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April 19, 2012

Diaz – sehr schwere, gute, Kost am 1. Filmtage-Tag

Kunigunde Weissenegger

NOTE 9/10

Ein schwerer Brocken, dieser Film. Mein zweiter, bei den Bozner Filmtagen: Diaz, don’t clean up this blood. Anfangs sehe ich Genua, Demonstrierende, friedlich, aufrührerisch, viel Polizei, Gewalt auf den Straßen, die Schule als Mediencenter und Sozialforum, einen Pensionisten, einen Touristen, Journalisten, höre deutsch, italienisch, englisch, französisch sprechen.
Diaz, der Film, der den Überfall der Polizei auf die Diaz-Pascoli-Schule während des G8-Gipfels vor knapp 12 Jahren in Genua thematisiert, ist gewiss keine leichte Kost. “Alla Diaz c’è ancora posto.” Deshalb schlafen dort auch der Pensionist, der Tourist, der Journalist und viele, die demonstriert haben und bereits an ihre Weiterreise am nächsten Tag denken. Die Diaz-Schule ist ein Platz zum Schlafen, unluxuriös, mit Schlafsack oder Decke. Weil sonst nichts mehr frei ist. Die Stadt ist überfüllt, auch “stuff” und müde von dem ganzen Auflauf. Es wird Nacht.

Mitternacht. Viel zu viel Polizei steht plötzlich vor der Schule. Stürmt sie und drischt zwei Stunden auf alles ein, was ihr in den Weg kommt. Gnadenlos. 87 Verletzte. Mir wird übel. Ich bemerke, wie zwei Zuseher den Saal verlassen. Mir ist anscheinend nicht alleine schlecht. Der Regisseur meint im Anschluss an den Film auf der Bühne, er habe sich an die Prozessakten gehalten, sie gelesen (deshalb mehrere Monate nicht schlafen können), habe aber die Gewalt um 70% verringert. In den Akten stehe viel Brutaleres. Ihm tue es leid, für die Zuschauer, dass sie die Brutalität nicht aushalten, aber er musste es genau so bringen, weil es ansonsten keiner beachten würde.

Nachdem die zwei den Saal verlassen hatten, werden die Szenen noch brutaler, unmenschlicher. 93 Gefangene. In der Untersuchungshaft gehen die Torturen weiter, körperlich und seelisch. Die verletzten Gefangenen werden drangsaliert und gedemütigt. Am Ende: im Saal Applaus, ich sprachlos, der Film böse. Ich brauche Zeit zum Verdauen.
Was mir aber beim Verlassen des Kinosaals zu denken gibt, ist der letzte Satz des Regisseurs nach dem Film auf der Bühne: Die Polizei hat sich ein solches Handeln erlaubt, weil sie gespürt haben muss, dass nicht nur ein Apparat oder eine höhere Behörde dahinter steht, sondern ein ganzes Volk. – Traurig! Der Film absolut sehenswert.

Zum Interview mit dem Regisseur Daniele Vicari >>

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