Contemporary Culture in the Alps
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© 2025 FRANZLAB
Büro für Gegenwartskunst

It’s gettin’ hot in here

Die neue Kolumne von Barbara Unterthurner vom Büro für Gegenwartskunst auf franz

10.10.2025
Barbara Unterthurner

Bild aus der Sonderausstellung „Frei Schwimmen“ im Haus der Geschichte Baden-Württemberg, u. a. mit Objekten wie der Tür des „Loretto“-Bads in Freiburg, an der sich (Frauen-)Geschichte ablesen lässt; zu sehen bis 12. April 2026; © Haus der Geschichte Baden-Württemberg

Gute Texte beginnen mit einem starken Zitat. Wissen die, die es besser wissen. Jene, die sich mit klugen Referenzen den Weg nach oben freischießen. Aber sorry, bei mir sind Shakespeare und Schopenhauer aus – und auch andere schlaue Buchmänner grad eh irgendwie out. Aber natürlich ist es auch ein Mann, der einst folgenden philosophischen Erguss hatte:

„It’s gettin’ hot in here“

 – sprechsang einmal ein Rapper, den heute auch nur ein Millenial kennt. 2002, das war die Zeit von Nelly, von Reggaeton und Schweiß, der scheinbar keimfrei von der Decke tropft. Was blieb einem da anderes übrig, als frech zu rhymen, „so take off all your clothes“ – ja, mach dich halt nackig! Eine schwitzende Meute zog blank, tanzte sich frei. Und Barbara, was hat das alles mit Kunst zu tun?

Abseits der Künstlichkeit dieses Exzesses einmal kaum was, würde ich hier und heute nicht genau übers Sich-Nackig-Machen texten wollen – selbst in eine wärmende Herbstweste gepackt, wohlgemerkt. Ja, der Summa isch (längst) umma. Und trotzdem bleibt es wichtig, sich dann und wann mal nackig zu machen. Auch außerhalb der Dusche. Und einer intimen Beziehung. Auch ein guter Text macht sich nackig, zieht mal blank. Und in einer guten Ausstellung macht das sogar das Publikum.

Die schönste Museumsschlagzeile 2025?

Ausstellung, Museum – wir haben uns (finalmente!) in künstlerische Gefilde rübergerettet. Oder wenigstens so halb. Denn würde mich jetzt jemand nach der bisher schönsten Schlagzeile 2025 aus der Museumsbubble fragen, dann wäre es wohl diese eine vom Sommer in Stuttgart. „Nackt im Museum: In Stuttgart geht das – der Andrang ist groß“, lässt sich heute noch online lesen. Es ging um die Ausstellung „Frei Schwimmen“, eigentlich keine zeitgenössische Kunst, sondern Kulturgeschichtliches aus dem Haus der Geschichte Baden-Württemberg. Also ums Frei- und ums Hallenbad, um Freiheit vs. Freizügigkeit, Geschlechtertrennung (siehe Bild), Frauengeschichte und queeren Aktivismus, um die Bäder-Historie und die Freikörper-Kultur. Wichtige Sache also. Bei der das Blankziehen nun höchst erwünscht war. Jedenfalls zu bestimmten, ausgewählten Veranstaltungen.

Topless, aber temporär – also alles halb so wild, Skandal ist das doch keiner. Oder? Die Süddeutsche Zeitung wollte mit ihrer Schlagzeile „Nackt im Museum“ das Spiel mit der Aufmerksamkeitsökonomie wenigstens mitspielen – und stellt gleichzeitig die Frage: „Wieso erregt nackte Haut in übersexten Zeiten noch immer?“ Gegenfrage: Ja, tut sie das denn?

Gut, hingeschaut hat man 2013 schon, als das Leopold Museum in Wien damals für die Ausstellung für „Nackte Männer“ auch ein paar entblößte Besucher*innen gierig die damalige Ausstellung schauen ließ. „Nudistenabend“ nannte das damals die Kronenzeitung. Aber ob man nur nackt den Blick auf den nackten Mann er-lernen, um den Blick auf nackte, weibliche Muse ver-lernen kann (das wünschte sich die Ausstellung damals ja), das sei mal dahingestellt. Heute sprechen wir über Musen, indem wir Musen sprechen lassen. „I am my own muse“ sagte vor Kurzem das kleine Klocker Museum in Tirol. Und zeigte Kunst, bei denen sich Künstlerinnen freimachen – frei von veralteten Rollenbildern. Mitsamt einem professionellen Babywiege-Schaukel-Roboter (Credits to Addie Wagenknecht). Und einem Vibrator (Shoutout an Janine Weger).

Meine These ist deshalb – und für diese würde ich sogar blankziehen: So schnell schockt uns nichts. Auch weil:

Exzess? Ist längst musealisiert.

Und das ist eh gut so. Sonst würde man Techno heute vielleicht kaum im Museum hören. Vor Kurzem böllerte das Thema noch durchs Landesmuseum in Zürich. Das Haus landete mit „Techno“ in Großbuchstaben, seinem Blick auf die Techno-Geschichte der Schweiz, übrigens einen Ausstellungs-Hit. Ob unter festem Museumsdach und in wohl temperierten Ausstellungsräumen dabei so richtig geraved wurde – so, dass Schweiß von der Decke perlt, ließ sich von Innsbruck aus schlecht nachvollziehen. Dafür hat das etwas näher gelegene Museion in Bozen im September noch 24 Stunden lang ungestüm seinen Geburtstag gefeiert. Seinen eigenen „Techno Humanities“-Schwerpunkt setzte das Museion ja schon 2021.

Ruhig relevant 

Also was bleibt, wenn nichts bleibt vom Exzess? Ein „Skandal“ um der „Skandal“ willen? Das Leopold Museum geht’s heute ruhiger, kleidsamer an – und gerät deswegen nicht unrelevanter. Dort wird mit „Verborgene Moderne“ eh Verhülltes enthüllt. Nur geht’s um was Düsteres. Um die „Faszination des Okkulten“, damals vor 125 Jahren. Und da war Exzess mal wirklich outdated. Yoga? Fleischloses Leben? Selbstoptimierung? Gab es alles schon um 1900 – versucht uns die Ausstellung von Mit-Kurator Matthias Dusini, Falter-Kulturchef und Meraner Original (Letzteres haben wir schon mal gemeinsam) zu vermitteln. Wir dürfen’s dieser wirklich empfehlenswerten Ausstellung glauben. Weil wo Verschwörungstheorie, da meistens auch irgendwann Faschismus.

Huch, wie kamen wir jetzt aber dorthin? Wie Dusinis Ausstellung, sind auch wir wieder in der Gegenwart angekommen. Und da darf man sich wirklich auch mal nackt machen. Sogar wenn’s ernst wird. Denn egal, ob Exzess oder nicht – dass Kunst und Kultur weiterhin ohne Scheuklappen gemacht (und gezeigt) werden kann, dafür stand „Büro für Gegenwartskunst“ als Experimentierfeld zwischen Kunst-Vermittlung, Kunst-Storytelling und Kunst-Journalismus schon immer ein. Vom Rechtsruck müssen wir uns freimachen. Backlash ausziehen. Reaktionäres entblößen. Wegschauen? Unerwünscht! Querverbindungen ziehen, Vielfalt aufzeigen und leben, das will diese Kolumne exzessiv (weiter-)forcieren. Zumindest in der Gegenwartskunst in und um die Alpen. Wenn ihr mögt, lassen wir gemeinsam die Hüllen fallen. Und kümmern uns wieder um den Inhalt. 

„It’s gettin’ hot in here“ ist also nicht bloß Teaser. Ich will SPOILERN: Hier noch einige Fragen, denen es sich zu widmen gilt: Wann Durchbruch für Kunst-Tunnel im BBT? Welcher Alpengipfel bekommt sein nächstes Kunstwerk und/oder Museum? Wird bei dir noch ge-festivalt oder schon strukturfinanziert? Wann gibt’s in Innsbruck mal wieder neuen, hotten (Kunst-)Scheiß? Und: Wurde Brixen eigentlich schon erhellert? Finden wir’s raus.

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Tags

Buero fuer Gegenwartskunst, journalismus, storytelling, Kunstvermittlung, It’s gettin’ hot in here, nackt, kunst
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