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July 11, 2013

Behind Dance. Anastasia Kostner: ”Tanzen ist ein Zeitdokument einer Kultur“

Kunigunde Weissenegger

“Alles Tanz!” heißt es ab Montag wieder in der ganzen Stadt Bozen und “People” ist das diesjährige Motto des 29. Tanzfestivals Tanz Bozen Bolzano Danza 2013. Los geht es aber bereits am Wochenende und eine der Off Stage Performances ist am Sonntag um 11 Uhr auf den Talferwiesen Tresse à 5 voies (Zopf aus fünf Wegen). Die urbane Installation regt Neugierige, Passantinnen und Passanten dazu an, zusammen mit Tänzerinnen und Tänzern zu performen und spontane Körperbewegungen und Tanzschritte zu wagen. Entlang eines fünffarbigen auf den Gehsteig gemalten Zopfes werden tanzend die Talferwiesen erobert. – Notiert euch diese Daten: Sonntag, 14.7.2013 um 11 H Talferwiesen, Montag, 15.7.2013 um 20 H Verdiplatz und Mittwoch, 17.7.2013 um 20.30 H Stadtviertel Kaiserau. (Wir werden das Festival übrigens mit franzPlatz und live Interviews, Tweets und Fotos begleiten – notiert euch schon mal die Hashtags #tanzbozen #bolzanodanza)

Lernen wir gemeinsam eine der Tänzerinnen des Gemeinschaftsprojektes von  Tanz Bozen Bolzano Danza und AlpsMove kennen lernen: Anastasia Kostner aus Gröden, die nun in Amsterdam lebt, für den Tanz aber ständig in der gesamten Welt unterwegs ist, wird neben Evelyn Petruzzino und Vlastimil Viktora ”Tresse à 5 voies” von Thierry de Mey performen. 

Gleich zu Anfang: Wie hat sich deiner Meinung nach das Festival Bozen Tanz mit den Jahren verändert? Wohin könnte es gehen…? Was fehlt in der Tanzszene in Südtirol noch?

Ich glaube, dass in Südtirol die zeitgenössische Tanzszene in den letzten Jahren gewachsen ist. Das Tanz Bozen Festival hat die Kultur in Südtirol bereichert, indem es die ”weltliche” zeitgenössische Tanzszene auf die Bühne nach Südtirol gebracht hat. Es hat auch im Ausland eine gute Reputation. Ein Fortschritt ist in meinen Augen, dass das Tanz Bozen Festival sich mehr und mehr für das Tanzleben in Südtirol geöffnet hat, durch die Zusammenarbeit mit Alps Move, welches aus der Südtiroler Tanzkooperative entstanden ist. Das Festival bietet dieses Jahr beispielsweise Aufführungen mit Tänzern von Alps Move, aber auch einen Wettbewerb für lokale Künstler. Dass es die Südtiroler Tanzkooperative in Südtirol gibt, ist ein wesentlicher und grundlegender Meilenstein für Südtirol. In der Hinsicht sind schon wichtige Schritte geschehen, um das Tanzleben in Südtirol wachsen zu lassen. Mit mehr Geschehnissen im zeitgenössischen Tanz werden auch mehr Leute in diese Kulturform eingeweiht und die Angebot-Nachfrage-Relation könnte wachsen. Es scheint für mich noch alles in einem Anfangsstadium zu sein, denn ich, als zeitgenössisch Tänzerin, könnte schwer vom Tanzen alleine in Südtirol überleben. Ich glaube, dass finanzielle Subventionen nicht dazu geschaffen sind, dass eine Compagnie in Südtirol  überleben könnte. Es ist sehr schwierig in unserem Kultursystem genug finanzielle Mittel zu bekommen – da sind andere Länder ganz Italien weit voraus. Deshalb trifft man viele italienische Tänzer und Choreografen im Ausland.

Wie bist du zum Tanz gekommen?

Als kleines Kind war ich viel mit Musik umgeben, da meine Mutter eine Berufsmusikerin war. Ich habe somit Musik, insbesondere klassische, barocke und zeitgenössische Musik, schon als Kind viel gehört – und wie jedes Kind habe ich die Musik unbefangen in mir aufgenommen und in meinem Fall direkt in Tanz übertragen. Das Tanzen kam für mich somit als natürliche Folgerung auf die Musik, mit der ich umgeben war. Mit vier und fünf Jahren habe ich dann angefangen, mit kleinen Freunden durch die Wohnzimmer zu tanzen – natürlich war immer Musik als Stimulus dabei. Wir haben Eltern vorgetanzt, Kostüme entworfen und kleine Bühnen aufgestellt. Schlussendlich hat meine Mutter mich mit sieben Jahren zum Tanzunterricht eingeschrieben. Dort habe ich zum ersten Mal klassische Ballette gesehen und den ”professionellen, klassischen Tanz” erlebt. Durch meine Musikalität erschien mir alles sehr schlüssig – so, als ob der Tanz eine logische Folgerung auf die Musik wäre.

Erst als Jugendliche habe ich schlussendlich in Brixen durch Elfi Troi den zeitgenössischen Tanz kennengelernt und verstanden, wie der Tanz sich zwischen dem 20. und 21. Jahrhundert entwickelt hat. Ich fand es spannend. Aufführungen mit zeitgenössischem Tanz habe ich dann erst direkt im Studium gesehen. Als ich die Aufnahmeprüfung in Linz startete hatte ich eigentlich vor, Tanzpädagogik zu studieren, da ich von ganzem Herzen wusste, dass es mir Spaß machte, Menschen zum Tanzen zu bringen. Mir war nicht bewusst, dass diese Universität, bei der ich mich für Tanzpädagogik angemeldet hatte, hauptsächlich in zeitgenössischem Tanz ausbilden würde. Als ich dort ankam war ich überrascht, dass die Aufnahmeprüfung so viel Bodenbewegung beinhaltete, die ich noch niemals vorher gesehen, geschweige denn ausgeführt hatte. Die Direktorin lachte bei meiner Nachfrage, ob nicht auch Klavier und Didaktik im Studienplan ständen und erläuterte, dass die Online-Version vom Studienplan schon lange abgelaufen war. Ich fühlte mich ein bisschen wie ein Alien, aber schlussendlich hat mich diese tänzerische Laufbahn und zeitgenössische Richtung überzeugt und erfüllt.

Wer ist Anastasia Kostner noch außer zeitgenössische Tänzerin?

Außer zeitgenössischer Tänzerin bin ich eine Musikliebhaberin, eine Bewunderin der visuellen Kunst und Filmkunst, ein Fan von bewusster Ernährung. Ich vermeide Fleisch schon seit Kind gerne, weil es mir nicht zusagte; andererseits bin ich gegen die Tierhaltung und Massenschlachtung von heutzutage. Ich interessiere mich nicht nur für die Tierwelt, sondern auch  für die Behandlung von Pflanzen und generell auch für eine ökonomische Lebensweise. Gerne lebe ich bewusst im Austausch mit der Umwelt und lerne viel von anderen Menschen auf meinen Reisen. Wichtige Bereiche für mein Leben sind Psychologie und Pädagogik, welche mich in meinem Austausch mit Menschen bereichern. Ich hätte mir auch vorstellen können, Philosophie zu studieren. Neuerdings interessiere ich mich für Rolfing, welches eine therapeutische Methode ist, den Körper mittels Manipulation des Bindegewebes in Balance zu bringen.Anastasia Kostner - 27th characterTrennst du das Berufliche vom Privaten oder ist alles eins und nicht trennbar?

Als zeitgenössische Tänzerin habe ich die Erfahrung gemacht, dass alles, was ich mache, mich in meinem Werdegang als Mensch beeinflusst. Deshalb ist es für mich wichtig, was für eine Lebenseinstellung und Haltung ich pflege, da ich glaube, dass mein Mensch-Sein auf der Bühne sichtbar ist. Es gibt ein Buch von Heinrich von Kleist, ”Das Marionettentheater”, welches dieses Phänomen gut beschreibt. In der Ausbildung in Linz habe ich Stunden damit verbracht, meinen Körper zu spüren und einen Weg für meinen Körper zu finden, dass er unnötige Spannungen los lässt, damit ich Bewegungen ohne extra Spannung ausführen konnte. Dies hat auch mein Sein und mein Denken beeinflusst. Ich glaube fest daran, dass wir unsere Körper so bewegen, wie wir innerlich sind, wie wir denken. Mittels dieses Prinzips sind wir in einem ständigen Werdegang, und die Entwicklung ist niemals zu Ende.

Ich habe schon Situationen erlebt, wo ich mich so sehr auf ein Tanzstück eingelassen habe, dass es mich sogar im Privaten beeinflusst hat. Mit der Zeit lerne ich jedoch, dass ich Stimmungen und Denkenweisen auch an- und ausschalten kann. Ich meine, damit sagen zu können, dass das Private manchmal sogar wichtiger ist (persönliches Wachsen) und dass das Berufliche auf jeden Fall einen Teil von dem ist, was ich bin, aber nicht alles.

Du bist viel unterwegs. Was findest du auf Reisen?

Als allererstes hat mir das Reisen ermöglicht, dem Tanz zu folgen und Gleichgesinnte zu treffen. Zudem hat das Reisen oder besser gesagt, das Wohnen in anderen Orten, ermöglicht, andere Mentalitäten, andere Lebensweisen, andere gesellschaftliche Werte und Normen kennenzulernen. Ich glaube, dass es mich zu einem offeneren und umfassenderen Menschen gemacht hat. Neuerdings gefällt es mir auch, nicht nur alleine von Menschen zu lernen, aber Menschen auch zu bereichern: durch meine Erfahrungen vielleicht, aber insbesondere auch durch den Tanz.

Was fehlt dir hingegen?

Es kann manchmal eine Herausforderung sein, mich ständig an neue Umgebungen anzupassen. In diesem Fall wünsche ich mir manchmal eine Basis. Ein Ort, auf dem ich von Grund aufbaue und zu dem ich immer zurückkehren kann. Ein Ort, den ich mit meinen Erfahrungen fülle und der mir Raum zum Sein und zur Entwicklung gibt. Ich glaube aber, dass so eine Basis mit der Zeit entsteht und ich glaube, dass es ganz gut für mich ist, noch Erfahrung mittels Reisen zu sammeln. 

Was hast du aus Gröden mit nach Amsterdam genommen?

Ich habe meine Erinnerungen, meine Identität und meinen Werdegang mit nach Amsterdam genommen und sogar versucht, diese zu pflegen. Ganz besonders denke ich an meine Großmutter, ihre Lebensweise und ihre Stärken. Auch sind meine Eltern und alte Freunde noch im Austausch mit mir. Ich merke, wie stark meine Kindheitserfahrungen mich in Amsterdam prägen. Dazu gehören die Erfahrungen in Südtirol, aber auch die Erfahrungen aus der Heimatstadt meiner deutschen Mutter. Es ist interessant, meine Denkweisen zu beobachten und sie mit anderen Denkarten zu vergleichen. 

Was bedeuten dir Menschen?

Menschen bedeuten mir sehr viel – insbesondere hatte ich bisher immer die Erfahrung, dass ich der Menschlichkeit vertrauen konnte. Ich glaube, dass der Mensch von Grund auf Gutes will und in der Hinsicht bin ich bereit, dem Guten in den Menschen zu behelfen oder daran teilzuhaben. Durch den Tanz habe ich das Gefühl, besonders dieses Statement darzustellen. Auch in meinem Unterricht nehme ich dieses Prinzip zur Basis. Ich habe großes Interesse an inklusiver Arbeit mit Menschen mit diversen Bedürfnissen und auch an interaktiver Performance, wo ich das Publikum mit einbeziehe.

Bewegung ist…

Bewegung ist Leben. Alles, was lebt, ist in Bewegung und bewegt, um zu leben und um Leben weiterzugeben. Bewegung geschieht bei der Aktion physischer Masse durch Raum und Zeit.

Tanz ist…

Tanz ist eine physische Ausdrucksweise, welche persönlichen Zwecken dienen kann, aber auch eine Kunstform sein kann. Tanzen kann unterschiedliche Seiten der Menschlichkeit ausdrücken und ist ein Zeitdokument einer Kultur und ihrer Denk- und Lebensweise.

Mein Körper…

Mein Körper ist im ständigen Werdegang und enthält all die Erfahrung, die ich seit Embryo in mir gesammelt habe. Er ist intelligent in sich und ich bin mir vieler Dinge in meinem Körper nicht bewusst – er ist aber ständig mit meiner Erfahrung und Emotion im Austausch. Ich versuche, ihn zu pflegen, da er mir die Möglichkeit geben kann, viele Dinge auszudrücken, die schwer in Worte gefasst werden können.

Foto 1: Portrait von Kurt Koegel / Foto 2: 27th Character von Minke Elisa Brands, von Maria Stijger

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