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November 6, 2024

Underconsumption Core

Susanne Barta

Der Begriff ist euch vermutlich schon untergekommen. Er ging auf TikTok viral und zieht sich seit einigen Monaten durch die Socials. Wieder ein neuer Hashtag? Wieder ein neuer Trend? Ja, aber vielleicht auch nicht. Denn Underconsumption Core könnte sich mehr zu einem Lebensstil entwickeln als bloße Ästhetik bleiben. Denn eigentlich geht es darum, wieder normal zu konsumieren. Auch wenn es als Headline schick klingt: „The latest shopping trend? Not shopping”, ist es natürlich nicht realistisch, dass wir nicht mehr einkaufen. Aber weniger und vor allem besser, ist angesagt. 

„Underconsumption Core“ stellt Minimalismus und Genügsamkeit ins Zentrum und die Ermunterung nur das zu kaufen, was wir wirklich brauchen. Auch nicht realistisch, denke ich, denn wir sind zu sehr verankert in einer Konsum-Kultur, die immer mehr, mehr, mehr ausruft. Auch haben wir gelernt, dass wir uns eine Freude machen dürfen, dass wir uns so ausdrücken können, wie es uns gefällt. Aber der Trend kann eine Richtung weisen und darauf aufmerksam machen, dass Über-Konsum nicht nur keine Lösung, sondern ein sehr großes Problem ist. Nicht nur für uns.underconsumption core 2-3 (c) susanne bartaDiese Jacke/Kurzmantel habe ich vor einigen Jahren für wenige Euros bei den Secondhand-Damen unter der Dreiheiligenkirche in Bozen gefunden – eines meiner meist getragenen Kleidungsstücke. Gute Stücke müssen nicht teuer sein, die Suche danach lohnt sich. Dazu Secondhand-Isabel-Marant-Jeans, Secondhand-Slingbacks von Peter Kaiser für 3,90 Euro, Mini-Woll-Tuch für einen Euro und eine alte Tasche, die ich mit franz-Lady Kunigunde getauscht habe.

Die Socials sind voll mit Influencer*innen, die uns vollsabbern mit permanent neuen Outfits und Fashion-Trends, neuen Beauty-Produkten, Haarföns, bei Frau über 50 gerne mit Tipps zu Bauchfett und Krampfadern. Natürlich kann frau sagen, da mache ich nicht mit. Die Socials interessieren mich nicht. Ist aber gar nicht so einfach, sich da wirklich abzuschotten. Die Algorithmen sind gnadenlos. Ich kann von mir nicht behaupten, dass ich gegen diese Welle gefeit wäre. Vor allem nicht bei Leuten, deren Stil ich schätze, Brands, die ich mag und Marken, die ich gerne unterstütze. Das, was ich mir angewöhnt habe, ist zu warten. Die meisten virtuellen „Einkaufswägen“ schließe ich wieder. Auch bei Secondhand bin ich immer wieder verführt, wenn ich was richtig Tolles finde, greife ich zu.

Aber offensichtlich haben dann doch immer weniger Leute Lust, ständig neues Zeug zu kaufen, das sie nicht brauchen. Bei Underconsumption Core geht es auch darum, das, was man hat, lange zu benutzen, zu pflegen, auf Langlebigkeit und Qualität zu achten. Secondhand gehört da natürlich dazu. Das zu kaufen, was schon da ist, oder daraus etwas zu machen. Das gilt natürlich nicht nur für Bekleidung, das gilt für alle Lebensbereiche: Möbel, Lebensmittel, Körperpflege-Produkte aufbrauchen, Schminksachen … Ob das gesund ist oder nicht, aber meine Lippenstifte sind zum Teil schon 10 Jahre alt, Lidschatten sowieso. Ich schminke mich wenig, daher habe ich die Sachen ewig. Auch alle Proben brauche ich auf. Wenn was schlecht riecht, entsorge ich es natürlich, aber vorher nicht. Kleidungsstücke räume ich manchmal für Jahre weg und hole sie dann mit Freude wieder hervor. Mein Schrank ist nicht klein, aber ich trage den Großteil meiner Kleider, wenn gar nicht, gebe ich sie gut weiter. 

Auch die Luxus-Industrie steht vor Veränderungen. Einige Player verzeichnen gerade empfindliche Umsatzrückgänge. Vor kurzem hat Imran Amed, Founder The Business of Fashion, über die zu Ende gegangenen Fashion Weeks und den Absatzrückgang in der Luxus-Fashion-Industrie geschrieben: „The combination of customer resistance to dramatic price increases amid declining quality and ongoing questions about industry ethics and sustainability have dented the perceived value of big brand luxury.”underconsumption core 4-5 (c) susanne bartaDie Tasche ist meine Dauerbegleiterin. Die braune Wildleder-Hose kam mehr zufällig zu mir: Ich trug eine geswappte Cordhose, im Laufe des Tages ist sie am Po so weit geworden, dass es aussah als hätte ich in die Hose gemacht. Da ich noch einiges vorhatte, bin ich ins Nolli Vintage rein, hab die Cordhose eingegeben und noch was draufgezahlt und konnte wieder unter Leute gehen. Dazu meine braunen Tods-Secondhand-Stiefletten – sie sind gerade beim Schuster, der Stöckel hat sich wieder gelöst –, Bomberjacke von Violeta, auch sehr viel im Einsatz, und einen alten Woll-Rolli.

Die Suchanfragen nach Underconsumption Core, habe ich gelesen, stiegen laut Google Trends in den letzten 12 Monaten um ca. 4.250 %. Experten sehen darin mehr als einen Trend, sondern eher eine Normalisierung, gewürzt vielleicht mit ein wenig Romantik. Es gehe nicht nur darum, das Budget zu schonen oder sich von Dingen zu trennen, viele Verbraucher*innen seien es einfach leid, das Gefühl zu haben, einem unerreichbaren Lebensstil nacheifern zu müssen. Gleichzeitig möchten viele auch ihren ökologischen Fußabdruck verkleinern. „Unter dem Hashtag zeigen TikTok-User*innen vor allem, wie sie weniger und besser kaufen – sei es, dass sie seit acht Jahren dieselbe Sonnenbrille tragen oder jeden Tropfen eines Beauty-Produkts aufbrauchen“, lese ich bei Vogue. „Für mich bedeutet Underconsumption Core, das zu nutzen, was man bereits besitzt, nicht jeden Trend, den man in den sozialen Medien sieht, mitzumachen und mit einer nachhaltigen Einstellung zu leben“, erzählte eine Designerin und Verfechterin von Slow Fashion zum Thema dem Mode-Magazin.

Eigentlich sprechen wir hier vor allem von gesundem Menschenverstand, der in unserer Über-Konsum-Welt Schritt für Schritt verloren gegangen ist. Braucht es einen neuen Begriff, einen Hashtag dafür, dass wir eine Creme fertig aufbrauchen (ich schneide sie auch immer auf) oder Schuhe zum Schuster bringen? Offensichtlich ja. „Ich glaube, das Problem ist, dass die sozialen Medien, die Influencer-Kultur und die ständige Flut von Einkaufstouren unsere Wahrnehmung dessen, was normaler Konsum sein sollte, verzerrt haben“, sagt eine junge Frau auf den Socials, deren Beitrag viral ging.underconsumption core 6-7 (c) susanne bartaDen Rugby-Sweater habe ich vor nicht allzu langer Zeit bei Vinted erworben. Ich trage ihn sehr viel, immer wieder anders gestylt. Die Jacke kennt ihr, die Tasche auch, die Jean ist von Arket und ebenso eines meiner True-and-Trusted-Stücke, Boots Copenhagen Studios.

Es geht darum, zu nutzen und zu schätzen, was man bereits besitzt. Und unser zum Teil maßloses Kaufverhalten zu hinterfragen. Underconsumption Core folgt auf die Bewegung des Deinfluencing. Auf Zeit Online war dazu folgender Kommentar zum Thema zu lesen: „Wenn man Underconsumption Core nicht als Ästhetik versteht, sondern als Lebensstil, dann ist es einer der authentischsten Trends, die es auf TikTok je gab. Einer, für den man ausnahmsweise wirklich kein Geld ausgeben muss und der dem Kapitalismus nichts bringt. Wenn man ihn ernst nimmt, legt man das Handy zur Seite und geht einfach in seinen ausgelatschten Sneakers spazieren.” Und in ihrem Substack Newsletter schreibt Sustainable Fashion Journalist Katie Robinson: „It makes sense that we have to glamourise underconsumption if we want it to compete with the cult of mindless buying. I call underconsumption core TikTok’s most meta trend yet.“underconsumption core 8-9 (c) susanne bartaZum Rugby-Sweater, ein Seiden-Nachthemd meiner Oma, Tasche, Jacke, Stiefel wie oben.

Wenn ihr mehr dazu sehen und hören möchtet, die dänische Youtuberin Gittemary Johanson hat dazu einiges und noch einiges und noch einiges zu sagen.

Alle Fotos © Susanne Barta; (1) Fondazione Prada, Christoph Büchel – Monte di Pietà

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