweit beschäftigt oder beeinflusst dich deine Heimat Südtirol in deinem Schaffen?

Da ich bis zu meinem 24. Lebensjahr in der Gemeinde Kastelruth gelebt habe, die mit ihren Attraktionen Seiser Alm und Kastelruther Spatzen ein erfolgreiches Tourismusgebiet darstellt, wurde ich sehr stark von diesem Umstand geprägt. Weiters, finde ich, kann man auch sehr viel an der Architektur von Kastelruth ablesen, die hervorragend in der Lage ist, die Spuren der jüngeren und älteren Vergangenheit wiederzugeben – ein überdimensionierter Glockenturm und eine Kirche, die zum Zeitpunkt ihrer Errichtung in der Lage war, annähernd die gesamte Gemeindebevölkerung der unterschiedlichen Fraktionen aufzunehmen. Des weiteren haben wir einen kleinen historischen Kern, während der große Teil des Dorfes Kastelruth erst in der Nachkriegszeit entstand.
Gemessen an der langsamen Entwicklung, die dieser Landstrich in den Alpen durchlebte, sofern man die speziellen Orte der Bergwerke oder Salzabbaugebiete außer Acht lässt, ist die Veränderung, die mit dem Tourismus einherging, wirklich nur mit einem BOOM zu vergleichen.
Diese Entwicklung ist wiederum typisch für viele Ortschaften in Südtirol. Wenn man hingegen eine deutsche Stadt hernimmt, die aufgrund eines direkten Kriegsaktes verändert wurde, und diese mit einem Südtiroler Ort vergleicht, der aufgrund des Tourismusanstiegs sein Aussehen vollkommen verändert hat, kommt man zum Ergebnis, dass es beiden Orten gleich erging – natürlich mit dem Unterschied, dass ein Ort vom direkten Knall der Bombe zerstört wurde, während wir hier vom Echo jener, die die Bomben abgekriegt haben – den deutschen und italienischen Gästen, die in der Nachkriegszeit vom wirtschaftlichen Aufschwung profitiert haben – nachhaltig beeinflusst wurden.
Das dabei entstandene Kapital wurde von den Touristikern investiert und daraus hat sich eine neue Form der Landschaftsgestaltung entwickelt, die mit dem massiven Einsatz von Schneekanonen wahrscheinlich ihren Höhepunkt erreicht hat. In meinen Debütfilm “Peak” gehe ich der Frage nach, was es bedeutet, in den heutigen Alpen seinen Urlaub zu verbringen. – Welche Folgen hat es für die Landschaft, welche Folgen für die Touristen und, am allerwichtigsten, was geschieht mit den Menschen, die dort leben?  Was passiert, wenn man in einer Gemeinde lebt, die “alles” dafür tut, dass sich der Tourist wohl fühlt, und dabei vergisst, sich zu fragen, was man eigentlich selbst möchte? Insofern beschäftigt mich mein Herkunftsort sehr und tut es auch weiterhin. “Peak” geht allerdings noch weiter, denn neben den touristisch erfolgreichen Orten suche ich auch eine Gemeinde auf, wo es keinen Tourismus gibt und, um ehrlich zu sein, sind die Aussichten dort nicht besonders rosig. Es gibt also keine eindeutige Antwort – ich kann mich nicht pauschal gegen den Tourismus aussprechen. Es bleibt die Frage, wie man ihn nachhaltig gestalten kann und wie man die Natur, die Ansprüche und Bedürfnisse der Einheimischen und die der BesucherInnen sinnvoll miteinander in Verbindung bringen kann. In”Peak” setzt du dich auch mit dem vermehrten Schneemangel auseinander. Warum hast du dieses Thema ausgesucht? Was interessiert dich daran?

Um zu begreifen, weshalb ich mich entschlossen habe, “Peak” zu realisieren, muss man meine beiden vorhergehenden Filme miteinbeziehen: Mein erster Film beleuchtet ein ehemaliges, komplett fertig gebautes Atomkraftwerk in der Nähe von Köln, das nach verweigerter Inbetriebnahmeerlaubnis in einen Freizeitpark umgewandelt wurde, welcher damals den Namen “Kernwasserwunderland” trug. Mein zweiter Film stellt eine US-amerikanische Kleinstadt in den Mittelpunkt, die in den Cascade Mountains, unweit von Seattle liegt und deren Bewohner sich dazu entschlossen haben, die beinahe zur Geisterstadt verfallene Kleinstadt mit Hilfe der Umgestaltung der Gebäude und der Adaption der alpinen Kultur den Tourismus anzukurbeln. Genau genommen haben sie ein bayrisches Dörfchen nachgebaut, ohne dass einer der Beteiligten einen persönlichen Bezug zur deutschen Kultur hatte.
Im Atomkraftwerk-Film “Der schnelle Brüter” wurde für den Tourismus ein Gebäude umgebaut und zweckentfremdet, in „Leavenworth, WA“ eine ganze Kleinstadt. In “Peak” fand ich für mich etwas ganz Besonderes vor: Eine Landschaft, die zu verschwinden droht, und alle Beteiligten mit gesammelten Kräften daran arbeiten, das Verschwinden aufzuhalten. Die größte Form der Künstlichkeit und zugleich die umgekehrte Situation als in den beiden vorherigen Filmen, doch umso interessanter, denn wenn die technische Beschneiung mit den Schneekanonen gut funktioniert, sind alle glücklich und der Tourist gibt sich der vermeintlich unbelassenen Schönheit der steilen oder weniger steilen Skipisten hin. Er genießt es, weit weg zu sein von der Stadt und endlich in der Natur sein zu dürfen. Ich finde dieses Spannungsfeld heute genauso spannend wie 2008, als ich mit dem Projekt begonnen habe. Was ist natürlich? Was ist künstlich und wo verläuft die Grenze?

“Peak” sieht die zunehmende Veränderung unserer Kulturlandschaft durch den Tourismus sehr kritisch. Was wären deiner Meinung nach die Alternativen?

Interessanterweise wird bei “Peak” gerne eine kritische Haltung hinein interpretiert und der Film wird kurz als Umweltfilm zusammengefasst. Was dabei allerdings in den Hintergrund gerät, ist der zweite Erzählstrang des Filmes, der Bergbauern im Piemont zeigt, die gleichermaßen an den Folgen des Klimawandels leiden wie die Skibetreiber und wo aufgrund von großer Abwanderung die Wiesen wieder vom Wald eingenommen werden, der dort schon existierte, bevor die Menschen sie bewirtschafteten.
“Peak” zeigt für mich eine Landschaft, in der der Mensch nur überleben kann, wenn er sich der Natur entgegensetzt, ob es die Rodung des Waldes war, die unsere Kulturlandschaft hervorgebracht hat, oder die künstliche und technische Herstellung des Schnees auf den Pisten. Das Überleben in den Alpen war und ist immer noch von einem großen Kraftakt geprägt, wobei sich heutzutage allerdings die Dimensionen verändert haben und ich mich frage, ob diese veränderten Dimensionen noch vertretbar sind? Alternativen zu finden ist sicherlich nicht einfach, da der Wirtschaftszweig Tourismus Milliarden umsetzt und viele Regionen von der jetzigen Form des Wintertourismus abhängig sind. Ich denke, zum Zeitpunkt ist es primär wichtig, über Möglichkeiten nachzudenken sich vom Wintertourismus unabhängiger zu machen.

Wie siehst du die Zukunft des Wintersports in den Alpen und auch in Südtirol?

Ich bin da ganz nüchtern und realistisch: Jene Skigebiete, die es versäumt haben, sich neben den Schneekanonen die passenden Wasserspeicher zu erbauen, um in der Lage zu sein, in den wenigen Tagen bevor die Saison beginnt, das Pistennetz ausreichend zu beschneien, werden wohl verschwinden. Dies wird wohl auch im gesamten Alpenraum so eintreffen und jetzt kann man von Glück sprechen, dass in Südtirol die Skigebiete gegenüber anderen Regionen nicht so niedrig liegen. Wenn ich daran denke, was eine stark veränderte Wintersaison an Veränderungen mit sich bringt, wird mir schon etwas mulmig. Es wird höchste Zeit, dieses Szenario zu diskutieren und sich Alternativen auszudenken.

Warum hast du dich dazu entschieden den Film mit “Peak” zu betiteln?

Mir scheint, bei PEAK ist es uns gelungen, einen Titel zu finden, der dem Inhalt entsprechend eine Vieldeutigkeit darstellt. “Peak” kann als Gipfel verstanden werden, der uns vorschwebt, wenn wir an einen winterlich unberührten Berg in den Alpen denken, oder “Peak” kann auch als höchster Punkt verstanden werden, von dem es nur mehr bergab gehen kann. Ich liebe es, wenn Dinge in der Schwebe sind und so oder so gelesen oder gesehen werden können. hannes lang 3 Wer sind deine Vorbilder? Wo findest du Inspiration?

Inspiration finde ich immer dann, wenn ich nicht an ein konkretes Vorhaben denke, praktisch erfolgt die Inspiration immer unverhofft, doch eines ist für mich wichtig: Spazieren. Beim Spazieren hatte ich die bisher besten Gedanken meines Lebens.
Es fällt mir allerdings schwer, Personen oder Werke zu nennen, die mir als Vorbilder dienen. Ich interessiere mich für Filme, die auf eine bestimmte Art und Weise von Bildauswahl und Montage Gebrauch machen, sodass sie Räume, Orte, Handlungen, Menschen, Beziehungen aus einer leicht entrückten Position wieder geben. Für alle meine Filme waren allerdings Fotos immer ein sehr wichtiger Ausgangspunkt. Fotos aus dem Internet oder aus Bildbänden, die mich wie aus dem Nichts plötzlich in Besitz genommen haben. Ausgehend von diesen Bildern und der Welt, die sie präsentieren, frage ich mich anschließend unweigerlich, wie es wohl links, rechts, oben und unterhalb vom Bildausschnitt aussehen mag? In diesem Sinne ist ein Foto für mich richtig gelungen, wenn meine Gedanken den Bildrahmen nicht als Grenze empfinden, sondern als Anreiz wahrnehmen, um weiter zu denken.
Dies interessiert mich am meisten, und diesen Zustand finde ich auch erstrebenswert und versuche ihn, in meinen Filmen herzustellen. Sobald jemand etwas herstellt, das in seiner Darstellung nur eine einseitige Lesart in sich trägt, werde ich davon sehr wenig berührt und versuche, den Rest einfach sofort zu vergessen.

Du hast in Köln studiert, wo du auch heute lebst. Warum bist du nach Deutschland gezogen? Welche Vorteile hat es für dich als Dokumentarfilmer im Gegensatz zu Südtirol oder Italien?

Primär bin ich nach Deutschland gegangen, weil ich mit 24 Jahren das Gefühl hatte, nun muss ich wirklich weg von Kastelruth. Deutschland wurde es, weil es dort mehr Auswahl an Filmhochschulen gab und gibt, und vor allem, weil es dort eine andere Kultur von Förderinstitutionen und Sendeanstalten gibt, als man sie in Italien findet. Die Gründung der IDM in Südtirol, früher BLS, hat natürlich gewisse Parameter verändert, was nun für mich wiederum eine neue Möglichkeit darstellt, meinen Lebensmittelpunkt zu verschieben.

Wonach suchst du in deinen Filmen? Was ist dir wichtig aufzuzeigen?

Wenn ich versuche, in den bisher realisierten filmischen Arbeiten eine Gemeinsamkeit zu erkennen, so komme ich sehr schnell zum Punkt, dass das Überleben der Personen auf dieser Erde, auf verschiedenen Kontinenten, in Städten, auf Bergen, in Wüsten, in Mega-Citys oder in Vorstadtsiedlungen als wiederkehrendes Element auftaucht. Was sind die Sorgen und Befürchtungen? Was könnte ihr bisheriges Leben verändern? Dieses Überleben will ich ins Zentrum rücken, ohne die jeweiligen Personen zu exponieren, ich begegne jedem Menschen gleich und wenn ich auf Recherche gehe und über Monate umher reise, ist das erste, das ich verliere, mein eigenes Sein oder meine Weltanschauung. Denn es geht in meinen Filmen vordergründig nicht um mich, sondern um jene Personen, die vor der Kamera ihr Leben darbieten. Dieses Leben will ich einfangen und so zeigen, wie ich es vorgefunden habe. Wenn ich mich dabei nicht verliere, gelingt es mir nur schlecht in ihre Welt einzutauchen, und in Momenten, wo es mir gut gelingt, leide ich an denselben Problemen, an denen meine Protagonisten leiden, und ich freue mich mit ihnen, wenn ihnen was Erfreuliches widerfährt.
Natürlich gibt in letzter Instanz jeder Film allein meine subjektive Wahrnehmung wieder, bin ich doch der Geschichtenerzähler, der Regisseur, und deshalb dreht sich ein Film immer um den Filmemacher – oder die -macherin. Doch im Prozess versuche ich mich in Luft aufzulösen.

Hast du als Filmemacher ein gewisses Publikum vor Augen? Möchtest du eine spezielle Zielgruppe erreichen?

Wenn ich an ein Publikum denke, denke ich an Menschen, die sich freuen, wenn man ihnen die Möglichkeit gibt, etwas zu entdecken und die es verabscheuen, wenn man ihnen einen Film serviert, wo sie am Ende der 90 Minuten wissen, dass die einen gut sind, die anderen böse, und sie das Gefühl haben, sie wissen nun mehr; und weil sie nun mehr wissen, ist die Welt auch eine bessere. Sie müssen also nichts mehr tun, haben ja schon den Film geschaut. Ich suche also Leute, die nach dem Film noch Interesse haben, sich den Gedanken, die meine Filme angestoßen haben, hinzugeben. Meine Erfahrung zeigt, dass ZuschauerInnen, die mit anderer Erwartung in meine Filme kamen, nämlich die Welt erklärt zu bekommen, mit leichter oder größerer Frustration den Kinosaal verlassen haben. Hingegen jene, die sich auf die Reise eingelassen haben, es genießen in diese Welten einzutauchen, die einstweilig auch unverständlich sein dürfen. Würde ich meinem Publikum ein beschreibendes Adjektiv zuordnen, so würde ich es wahrscheinlich mit “neugierig” beschreiben. hannes lang 2 Du benutzt in deinen Dokumentarfilmen keinen Voice-Over. – Warum?

Das Gestaltungselement der erzählenden Stimme, einer allwissenden Person, die den Zuschauer durch den Film führt, finde ich für mich meistens nicht interessant. Ich ziehe es vor, meinen Kommentar durch die Montage von Bildern mitschwingen zu lassen. Was ich wirklich ganz schlimm finde, sind folgende Situationen bei Dokumentarfilmen, Dokumentationen oder Reportagen, die man überall im Fernsehen sieht: Zum Beispiel sieht man eine Frau, die den Hummer, den der Mann gerade auf dem Boot gefangen hat, in kochend heißes Wasser gibt und die Voice-Over-Stimme würde die Szene wie folgt beschreiben: “Den soeben gefangenen Hummer wirft Cornelia direkt ins heiße Wasser…” – In solchen Momenten schalte ich immer um, denn ich finde, man könnte mir schon zutrauen, eine in sich schlüssige Handlung zu interpretieren.
Voice-Over finde ich allerdings eines der schönsten Gestaltungselemente, die es gibt, wo Bilder und Stimme etwas ganz Neues erschaffen können, was man allein nur mit Bildern oder nur mit der Stimme nicht erreichen könnte. In “I want to see the manager” gibt es eine ganze Episode, die mit einer Stimme versehen ist, wo der Zuschauer auch nicht weiß, wem diese Stimme gehört und wo die Stimme herkommt. In diesem Fall war die Stimme notwendig, weil der Inhalt des Voice-Overs die Unsterblichkeit thematisierte und den Wunsch durch technischen Einsatz den Tod außer Kraft zu setzen. – Es ist allerdings interessant, dass am Ende des Voice-Overs aufgelöst wird, wer dieser Mann ist, den wir für ca. 8 Minuten sprechen hörten. Es handelt sich um einen Mann, der in einem Diner sitzt, der an der Schnellstraße in Richtung Bloomfeld in Michigan liegt. – Das fand ich eine schöne Brechung dessen, was man sich gemeinhin erwartet hätte.

Was kannst du uns über deine Produktionsfirma “Petrolio” sagen? Welche Bedeutung hat der Vogel im Logo?

Wichtig ist zu wissen, dass bei Petrolio drei Personen zusammen arbeiten, die sich schon seit mehr als zehn Jahren kennen und sich zusammengeschlossen haben, um gemeinsam Filme zu machen. Mareike Wegener, mit der ich alle meine bisherigen Filme zusammen geschrieben habe, macht selbst Dokumentarfilme, und “Mark Lombardi” war ihr Debütfilm. Carmen Losmann hat mit “Work Hard Play Hard” ihren ersten langen Dokumentarfilm in die Welt gesetzt. Unser Ziel ist die Realisierung von künstlerisch eigenständigen Filmen, die nicht dem Zwang unterworfen sind, einem gewissen Format zu entsprechen, was im Grund genommen immer schwieriger wird. – Leider.
Der Vogel, der sozusagen unserem Firmennamen ein Bild zuordnet, stellt einen Vogel dar, der im Erdöl feststeckt, seine Federn sind verklebt und wie es mit ihm ausgehen wird, ist ungewiss. Erdöl kann man anzünden und alles wird brennen, Erdöl war auch der Auslöser dafür, dass wir uns heute dort befinden, wo wir sind, denn unsere Entwicklung ist erst mit der Motorisierung rasant voran geschritten. Insofern ist der Vogel wie auch der Name Gegenstand eines Zustandes, der in Bewegung ist und wo noch ungewiss ist, wie es ausgehen wird. Dein letzter Dokumentarfilm “I want to see the mangager” berichtet von Menschen aus allen Teilen der Welt und deren Versuch mit der Globalisierung Schritt zu halten beziehungsweise mit deren Folgen zurechtzukommen. Welche persönlichen Erfahrungen nimmst du von den verschiedenen Drehorten dieses Projektes mit?

Meine Erfahrungen haben sich während der Jahre 2012 und 2013 ereignet, wo ich unentwegt von einem Kontinent zum anderen gereist bin und mich innerhalb weniger Stunden oft in völlig anderen Lebenssituationen wiedergefunden habe: Indien, China, Thailand, Bolivien, Venezuela, USA und Italien bildeten dabei meine Ziele, die ich alle mehrmals aufgesucht habe. Dabei ist mir eines klar geworden: Es besteht ein wesentlicher Unterschied darin, ob man sich Wissen über einen komplexen Zusammenhang wie der Globalisierung anliest oder ob man annährend so viele Kilometer reist, wie eine durchschnittliches T-Shirt, das in Indien gefärbt, in Bangladesch genäht und in China bedruckt wird. Ob dieses Beispiel der Wahrheit entspricht, sei dahingestellt. Ich habe mich weniger mit T-Shirts beschäftigt, viel mehr aber mit wirtschaftlichen Entwicklungen, die in diversen Ländern stattfinden und mich daran erinnert haben, was einst in Europa stattfand. Somit hat der Film sehr viel mit Geschichte zu tun, mit Erwartungen, Hoffnungen und auftretenden Problemen. Bei mir ist eine Frage unbeantwortet geblieben: Was macht den Westen so interessant, dass seine Kultur, seine Musik, die Nahrung so erfolgreich sind, den Rest der Welt einzunehmen? Und wieso kommt niemand auf die Idee, andere Werte als erstrebenswert zu etablieren? Dass die von uns ausgehenden Werte nicht gerade zielführend sind, können wir nun wirklich in vielen unterschiedlichen Bereichen erkennen und bekommen es auch direkt zu spüren.

Wie hast du die Locations – Peking, Caracas, Pompeij, Thailand etc. – ausgesucht?

Der Film folgt der Entwicklung und dem Verfall von Staaten/Gesellschaften und von Kapital und sucht dabei kleine Repräsentanten auf, die diese Entwicklung in sich tragen. Es gibt für mich nichts Schöneres als Dinge zu sehen, die, wenn man sie genau betrachtet und die Ebenen dazwischen wahrnimmt und diese mit Linien verbindet, dazu in der Lage sind, ein größeres Bild wieder zu geben, als die einzelnen Bilder in sich beinhalten. Gewissermaßen hat uns ein Thema/ein Land direkt zum nächsten gebracht und es war wie auf einer Achterbahn, die man, wenn man sie einmal betreten hat, automatisch bis zum Schluss durchfahren muss.

 An welchen Projekten arbeitest du im Moment? Was wünschst du dir für die Zukunft – sowohl beruflich als auch privat?

Gegenwärtig arbeite ich an einem Film, der die weite Welt verlässt und sich in entlegenen Orten in den Alpen (Südtirol, Piemont, Lombardei, Tessin und Nordtirol) auf die Suche nach Menschen begibt, die von dem, was draußen stattfindet, unberührt geblieben sind. Je mehr ich mich mit dem Thema beschäftige, desto sichtbarer werden die Brüche im Thema und ich bin schon gespannt, wo mich diese Reise hinbringen wird. Da die Grenze zwischen Privatem und Beruf für mich beinahe nicht existiert, versuche ich manchmal samstags und sonntags nicht zu arbeiten. Fühlt sich gut an.

 Fotos by Hannes Lang 

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