Culture + Arts > Cinema

June 5, 2012

Eine Reise zwischen Deutschland und Argentinien: IFFI-Ehrenpreisträgerin Jeanine Meerapfel im Gespräch

Christoph Tauber

Die deutsch-argentinische Regisseurin und Filmemacherin Jeanine Meerapfel erhält beim diesjährigen Internationalen Filmfestival Innsbruck (IFFI) den IFFI- Ehrenpreis für ihr Lebenswerk. Eine Retroperspektive zeigt eine große Auswahl ihrer Filme aus mehr als 30 Jahren Filmschaffens. Christoph Tauber hat mit Jeanine Meerapfel gesprochen.

Frau Meerapfel, Sie sind jetzt das dritte Mal Gast beim Internationalen Filmfestival in Innsbruck. Was verbinden Sie mit Innsbruck und dem Filmfestival hier?

Dass man hier Filme sehen kann und bringen kann, die sonst oft einfach nicht gesehen werden in Innsbruck oder in Österreich und dass man hier eine kleine Heimat gemacht hat für Filme aus Lateinamerika, aus Asien, aus Afrika. Das ist etwas ganz Besonderes, dass man hier mitten in den Bergen plötzlich eine Heimat findet für eine Kunst, die ansonsten nicht gesehen würde.

Sie haben das Wort „Heimat“ in den Mund genommen. Sie sind in Argentinien geboren, haben in Deutschland studiert und dort lange Jahre gelebt und gearbeitet. Was ist Heimat für Sie? Wo ist Heimat für Sie?

Schauen Sie, Heimat ist eigentlich die Kindheit, da kann man nicht zurück. Das sind die Geräusche, die Töne, die Farben der Kindheit, da kann man nicht zurück. Aber für mich sind es die Orte, wo meine Freunde sind, wo ich mich zu Hause fühlen kann. Das ist nicht ein Ort, das sind verschiedene Orte. Ich fühle mich zum Beispiel jetzt in Innsbruck sehr zu Hause, weil ich hier Freunde habe, weil man hier meine Arbeit achtet und weil man mir das Gefühl gibt, dass die Menschen zusammengehören und das ist ein sehr schönes Gefühl. Also für mich im Moment ist Innsbruck mein Zuhause, ansonsten ist Berlin mein zu Hause im Moment und Buones Aires.

Zu Ihrer Arbeit: Sie haben 1968 ihre Filmausbildung in Ulm abgeschlossen. Dann gab es eine längere Pause, bis Sie den ersten Spielfilm gemacht haben. Warum ist diese lange Pause entstanden und was haben Sie da gemacht?

In dieser Pause habe ich Journalismus gemacht und in dieser Pause habe ich versucht zu verstehen, was es bedeutet, eine Frau zu sein: Soll man eine Familie gründen, soll man… Ich habe gesucht, ich habe lange Jahre gesucht, was mein Weg sein sollte. Frauen brauchen manchmal etwas länger. Also zumindest in jener Zeit war es so, dass man länger gebraucht hat, bis man gefunden hat, welchen Weg man gehen sollte, und ich habe das gebraucht.
Und es braucht Mut anzufangen. Es braucht Mut einen Film anzufangen und das musste ich erst einmal sammeln.

Ihre Filme spielen sehr oft in Argentinien und in der Zeit der Militärdiktatur. Beispielsweise der Film „La amiga“ war für Sie schwierig zu realisieren. Was hat Sie dazu gebracht, trotzdem weiterzumachen?

„La amiga“ entstand, als ich die Mütter getroffen habe, die nach ihren verschwundenen Kindern gesucht haben. Die habe ich sogar schon in Berlin getroffen, weil sie nach Deutschland gegangen sind, nach Prag, um Unterstützung zu suchen. Da habe ich sie kennengelernt. Sie und ihre Geschichte haben mich sehr beeindruckt: Einfache Frauen, die vor die Tatsache gestellt werden, dass ihre Kinder verschwunden sind, auf die Straße gehen und den Mut haben, gegen eine Diktatur anzukämpfen. Dass es das gegeben hat! Sie waren für mich Heldinnen. Und darum „La amiga“.
Ihre Geschichte zu erzählen war deshalb schwer, weil die Militärdiktatur in Argentinien nur fünf Jahre vorbei war. Es gab dieses Gefühl der Unsicherheit, ob es nun möglich wäre, so eine Geschichte jetzt schon zu erzählen. Viele haben gesagt: „Es ist zu früh“, und ich habe gesagt: „Wann wird es endlich nicht zu früh sein, diese Geschichte zu erzählen?“ Aber ich hatte eine Ass im Ärmel, weil ich die Liv Ullmann kennengelernt hatte und sie gebeten habe, die Hauptrolle zu spielen. Das hat dem Film sehr genützt, weil sie sehr bekannt ist.

Die Ereignisse in der Militärdiktatur sind schlimme. Was glauben Sie, kann ein Film für die Aufarbeitung dieser Geschehnisse leisten ?

Ein Film hat keine direkte „Leistung“ in diesem Sinne, sondern ein Film kann erst einmal dazu führen, dass man erst einmal erfährt, was geschehen ist, und dann, noch wichtiger vielleicht, dass wir lernen, dass der Mensch nicht zum Wolf des Menschen wird. Dass man lernt, sich dagegen zu stellen, wenn der Nachbar abgeholt wird oder der Nachbar weggeschleppt wird, dass man nicht die Augen zumacht, wenn solche Katastrophen passieren, denn das kann auch in Afrika sein, in Asien oder in Lateinamerika. Und dass wir lernen, dass wir sehr kräftig sind, wenn wir zusammen sind und uns zusammen tun. Das ist etwas, was diese Filme erzählen können – paradigmatisch oder als Exempel. Andererseits ist es auch eine wunderbare Unterhaltung einem solchen Drama zuzusehen.

Sie wechseln zwischen Dokumentar- und Spielfilmen hin und her. Trotz allem haben Ihre Dokumentarfilme oft „gespielte“ Szenen. Was ist der Reiz für Sie zwischen diesen Genres zu wechseln?

Jedes Thema hat eine eigene Färbung, das kommt von allein. Wenn ich erfahre, dass meine Freundin Melek Deutschland verlassen und zurück in die Türkei gehen will, ist es klar, dass ich keinen Spielfilm daraus machen werde. Sondern ich werde versuchen zusammen mit ihr einen Dokumentarfilm, einen „Essayfilm“ kann man das eher nennen, zu machen. Wenn ich „La amiga“ machen will, so eine unglaubliche Geschichte, dann werde ich einen Spielfilm daraus machen. Es sind unterschiedliche Momente, das ergibt sich von selbst. Es ist nicht so sehr eine bewusste Entscheidung, sondern die Dinge entstehen von selbst und sie sagen von sich aus, wie ich das behandeln soll. Es ist natürlich viel anspruchsvoller einen Spielfilm zu machen, als einen Dokumentarfilm. Es braucht viel mehr Geld, es sind größere Produktionsmittel notwendig, es braucht viel mehr Zeit für die Vorbereitung, und das muss man sich überlegen, ob man das will.

Ihr neuester Film heißt „Der Deutsche Freund“. Worum geht es in dem Film?

Er soll in diesem Jahr in die Kinos kommen und ich hoffe sehr, dass wir ihn nächstes Jahr hier in Innsbruck zeigen können. Ob er in einem Festival in diesem Jahr noch läuft, das wissen wir gar nicht. Es geht um eine Liebesgeschichte, die in den 50er Jahren in Argentinien beginnt und weitergeht bis in die 80er Jahre. Die Liebesgeschichte ist zwischen einem Sohn einer deutschen Familie, die in Argentinien lebt – der Vater war Nazi - und einem Mädchen, die Tochter einer deutsch- jüdischen Familie ist. Sie lernen sich kennen. Und die Geschichte dieser Liebe, über die Jahre, wird erzählt, und wie der Junge sehr lange braucht, um sich überhaupt öffnen zu können. Es ist eine Liebesgeschichte mit einem politisch historischen Hintergrund.

Damit habe ich den Bogen geschlagen zwischen Ihren Anfängen und dem Heute. Danke für das Gespräch.

Print

Like + Share

Comments

Cancel reply

Current day month ye@r *

Discussion+

There is one comment for this article.