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November 11, 2020

At home again

Susanne Barta

Den ersten Teil dieses Textes schreibe ich am Vormittag (4.11.) nach den US-Wahlen. Das endgültige Ergebnis wird noch dauern, aber es schaut nicht gut aus. Meine Stimmung pendelt zwischen Entsetzen, Ärger und ja, auch Hoffnungslosigkeit. What the hell is going on in this world? What the f*** is happening? Ich bin nicht gewillt, diese Welt den rücksichtslosen Egoisten zu überlassen. Auch wenn sie überall sind. Im Kleinen wie im Großen. Und es scheint, dass sie immer weniger Hemmungen haben. Ich gebe zu, dass ich vorübergehend immer wieder mal den Mut verliere. Ich kann auch den Unsinn der positiven Psychologie nicht mehr hören. Nur Dummköpfe oder geschickte Manipulatoren glauben, dass man sich die Welt gut zurecht denken kann. Das heißt jedoch nicht, dass man keine Gestaltungsspielräume hat. Die gilt es auch zu nutzen. Klar bin ich mir aber noch nicht darüber, ob man den Egoisten einfach ausweichen oder sie mit Betonstirn bekämpfen soll. Wie macht ihr das? Oder stellt sich diese Frage gar nicht für euch?Ulli Barta Foto_2

Und dann auch noch Corona. Und wieder zu Hause. Nicht, dass ich nicht sonst auch viel zuhause arbeite. Aber zuhause sein zu müssen ist was anderes. Es geht wohl nicht anders derzeit. Dass eine zweite Welle kommt, haben alle seriösen Experten vorausgesagt. Wir haben aber, wie es scheint, bis jetzt nicht gelernt, mit dieser Krankheit entsprechend zu leben. Wie es mit Selbstverantwortung und Selbstdisziplin in den Sommermonaten vielfach ausgesehen hat, hat wohl jeder selbst gesehen. Und da sind wir wieder beim Thema Egoisten. Schwummrig wird mir, wenn ich an die Folgen des erneuten Zusperrens denke. Dieser zweite Lockdown legt jedenfalls noch mal mehr Gewicht auf ein eh schon in vielerlei Hinsicht ziemlich schwieriges Jahr.

In diesem Blog geht es um nachhaltige Mode und alles, was sich wirtschafts- und gesellschaftspolitisch rund herum tut, und natürlich auch um Ästhetik und Stil. Wie sich die zweite Corona-Welle auf die Modeindustrie auswirken wird, ist nicht abzusehen. Bisher sind ja auch nicht alle Länder betroffen. Aber schon die erste Welle war hart. Zahlreiche Betriebe, Plattformen, Händler mussten bereits zumachen oder sind in ernsten Schwierigkeiten. Veranstaltungen, Messen, alles abgesagt. Eine Ladenbesitzerin mit tollen nachhaltigen Brands sagte mir, das erste Mal habe sie die Kraft dazu aufgebracht, das durchzustehen, ein weiteres Mal mache sie das nicht mehr, dann suche sie sich einen Job. Sie hat das Glück, dass in ihrer Stadt die Läden bisher nicht geschlossen wurden.Susanne Barta Foto_5

Heute, am frühen Abend (4.11.), schaut es wieder ein wenig heller aus am amerikanischen Wahlhimmel. Vielleicht kann ich mein US-Vintage-Fahnen-Kleid doch noch da lassen und muss es nicht für weitere vier Jahre wegpacken. Allein die Vorstellung, Stimme, Visage, präpotentes Gefasel und Gelüge des orangen Clowns weitere Jahre hören zu müssen, lässt mich erschaudern. Einen seiner sagenhaften Sprüche der letzten Zeit zum Klimawandel habe ich mir notiert: „Es wird auch wieder kälter werden, das wissen die Wissenschaftler nur nicht!“

Susanne Barta USA

Zurück zur Mode. Auf Jogginghose und Schlurfi-Look habe ich ganz im Gegensatz zum ersten Lockdown mal keine Lust mehr. Ich sitze daher von oben bis unten angezogen vor dem Computer. Geschminkt und mit Schmuck. Ich lese und recherchiere viel im Netz. Was mich freut, ist, dass sich klar abzeichnet ist, dass der Resale-Markt stark wächst und nachhaltige Konzepte immer wichtiger werden. Weniger freut mich, dass sich immer mehr zum online Einkauf verlagert, der bei aller Bequemlichkeit mehr Verkehr und Abfall verursacht. Eine der größten Resale-Plattformen thredUP hat dazu einen interessanten Report veröffentlicht. „Veränderungen, die im Einzelhandel bereits im Gange waren, beschleunigen sich gerade rapide.“ Auch unser Konsumverhalten verändere sich: Einerseits versuchen wir zu sparen, andererseits wird mehr auf den Wert der Produkte geschaut. „Marken, deren Kernversprechen Wert und Bequemlichkeit bietet, haben die Möglichkeit, Anteile zu gewinnen. Amazon, Off-Price und Resale sind die Gewinner.“ thredUP zitiert dazu auch einige wichtige Player: „Während die Einzelhandelsbranche vielfach zusammengebrochen ist und von enttäuschenden Gewinnen und einem nicht endenden Handelskrieg nach unten gezogen wird, explodiert der Wiederverkauf“, sagt Forbes. Das Investment Unternehmen Barclays führt aus: „Anders als nach der Finanzkrise glauben wir, dass die Zeit nach Covid eine Chance für Marken ist, sich der Nachhaltigkeit zuzuwenden. Wir erwarten einen anhaltenden, wenn nicht sogar beschleunigten Wechsel hin zu nachhaltiger Mode, wenn sich die wirtschaftlichen Aussichten verbessern.“ Und die New York Times schreibt: „Es besteht kaum Zweifel daran, dass sich die Kaufgewohnheiten nach der Pandemie ändern und bewusster werden, sowohl aus wirtschaftlicher Notwendigkeit als auch aus einem Wertewandel heraus. Unmittelbare Konsum-Befriedigung, wie sie durch Fast Fashion repräsentiert wird, erscheint zunehmend verschwenderisch. Wenn man beginnt, den Wert von Produkten zu verstehen, wird man später bessere Kauf-Entscheidungen treffen.“ Susanne Maria Barta

Wie der Wahlkrimi ausging, wissen wir ja nun. Joe Biden und Kamala Harris übernehmen. YES! Auch wenn Trumps Anwälte noch einige Zeit keine Ruhe geben werden und all die schrecklichen Leute – Trumps Hauptfangruppe: weißer, rassistisch eingestellter, waffenbesitzender und radikalevangelikaler Mann und neuerdings auch geldverliebte Latinos – leider bleiben, bin ich doch hoffnungsvoll, dass dieses Land in den nächsten Jahren seine gröbsten Wunden wird heilen können und wieder als ernstzunehmender, respektabler und der Demokratie verpflichteter Staat zurückkommt. Und ja: Den Egoisten muss man die Stirn bieten.USA (c) Emil Horowitz Foto_10

Fotos: (1) © Susanne Barta. Hose > Arket; Shirt > Armor Lux Secondhand; Pullover > Ralph Lauren Secondhand; Schuhe > Vintage Miu Miu; (2) © Ulli Barta, meine Schwester, und Dave checken die Wahlergebnisse; (3+4) © Susanne Barta. Hose > & other stories Secondhand; Jacke > H&M; Pullover > Mainstay; Brille > handmade Retrosuperfuture; Tasche > Maravillas Bags; (5) © Susanne Barta; (6+7) © Susanne Barta. Kleid > Vintage Catherine Malandrino; Stiefel > Bruschi; (8+9) © Susanne Barta. Hose > JCrew, Oberteil > Kochè x LaRedoute, Brille > handmade Retrosuperfuture; Tasche > Maravillas Bags, Mantel > von meiner Großmutter; Schal > alter Milan Fußballschal; Stiefel > Bruschi; (10) New York City feiert den Wahlsieg von Joe Biden und Kamala Harris © Emil Horowitz. 

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