
© Susanne Barta; Bluse, Blazer und Hose secondhand; fotografiert bei Pezzi di Perla
Erfolgsmeldungen, Negativschlagzeilen, der Siegeszug der Ultra-Fast-Fashion-Plattformen, Umsatzrückgänge in der Luxusindustrie, Konkurse, disrupted Supply Chains, unvorhersehbares Konsument*innen-Verhalten und immer wieder kreative Höhenflüge. Die Fashion-Industrie scheint in einem konstanten Schleudergang zu sein. Aber wie schaut es wirklich aus? Welche Daten gibt es? Wohin geht’s? Nicht nur für einzelne Player, sondern für die Industrie insgesamt? Seit neun Jahren nun schon geben Business of Fashion (BoF) und McKinsey gemeinsam den jährlich erscheinenden State of Fashion Report heraus. Vor kurzem ist die aktuelle Ausgabe BoF-McKinsey State of Fashion 2025 erschienen. Nicht gänzlich überraschend wird prognostiziert, dass vor allem wirtschaftliche und geopolitische Herausforderungen in Verbindung mit veränderten Kund*innen-Ansprüchen ein turbulentes Jahr für die Industrie erwarten lassen. Der Report umfasst 154 Seiten, ist sehr informativ und basiert auf einer breiten Industrie-Rundumschau in Verknüpfung mit entsprechendem Datenmaterial.
Ich habe mich durch den Report gelesen, einige Key-Insights für euch zusammengestellt und die 10 Themen umrissen, die laut Report, die Branche prägen werden. Gleich vorweg, die Stimmung ist wenig optimistisch, Unsicherheit ist der Begriff, der die zukünftigen Szenarien am besten beschreibt. Was verständlich ist, schaut man sich weltpolitisch und klimatechnisch um. Dennoch ist der wirtschaftliche Profit der Industrie zwischen 2022 und 2023 um 16 Prozent angestiegen und wird ein Rekordhoch für 2024 erwartet. Also Jammern auf hohem Niveau bzw. kriegt die Industrie den Hals nie voll genug? Ja auch, aber ganz so einfach ist es nicht. Die Welt, unsere Gesellschaften sind im Umbruch, die Herausforderungen komplex und die Antworten darauf alles andere als einfach bzw. zum Teil noch im Dunkeln. Alle Zahlen und Aussagen, die ich hier wiedergebe – außer meinen persönlichen – stammen aus dem aktuellen Report und sind dort nachzulesen.


In a nutshell:
- Für das Jahr 2025 erwarten 80 Prozent der Fashion Executives keine Verbesserung in der globalen Modeindustrie.
- Das Thema Nachhaltigkeit ist von der Tagesordnung verschwunden.
- Mangelndes Konsument*innen-Vertrauen und mangelnde Kauflust wurden von 70 Prozent der Führungskräfte als größte Sorge für das kommende Jahr genannt.
- Indien startet durch.
- „Silver Spenders“ kommen verstärkt ins Blickfeld, prognostiziert wird eine Abkehr von altersabhängigen Kundenangeboten.
- Der Bekleidungsverbrauch wird bis 2030 voraussichtlich um 63 Prozent auf 102 Millionen Tonnen steigen. Wenn die Branche ihren derzeitigen Kurs beibehält, würde sie bis 2050 mehr als ein Viertel des weltweiten Kohlenstoffbudgets verbrauchen.
- 63 Prozent der Marken sind mit ihren Dekarbonisierungszielen für 2030 im Rückstand.
„The old playbook is now obsolete; the industry will need a new formula.” Oder: Guter Rat ist teuer, so genau weiß offensichtlich niemand, wie es weitergehen kann.

1. Trade Reconfigured
Der Globale Handel verlagert sich, da die großen Volkswirtschaften diversifizieren und ihre Waren aus Ländern beziehen, in denen sie mehr politische Unterstützung erhalten. In der Modeindustrie wird sich das 2025 aufgrund steigender Kosten, sich entwickelnder handelspolitischer Maßnahmen und Nachhaltigkeitszielen beschleunigen. Modemarken werden ihr Sourcing in Asien wahrscheinlich noch stärker diversifizieren und den Aufbau von Nearshoring vorantreiben.
Ziel ist es, die Lieferketten resilienter zu gestalten. Interessant: Der Anteil an Bekleidung und Textilien aus China nimmt ab, ebenso aus Bangladesch, hier vor allem wegen politischer und klimatischer Unsicherheiten. Lateinamerika für die USA und Türkei für Europa haben offensichtlich die Nase vorn. Auch der chinesische Ultra-Fast-Fashion-Gigant Shein setzt verstärkt auf die Türkei.
2. Asia’s New Growth Engines
Chinas wirtschaftliche Wachstumsverlangsamung, veränderte Verbraucherpräferenzen und die Rückkehr des internationalen Reiseverkehrs machen das Wachstum in dem Land zu einer großen Herausforderung, was internationale Modemarken dazu veranlasst, sich nach anderen asiatischen Märkten umzusehen. Indien wird ein Schwerpunkt sein, insbesondere für High-Street-Anbieter, während Japans Luxusboom voraussichtlich bis 2025 anhält. Es wird erwartet, dass Indien im Jahr 2025 die viertgrößte Volkswirtschaft ist, mit einem Wachstum von 7 Prozent jährlich. Damit ist Indien auf dem besten Weg, bis 2027 der drittgrößte Verbrauchermarkt der Welt zu werden.
3. Discovery Reinvented
Fashion-Konsument*innen sind offensichtlich von der Auswahl überfordert, das wirkt sich negativ aus auf das Kaufverhalten. Eine neue Ära der Marken- und Produktauswahl zeichnet sich jedoch ab, die durch KI-gestützte Kuratierung von Inhalten und Suche unterstützt wird.
4. Silver Spenders
Brands haben sich bisher vor allem auf die Jugend konzentriert, aber im Jahr 2025 könnte es schwierig werden, den Umsatz allein mit jüngeren Kund*innen zu steigern. Die „Silver Generation“ im Alter von über 50 Jahren stellt eine wachsende Bevölkerungsgruppe dar, die einen hohen Anteil an den weltweiten Ausgaben hat. Marken, die diese bisher übersehenen Kund*innen ansprechen und gleichzeitig eine generationenübergreifende Anziehungskraft erzeugen, werden zusätzliches Wachstum erzielen.
Interessant: Die Silver Generation legt mehr Wert auf individuellen Stil, als auf Trends. Aber leider: Aufgrund ihrer mangelnden Einstellung zur Nachhaltigkeit in der Mode, greift die Silver Generation 7 bis 17 Prozent-Punkte weniger wahrscheinlich auf nicht-traditionelle Modekanäle, wie den Wiederverkauf, zu. Das gilt es zu ändern, liebe Silver Friends!

5. Value Shift
Der makroökonomische Druck und die steigenden Preise haben dazu geführt, dass Kosument*innen kostenbewusster einkaufen. Es wird erwartet, dass das anhalten wird. Diese Dynamik fördert das Wachstum in Segmenten, in denen ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis besteht, wie z. B. Wiederverkauf, Off-Price und Dupes.
Dazu noch einige Zahlen: 70 Prozent der Verbraucher*innen planen weiterhin bei Outlets oder Off-Price-Händlern einzukaufen, selbst wenn sie mehr Geld zur Verfügung haben. „Wert“ kann unterschiedliche Bedeutungen haben. Für manche bedeutet es, secondhand oder im Ausverkauf zu kaufen, für andere, weniger, dafür aber Qualität zu kaufen. 41 Prozent der Verbraucher*innen schauen in Secondhand-Läden, wenn sie nach Bekleidungsangeboten suchen. Der Wiederverkaufsmarkt in den USA wuchs 15-mal schneller als der gesamte Bekleidungseinzelhandel im Jahr 2023.
6. The Human Side of Sales
Die Differenzierung des Einkaufserlebnisses in Geschäften ist der Schlüssel zur Wiederbelebung der Nachfrage nach persönlichem Einkaufen. Dazu müssen Mitarbeiter*innen in den Geschäften besser ausgebildet werden, da das Verkaufspersonal eine zentrale Rolle spielt.
7. Marketplaces Disrupted
Nach einer turbulenten Zeit für Luxus-E-Commerce-Plattformen stehen Online-Marktplätze für Nicht-Luxusgüter vor ganz eigenen Herausforderungen, sie müssen sich weltweit eine klare Rolle im Mode-Ökosystem erarbeiten, um zu überleben.
8. Sportswear Showdown
Prognosen zufolge werden Challenger Brands im Jahr 2024 mehr als die Hälfte des wirtschaftlichen Gewinns im Sportbekleidungssegment erwirtschaften. Der Kampf zwischen Herausforderern und etablierten Unternehmen auf dem wachsenden Sportbekleidungsmarkt wird sich verschärfen.
9. Inventory Excellence
Lagerhaltung bleibt eine Herausforderung für die Branche, da sowohl Überbestände als auch Fehlbestände die Marken beeinträchtigen. Im Jahr 2025 werden der Druck auf die Gewinnspannen und die Nachhaltigkeitsvorschriften den Schwerpunkt stärker auf eine umfassende End-to-End-Planung legen, wobei die Marken zunehmend technische Hilfsmittel einsetzen und ihr Betriebsmodell anpassen müssen, um flexible Lieferketten zu unterstützen.
Eine Zahl, die zu denken geben sollte: Die Modeindustrie produzierte 2023 schätzungsweise zwischen 2,5 bis 5 Milliarden überschüssige Lagerbestände, im Wert von 70 bis 140 Milliarden Dollar Umsatz. Die EU versucht hier gegenzusteuern: Die Ökodesign-Verordnung für nachhaltige Produkte wird Marken in der EU dazu verpflichten, ab 2025 über das Management von Überschussbeständen zu berichten, und ab 2026 wird es illegal sein, unverkaufte Produkte zu vernichten.

10. The Sustainability Collective
Die Fragmentierung und Komplexität der Wertschöpfungskette in der Modebranche und die mangelnde Bereitschaft der Verbraucher*innen, für nachhaltige Produkte zu zahlen, sind wesentliche Hindernisse für das Erreichen von Nachhaltigkeitszielen. Doch angesichts der Tatsache, dass die Dekarbonisierungsbemühungen hinter den Zielen zurückbleiben und die Klimakrise sich beschleunigt, ist Untätigkeit keine Option. Die Modebranche muss kollektiv handeln, um etwas zu bewirken.
Ist vielleicht alles ein wenig technisch, aber der Report gibt einen guten Ein- und Ausblick, wie sich die Branche entwickelt und mit welch großen Herausforderungen sie konfrontiert ist. Veränderungen stehen an, aber schnell geht hier leider gar nichts. Der zum Teil massive Rechtsruck in vielen Ländern mag vielleicht einige unternehmerische Hürden zurücknehmen, aber in the long run, ist das nur aufgeschoben und vergrößert die Probleme. Mode ist politisch. Mehr, als vielen vielleicht klar ist. Diese Erkenntnis sollten wir im Kopf behalten, vor allem wenn es wieder an die Wahl-Urnen geht.
Den BoF-McKinsey State of Fashion Bericht könnt ihr auch hier herunterladen.
Supported by Kauri Store (M), Oscalito (L) und meiner Freundin Kristin.
Wenn ihr diesen Blog auch unterstützen möchtet, gibt’s hier alle Infos.