
Aart van Bezooijen, Brigitte Gritsch, Susanne Barta, Katharina Hoch, Giorgia Dall’Osteria, Verena Dariz, © Insieme
Wart ihr bei der UpCon? Der Upcycling Conference der OEW und Uni Bozen im Oktober 2024? Wenn nicht, schade. Neben verschiedenen interessanten Programmpunkten haben dort Giorgia Dall‘Osteria und Katharina Hoch der Sozialgenossenschaft Insieme über das Projekt „New is over!“ und die anderen Aktivitäten – „dal 1979 trasformiamo lo scarto in risorsa“ – berichtet und am UpCon-Markt ihre Einzelstücke verkauft. Nicht nur ich war sehr angetan von dem Projekt und der frischen Energie der beiden. Ende Januar sind wir mit Fashion For Future Bolzano mit dem Zug nach Vicenza gefahren und haben Insieme und ihr engagiertes Team besucht. Nun könnt auch ihr das Projekt kennenlernen.


Einer der Schwerpunkte der Genossenschaft ist die Weiterbearbeitung von Textilmüll – Pre- und Postconsumer Waste von Haushalten und Industrie. Da sammelt sich sehr viel an. Das sollte man wirklich einmal mit eigenen Augen gesehen haben. Auf 300 qm werden bei Insieme jährlich allein von der Stadt Vicenza ca. 350 Tonnen Textilien sortiert. 30 % davon gehen in den eigenen Secondhand-Verkauf (Insieme betreibt drei Geschäfte), 20 % werden, auch in Zusammenarbeit mit Partnern, recycelt und 50 % kommen in den Müll, also auf Müllhalden oder werden in Verbrennungsanlagen zu Energie umgewandelt. Adriano, Giorgia und Katharina haben uns durch die verschiedenen Arbeitsräume bzw. Hallen geführt. An die 200 Personen arbeiten hier, etwa die Hälfte sind sozial benachteiligte Menschen.


2021 launchte Insieme das Upcycling-Projekt New is over!. Ausgehend von der Überzeugung, „dass Kleidung eine Geschichte erzählt und dass die Art und Weise, wie wir uns kleiden, ein sozialer und politischer Akt ist“. Es gehe darum, Aufmerksamkeit zu erzeugen, betonen Giorgia und Katharina. In der Schneiderei zeigt uns Katharina umgearbeitete Skianzüge aus den 1980iger-Jahren, bestickte Cardigans, upgecycelte Blazer, auf dem Innenfutter steht groß New is over!, Strick-Pullis aus auseinandergenommenem Fließmaterial und viele andere coole Upcycling-Designs. Auch eine Zusammenarbeit mit dem Weißen Kreuz gibt es, Arbeitskleidung, die nicht mehr im Einsatz ist, wird umgearbeitet. An Ideen mangelt es nicht, aber wie so oft an der finanziellen Unterstützung. Es bräuchte ein größeres Team, um hier wirklich weiterzukommen, unterstreicht Katherina. Derzeit steht ihr eine Freiwillige zur Seite und zwei Leute im Rahmen von Arbeitseingliederungsmaßnahmen.



Nach der interessanten Führung und einem sehr guten Mittagessen im angeschlossenen Restaurant Al Barco spreche ich mit Katharina über New is over!. Sie ist ausgebildete Herren- und Damen-Schneidermeisterin, lebt seit langem in Italien und baut seit einigen Jahren das Upcycling-Projekt entschlossen auf. Taugliche Stücke, vor allem Sakkos, Shirts, T-Shirts, Jacken, Hosen und Kleider, werden für sie beim Sortieren auf die Seite gelegt. Daraus entwickelt Katharina dann neue, ungewöhnliche Kleidungsstücke.

Katharina, was motiviert dich, dieses Projekt aufzubauen?
Als ich nach Italien kam, habe ich bei verschiedenen sozialen Projekten mitgearbeitet. Das Soziale ist für mich zu einer sinnstiftenden Ergänzung zu meiner Schneider- und Design-Arbeit geworden. Als mich Insieme kontaktierte, war ich sofort interessiert, denn hier verbindet sich die soziale mit der ökologischen Komponente. Hier arbeite ich mit Kleidungsstücken, die schon da sind, und mache daraus etwas Neues. Mein Ziel ist es, aus Kleidung, Kleidung zu machen. Nicht nur eine Tasche oder sonst ein Accessoire. Immer mit dem Gedanken daran, dass auch dieses Kleidungsstück wieder in den Kreislauf zurückkommen soll. Also passe ich auf, nicht zu viele Materialien zu mixen, und schaue, dass die Zusammensetzung so ist, dass das Stück hinterher wieder leicht recycelbar ist.
Wie kommt New is over! an?
Wir sehen hier, wie viel Material ankommt. Und fühlen uns geradezu verpflichtet, noch mehr damit zu machen. Secondhand nur zu verkaufen, reicht nicht. Dafür haben wir den Claim von John Lennon und Yoko Ono „War is over“ übernommen und für uns verändert.
Man könnte sagen recycelt …
Genau. Auch um junge Leute anzusprechen. Das soll sich auch in den Designs widerspiegeln. Das Konzept kommt gut an, aber es ist nicht einfach, die Stücke zu vertreiben, und all das, was dahintersteckt, zu erklären. Viele, die in unseren Secondhand-Läden einkaufen, haben nicht die Kaufkraft, ein aufwendig abgeändertes Kleidungsstück zu erwerben. Daher versuche ich einen Mittelweg zu finden und auch einfache Stücke zu machen, wie T-Shirts mit Aufdruck oder gekürzte Schottenröcke. Das kommt gut an.


Die Schwelle Secondhand einzukaufen ist zum Beispiel in Südtirol noch recht hoch. Welche Erfahrungen macht ihr?
Die Resonanz ist ganz unterschiedlich. Es gibt natürlich die, die noch denken, es sei ein Zeichen von Armut, wenn man etwas trägt, das schon getragen wurde. Aber es bewegt sich einiges und die Leute werden offener. Auch wir hier sind Provinz, wir sind nicht in Mailand oder Berlin. Das wirkt sich auch auf meine Designs aus, das heißt, ich muss schon Abstriche machen. Ich möchte ja die Menschen, die hier leben bedienen.
Für New is over! braucht es also einiges an Kraft und Ausdauer?
Ja, denn eigentlich ist alles eine Herausforderung. Aber das ist auch toll, denn dann kann man zeigen, was man kann. Die Zusammenarbeit mit Menschen aus und in schwierigen Situationen ist immer wieder herausfordernd, gleichzeitig ist auch viel positives Erleben dabei, vor allem wenn man die Veränderungen sieht.


Überproduktion und Überkonsum sind DIE Themen der Textilindustrie. Ihr seht das ja täglich. Macht ihr das konkret zum Thema?
Wir haben bei Insieme auch die Abteilung „Area giovani“. Da gehen wir in die Schulen und informieren u. a. über unseren Umgang mit Kleidung. Wir machen auch Führungen hier für Schüler*innen und (Mode-)Studierende.
Wie soll es weitergehen?
Momentan habe ich noch keinen Verkaufsraum, aber da sind wir dran. Die Schneiderei ist ein Pilotprojekt und wird von Insieme finanziert. Da wir ein sehr kleines Team sind, hat unser Angebot natürlich Grenzen. Es gäbe aber noch so viele Möglichkeiten, zum Beispiel Richtung Home Decor zu gehen. Spannend wäre es auch, mehr mit der Industrie zusammenzuarbeiten und gemeinsam etwas zu entwickeln, das dann auch größere Auswirkungen hat. Bisher arbeiten wir vor allem daran, individuelles Konsumbewusstsein zu verändern.


In jedem dieser Stücke steckt viel Zeit, Können und Liebe zum Detail …
Ja, da steckt sehr viel drin. Aber eigentlich sollte das, was wir hier machen, günstiger sein als Fast-Fashion-Produkte, denn wir arbeiten ja mit Stücken, die schon da sind. Aber das ist natürlich nicht so. Fast Fashion zu kaufen müsste viel teurer sein, als das, was wir hier machen. Da müsste sich grundlegend etwas in der Gesetzgebung ändern. Es wäre so wichtig zu manuellem Können, zu Handwerk zurückzukommen. Die, die reparieren, upcyceln, müssten unterstützt werden. So ein Projekt sollte es in jeder Stadt geben!
Und so steht auf Plakaten unter dem Claim „New is over!“ kleingedruckt: „If you want it“. Es kommt auch auf uns an. Gesetzgebung braucht es, aber wir entscheiden, was wir kaufen und wen wir mit unserem Geld unterstützen möchten.


Vielleicht habt ihr Zeit und Lust auf einen Wochenendausflug nach Vicenza? Am Samstag ist Insieme durchgehend geöffnet. Der große Secondhand-Markt ist eine Fundgrube. Neben Bekleidung, Schuhen, Taschen und Schmuck gibt’s auch Elektrogeräte, Möbelstücke und allerhand Kurz- und Kleinwaren. Im angeschlossenen Café/Restaurant kann man fein sitzen, was trinken, gut und gesund (veggie & vegan) essen und am Samstag findet im Freien auch ein Gemüsemarkt statt.

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