Contemporary Culture in the Alps
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Büro für Gegenwartskunst

Die (un)üblichen Verdächtigen

Das ist ein Service-Text: Büro für Gegenwartskunst liefert einen Jahresrückblick nach vorn und eine Vorschau zurück. Gewürzt mit Blendern – und Lichtgestalten.

21.12.2025
Barbara Unterthurner

Zarte Handschrift und starke Konzepte: Mit seinem Überblick aufs Werk der 2023 verstorbenen Künstlerin Jacqueline Mesmaeker ist dem Museum der Moderne Salzburg (Mönchsberg) heuer eine wirklich beeindruckende Ausstellung gelungen. Jacqueline Mesmaeker bei der Installation von „Enkel Zicht naar Zee, naar West“, Ausstellung „Aktuele Kunst in België: Inzicht/Overzicht – Overzicht“, Museum van Hedendaagse Kunst, Gent, 1979; Foto: Phillippe De Gobert, Bildrecht, Wien 2025

Wir – und damit habe ich, zugegeben, schon so manchen Text eröffnet – müssen reden! Reden darüber, wieso sich die Tech-Bros auf einer Kunstmesse gegenseitig beschnüffeln. Und wieso ein Hubschrauber die Vernissage zum Rockstar-Event macht. Wir kommen auch 2025 nicht um Leon Löwentraut herum. Es geht in diesem Text also weniger um Licht (nicht wie hier), als um Blender. Dafür letztlich auch um Lichtgestalten, die das kommende Jahr mehr als erträglich machen werden. Ihr ahnt es schon: Heute wird serviciert. Ready für einen Jahresrückblick nach vorn? Eine Vorschau zurück? Antwortet nicht, ich tu es einfach.

Zuerst, weil Jahresende ja immer auch mit einer Art Ranking zu tun hat und uns der Kunstbetrieb auch lehrt, dass es öfter ums Wer als ums Wie geht, let’s see, wer heuer wichtig war. Bei den üblichen Verdächtigen (dem berüchtigten Kunstkompass der Wirtschaftszeitschrift Capital) steht ein üblicher Verdächtiger an der Spitze: Gerhard Richter. Damit ist der deutsche Allesmaler Evergreen und langweiligste Kunstschlagzeile des Jahres (anders als diese Schlagzeile hier ) zugleich. Boring, aber zuverlässig: Auch der heurige Kunstkompass summiert sich mit seinem Punktesystem brav in die immer gleiche Ecke. Dort gilt: Je mehr Personalen, Gruppenausstellungen, Besprechungen und Ankäufe, desto höher der Score. Und Richter ist seit 22 Jahren unerreicht. Und wird es wohl auch bleiben. Da kann auch Rosemarie Trockel (Platz 4!) wenig dagegen machen. 

Dass selbst das Monopol-Magazin Richter heuer an die Spitze seiner Top 100 – äh, richtert, ist also irgendwie enttäuschend. Mega-Ausstellung in der Fondation Louis Vuitton in Paris hin oder her. Dafür hat Monopol die Golfstaaten auf Platz 2 der einflussreichsten Personen (?) gehievt. Und damit endgültig in Stein gemeißelt: Geld regiert die (Kunst-)Welt.

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Apropos Asche: Ich hatte Robo-Dogs versprochen. Ihr bekommt Robo-Dogs. Und teure Blender. Also Beeple, der Einzige, der am NFT-Hype (like, wer’s noch kennt!) wirklich verdient hat. Er, der eigentlich Mike Winkelmann heißt, hat auf der diesjährigen Art Basel Miami Beach mit ein paar unheimlichen Roboterhunden allen die Show gestohlen. Who let the dogs out, fragt ihr? Nebensache. Wichtiger war: Who are the dogs?
Die felllosen Maschinen trugen schließlich die Köpfe der heiligen Tech-Bro-Dreifaltigkeit (Elon, Mark, Jeff). Winkelmanns Spielwiese versammelte aber auch ein hundgewordenen Picasso, einen Warhol und – no shit, einen Beeple. Ein kleines Diorama, nur um einmal für sich zu klären, wer hier eigentlich die Kunstwelt regiert. Und dann? Ist nichts passiert. Trotzdem haben alle hingeschaut.

Anders als bei Winkelmanns berühmtesten Werk. Bei 5.000 Kunstwerken, die er zuerst auf Instagram veröffentlichte und die 2021 dann als gigantisches NFT (Titel: „Everyday: the first 5000 days“) für fast 70 Mio. Dollar über die Auktionstheke gingen. Es kann niemand genau hingeschaut haben – sonst hätte man doch merken müssen, dass das Werk, zumindest auf inhaltlicher Ebene, kaum was wert ist.

Ihr seht, bei den Blendern sind wir angekommen. Dort bleiben wir. Denn wer strahlt da in Deutschland heller als Leon Löwentraut? Der umstrittene Maler hat von der ARD eine eigene Doku als verfrühtes Weihnachtsgeschenk bekommen. Und diese begleitet die Löwentrauts (Leon + Mommy + Daddy) zum Austernessen. Oder Champagnerschlürfen. Zum Pläneschmieden. Aber der Film zeigt auch: Der heute 27-Jährige malt unentwegt. Nur halt ständig dasselbe. Kunstmarktkunst, ja. Teure sogar. Gefällige Köpfe. Bunte Linienmonster. Aufgelöste Landschaften. Das mag Talent sein. Und Handwerk. Vielen reicht das.

Nur den Kritikern (in der Doku sind’s halt nur Männer?) und wichtigen Museen nicht. Dass er ignoriert wird, enttäuscht Löwentraut. Also fliegt er bei der Vernissage mit dem Hubschrauber vor. Das ist dann vielleicht „very rockstar“, wie es in der Doku jemand sagt, aber mehr auch nicht. Es geht nicht um die Frage „Genie oder Einbildung?“, wie der Doku-Untertitel fragt, sondern um die „Relevanzmaschinerie, die sich selbst füttert“, wie Saskia Trebing (Monopol) so schön schreibt. Und anfügt: „Was einiges über den zeitgenössischen Kunstbetrieb aussagt.“ Und einiges über die ARD.

Ja: Wenn man sich dieses Jahr so ansieht, gäbe es viel zum Verzweifeln. Nicht nur außerhalb der Kunstwelt. Sondern auch in der Kunstwelt. Tun wir natürlich nicht – besonders nicht vor Weihnachten. Es gab heuer unzählige Lichtblicke. Weil dort vor allem das Wie zählte.
Die Arbeiten von Jacqueline Mesmaeker haben im Museum der Moderne in Salzburg gezeigt, dass Kunst bis in die kleinsten Ritzen ihres eigenen Hauses vordringen kann. Belinda Kazeem-Kamiński hat in Kunst Meran vorgeführt, dass Geschichten von Kolonialismus in Südtirol sehr wohl zu finden sind. Eine herrlich schräge (so klingt’s zumindest!) Ausstellung zum Einhorn in der Kunst im Museum Barberini erzählt wohl wirklich alles, was jemals jemand über das Fabelwesen wissen wollte. Während das Kunsthistorische Museum Wien mit Michaelina Wautier eine wirklich barocke Entdeckung macht.
Damit ist dieser Servicetext endgültig bei den Lichtgestalten angekommen. Endlich.

Und weil, das wisst ihr schon vom Anfang dieses Textes, ein Jahresende ja immer mit einer Art Ranking zu tun hat, lasst uns selbst eines machen. Eines, mit unüblichen Verdächtigen – diesmal fürs neue Jahr. The best is yet to come (zumindest was für 2026 schon feststeht). Das Büro für Gegenwartskunst wird jedenfalls ein Auge drauf werfen. Für – und mit euch. Bei: RAMMELLZEE (1), Anna Jermolaewa (2) und Maria Lassnig/Edvard Munch (4) – auf Performerin Florentina Holzinger (3) werden wir 2026 gleich mehrfach treffen.

RAMMELLZEE, Exhibition view, Rammellzee ALPHABETA SIGMA (Side A)', Palais de Tokyo, 02.21.2024–05.11.2025, © Photo credit: Aurélien Mole
Anna Jermolaewa, Radical Hope, 2025, © Anna Jermolaewa
Florentina Holzinger, © Christoph Voy
Maria Lassnig, Malfluss = Lebensfluss, 1996, © Maria Lassnig Stiftung, 2025, ProLitteris, Zürich

The best is yet to come, vielleicht schon 2026! Das Büro für Gegenwartskunst freut sich auf Ausstellungen von: 

1.      Sandra Vásquez de la Horra im Haus der Kunst München > Fabelhafte Mischwesen in einem Wirbel aus Malerei, Performance und Szenografie. Kunst trifft auf Riten und feministische Energie – läuft noch bis 17. Mai.

2.      Anna Jermolaewa im Kunstmuseum Liechtenstein > So wie sie hat noch keiner den Alltag entdeckt, „Radical Hope“ ab 23. Oktober.

3.      Ursula Palla im Kunstraum Dornbirn > Wie fragil ist eigentlich das Verhältnis von Natur und Mensch? Fragt die Schweizerin ab 20. November.

4.      Apropos Umwelt: Das EU-Projekt „Project Groundswell“ beschäftigt sich mit Klimaschutz – aus einer fotografischen Perspektive. Der Fotohof ist Teil des Projekts und Auftakt der Ausstellungsreihe > ab 6. Februar.

5.      RAMMELLZEE im Museion Bozen > Graffiti ist erst der Anfang, mit dem Musiker/Künstler RAMMELLZEE kommt die „konzeptuelle Sprache des Widerstands“. Ist der so radikal, wie es klingt? Nachzuforschen ab 16. Oktober.

6.      Eva Schlegel im Kunsthaus Graz > Die österreichische Künstlerin ist immer da, die großen Überblicke sind trotzdem selten: Raum meets Spiegelung meets Unschärfe, ab 23. Oktober.

7.      Maria Lassnig vs. Edvard Munch im Kunsthaus Zürich > Kampf der Giganten oder liebevolle Umarmung? Überprüfen in „Malfluss = Lebensfluss“, ab 2. Oktober.

8.      Und die Biennale in Venedig? Ihr gehört das Frühjahr (offen ab Anfang Mai) > Mit Performance-Künstlerin Florentina Holzinger – zuerst im Österreichischen Pavillon. Dann mit „Étudesind“ am Bodensee.

Ihr seht: Es wird nur besser. Oder mindestens gleich.

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Tags

Buero fuer Gegenwartskunst, Florentina Holzinger, Jacqueline Mesmaeker, Maria Lassnig, RAMMELLZEE
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