Selbstwirksamkeit und Selbstführung
Gedanken zu meinem 301. Slow Fashion Blog-Artikel

© Susanne Barta
© Susanne Barta
Natürlich würde es schlüssiger aussehen, diese Gedanken zum 300. Artikel zu formulieren. Da ich aber unbedingt noch das Interview mit Mirjam zum neuen Munich Fashion Award einschieben wollte, ist es nun also der 301. Artikel. Die Zahl überrascht mich selbst und ich klopfe mir im Geiste auf die Schulter. Seit August 2019 wöchentlich und unentgeltlich zu schreiben, zeugt von Überzeugung, Passion und Durchhaltevermögen.
Bei einem Spaziergang dieser Tage schwirrten mir die Wörter Selbstwirksamkeit und Selbstführung im Kopf herum. Es sind Schlüsselbegriffe für mich. Das, was sie bedeuten, bedeuten können, scheint mir nicht nur hilfreich, sondern auch eminent wichtig zu sein, diese Zeit mit all ihren (politischen) Verwerfungen nicht nur zu ertragen, sondern auch gestalten zu können. Sich nicht ohnmächtig zu fühlen ist leichter gesagt als getan. Dennoch gibt es immer auch Spielräume und Möglichkeiten, Sinnvolles zu tun. Individuelles Handeln mag zwar minimal und unbedeutend erscheinen, aber zu sagen, „es hilft eh nix, ich alleine kann ja nichts ändern“, ist in meinen Augen eine recht bequeme Ausrede. Individuelles Handeln und systemisches gehen immer Hand in Hand.


Begleitet wird der Artikel von Slow Fashion Outfits, die ich in letzter Zeit getragen habe oder bald tragen möchte. Hier: meine heißgeliebte secondhand Camou-Hose + secondhand Samtblazer, Gürtel, Schuhe und Tasche, Rolli Cora Happywear, Hemd JW Anderson x Uniqulo (Kragen war schon gelblich, von Schneiderin repariert.
Bleiben wir bei den Kleidern. Natürlich rette ich alleine nicht die Welt, wenn ich mein Konsumverhalten verändere, wenn ich weniger und besser kaufe, vor allem auf Secondhand setze. Aber der kleine Beitrag ist nicht zu unterschätzen, auch wenn er unbedeutend erscheint. Wir tun etwas, andere auch, andere kommen dazu, wir engagieren uns gemeinsam, die Bewegung wird größer und größer. Also: Ausschau halten nach Möglichkeiten selbstwirksam zu sein. Das ist für jede und jeden anders. Für mich ist es zum Beispiel diese Arbeit hier und alles, was damit zusammenhängt. Schön fand ich die Antwort von Richard Sennet, US-amerikanischer Soziologe, der vor kurzem der Zeit auf die Frage „was er denn tun würde, wenn er noch jung wäre?“ antwortete, dass er sich einer Hilfsorganisation anschließen würde, um etwas zu tun, was für andere und auch für ihn sinnvoll und befriedigend wäre. Auch ich bin dabei mehr Projekte in diese Richtung zu denken und zu entwickeln, unser Uganda-Aufenthalt im Dezember hat mir dazu einige Anregungen gegeben. Helfen lässt sich dort wirklich an jedem Straßeneck.


Inspired by Jalil Johnson: Leinen Pyjamahose/Vintage for a Cause, sehr alter Cashmere-Pulli, secondhand Mantel und Stiefel, handgestrickte Mütze von meiner Schwester Ulli, Triangle-Scarf und secondhand Rosenbrosche.



Samthose Violeta Nevenova, 2 secondhand Hemden übereinander, secondhand Gürtel und Pumps.
Zurück zur Selbstwirksamkeit und zur Mode. Natürlich können wir etwas tun. Lokal einkaufen, auf Secondhand first setzen, besser produzierende Brands unterstützen, Schuster und Schneider aufsuchen, weil richten und umändern immer noch die beste Lösung ist, Handwerk vor Industrieware … Warum müssen viele aufhören? Weil sie nicht genügend Umsatz machen. Meine Bitte also: nachdenken, wem ihr euer Geld geben möchtet.
Selbstführung wird als die Fähigkeit beschrieben, das eigene Denken und Handeln zu reflektieren, um sich weiterzuentwickeln und persönliche Ziele zu erreichen. Ich würde das noch etwas weiter fassen: Es geht darum, sich ein Instrumentarium zuzulegen, um geistig, psychisch und körperlich gesund und handlungsfähig zu bleiben. Wir brauchen erwachsene und verantwortungsvolle Menschen. Das unterscheidet sich durchaus vom Mode-Begriff Selfcare, der meist mehr mit einem patriarchal-kapitalistisch verorteten Frauenbild zu tun hat als mit wirklicher Selbstfürsorge.

Inspired by Emily Stochl: Meine secondhand Camou-Hose, secondhand Ralph Lauren Polo-Shirt, secondhand Stella-McCartney-Tasche und secondhand Prada-Stiefletten, Rolli Cora Happywear.
Was heißt das nun konkret? Erwachsen sein heißt in meinen Augen, sich und seine Bedürfnisse zu kennen und sie reflektieren zu können, es heißt, seine Familien-Themen angeschaut und so weit als möglich bearbeitet zu haben oder zu bearbeiten, erwachsen sein heißt, Zeit und Mitgefühl für sich und andere zu haben, nach außen und nach innen blicken zu wollen, Verantwortung für sein Tun zu übernehmen und sich Gesellschaft und ihrer Weiterentwicklung verpflichtet zu fühlen …
Es klingt vielleicht etwas banal, aber auch Mode, das, was wir täglich anziehen, kann uns helfen, unser Selbstvertrauen zu stärken und uns wohl zu fühlen. Die Modepsychologie bestätigt das. Wer weiß, wer sie ist und wie sie das ausdrückt, bewegt sich selbstbewusster und gelassener in der Welt. Richard Sennet hat es klug formuliert: „Wer jetzt mit Schaum vor dem Mund reagiert, tappt in die Falle.“ Also kühl bleiben, sich nicht die Freude am Leben verderben lassen, weiter machen, Selbstwirksamkeit und Selbstführung praktizieren, die unterstützen, die unterstützenswert sind, und die Welt nicht Gewissenlosen überlassen.
Da die neue franzmagazine-Website leider keine Kommentarfunktion mehr hat, könnt ihr mir gerne unter su@susannebarta.com schreiben, wenn ihr Anmerkungen, Gedanken dazu habt.
Supported by Kauri Store (M), Oscalito (L) und meiner Freundin Kristin. Wenn ihr diesen Blog auch unterstützen möchtet, gibt’s hier alle Infos.