Die Gesangswelten der Jessica Gadani …

So viele könnten sich auch heutzutage in einem Aschenbach wiedererkennen … diszipliniert, selbstbeherrscht, ehrgeizig, strebsam, ruhmbegierig, von großem Durchhaltevermögen – alles unter Anführungszeichen zu lesen, denn irgendwo zeigt sich irgendwann auch „Schwäche“, vielleicht im Urlaub … in anderen „schwachen Momenten“ … im Alter … oder schließlich ganz am Ende des Lebens … hinweg sind dann Kühle und Nüchternheit, Gefühle sind (endlich) da …
Vielleicht ist die Geschichte also eine bekannte, aber sicher nicht abgelaufene: „Der Tod in Venedig“ zeigen die Vereinigten Bühnen Bozen zum Einzug ihres neuen Intendanten Rudolf Frey ins Haus von 30. September bis 08. Oktober – „ein multidisziplinäres zeitgenössisches Musik-Theater“ in seinen Worten und eine Koproduktion mit der Stiftung Haydn von Bozen und Trient.Auf der Bühne: das Publikum, weit verstreut: das Orchester, im Saal: die Schauspieler*innen und eine Sängerin – Jessica Gadani. Als Pflegerin begleitet sie Gustav von Aschenbach zusammen mit Lukas Lobis in den Tod. Außerdem verschafft sie mit ihrer Stimme auch jenen und jenem Gehör, die und das ansonsten unbeachtet und Objekt bleiben würde … – wie Tadzio, „der schönste Junge der Welt“.
Hier, an der Schnittstelle von Musik, Theater, Tanz und Performance, findet Jessica Gadanis künstlerische Praxis ihren Ausdruck. Wir haben sie zum Interview getroffen.
Steigen wir gleich ins Stück ein: Was macht es mit dir, wenn sich klassisch Eingeübtes verschiebt?
Stimmt, bei „Der Tod in Venedig“ sitzt das Publikum auf der Bühne und wir spielen über den Sitzreihen auf einer schrägen Raumbühne. Ich habe viele schnelle Kostümwechsel, die sind auf alle Fälle eine Herausforderung. Es macht mir aber großen Spaß, musikalische und performative Techniken, Fähigkeiten und Werkzeuge, die ich mir über die Jahre angeeignet habe, einzusetzen. Ich finde es sehr spannend, in dieser Konstellation zu arbeiten – in einem großen Haus, mit einem Orchester, Regisseur, Dirigent, tollen Kolleg*innen auf und hinter der Bühne … Es ist ein cool gebautes Stück, und mit unserem Regisseur Alexander Charim haben wir viele verschiedene Spielweisen entdecken können. Für mich ist es auch interessant zu spüren, wie ich mich in dieser Arbeit als Performerin finde, ohne direkt am Konzept und an der Struktur mitzuarbeiten wie beispielsweise oft in der Freien Szene in Berlin.
Richtig, du arbeitest freiberuflich in unterschiedlichen performativen Kontexten, in Kooperation mit verschiedenen Künstler*innen, Institutionen und Gruppen. Gibt es so etwas wie einen roten Faden durch dein künstlerisches Schaffen?
Ich habe das Gefühl, dass mich alle Wege, auch wenn sie manchmal in eine andere Richtung gegangen sind, immer wieder zurückführen zu einer Idee von Musik-Theater und den Fragen nach dem Warum und Wie: Warum nehmen wir jetzt diesen alten Stoff auf? Wenn wir dann beschlossen haben, damit etwas Bestimmtes zu erzählen: Wie wollen wir es machen? Und: welche theatralischen Werkzeuge verwenden wir dafür? Wie können wir diese Stoffe für unsere Visionen am besten nutzen? Was wollen wir rausschneiden oder weglassen? Ich würde gerne mein ganzes Leben damit verbringen, mich mit diesen Fragen zu beschäftigen.Nochmal zurück zum Rollenwechsel: Was ist das Spannende bei mehreren Besetzungen? Und was ist dir wichtig, in die verschiedenen Rollen einzubringen?
Woran ich Spaß finde, ist mich selber in all diesen verschiedenen Rollen zu finden. Das zieht sich durch meine gesamte Arbeit. Ich frage mich zum Beispiel bei jedem Song: Wo bin ich in dieser Rolle? Was finde ich für mich Interessantes darin, das ich anderen erzählen möchte? Wenn man diesen Kern findet, ist alles andere einfach. Aus bereits vorhandenem Musikmaterial neue Bedeutungen zu schöpfen und traditionelle Konzepte infrage zu stellen, inspiriert mich sehr.
Wie versuchst du in deiner Arbeit bei der Themenwahl Prioritäten zu setzen?
Ich finde es sehr spannend und interessant, der Unterscheidung von Kunstmusik und Unterhaltungsmusik entgegenzurücken. Von der Abwertung von Unterhaltung halte ich nicht so viel, es interessiert mich vielmehr, die Grenzen zu verwischen. Es ist sicher notwendig, bestimmte Themen anzusprechen, aber manche Kunstschaffende nehmen sich meiner Meinung nach zu sehr ernst. Now don’t get me wrong, wie gesagt, gibt es viele wichtige, ernste Themen, über die man sprechen muss. Aber die Performances, die ich im Kunstbetrieb beobachte, sind grundsätzlich wenig lustig, finde ich. Ich habe dieses Jahr in Berlin ein Recherchestipendium gewonnen, um mich mit Comedy zu beschäftigen. Da werde ich dieses (nicht so ernste) Thema vertiefen.
Was bewegt und beschäftigt dich als Mensch und Künstlerin?
Ich bin dafür, dass wir alle, ob Kinder oder Erwachsene, regelmäßig singen. Das ist so wichtig, finde ich, als menschliche Aktivität, weil du einfach alles rauslassen kannst. Du bewegst mit Vibrationen den Körper von innen. It really makes you happy! Es ist wie mit dem Tanz – tanzen und singen sollte jede*r viel mehr. Aber in unserer Gesellschaft ist das nicht so vorgesehen – man läuft hin und sitzt, man läuft zurück und sitzt … Oder es ist immer mit Talent verbunden, was zwar nicht stimmt, aber sehr wohl prägt. Es geht jedoch nicht um Talent, ich glaube nicht ans Unmusikalisch-Sein, aber sehr ans regelmäßige Tun.Jessica Gadani ist Sängerin und Performerin in Berlin und stammt ursprünglich aus den USA, wo sie 2006 eine klassische Gesangausbildung (Bachelor of Music) am Ithaca College in New York abschloss. Seit 2010 lebt und arbeitet sie als freiberufliche Sängerin und Performerin in Berlin in unterschiedlichen Kontexten und in Kooperation mit zahlreichen Künstler*innen und Gruppen wie Dafna Maimon, Adam Linder, La Cage Compagnie, Ethan Braun, Benjamin van Bebber/Leo Hoffman und dem Solistenensemble Kaleidoskop. Sie ist festes Mitglied der Künstler*innengruppe Ariel Efraim Ashbel and friends, deren erste Produktion ALL WHITE PEOPLE LOOK THE SAME TO ME (2013) sie mit erarbeitete, und ist seitdem als Performerin an jeder Produktion beteiligt. Mit der Gruppe zeigte sie zahlreiche Produktionen am HAU Hebbel am Ufer, Kampnagel Hamburg, FFT Düsseldorf sowie an der Gessnerallee Zürich und war zu den Festivals Impulse, Spielart, steirischer herbst, donaufestival eingeladen.
Fotos: (c) Jessica Gadani (c) Ethan Braun; (2) Jessica Gadani (c) Elisa Cappellari; (3) v. l. Jessica Gadani, Sheila Bluhm, Lukas Lobis (c) Elisa Cappellari; VBB, Der Tod in Venedig: Gustav von Aschenbach —Sheila Bluh, Tino Hillebrand, Niklas Kohrt, Tadzio — Sheila Bluhm, Jessica Gadani, Tino Hillebrand, Niklas Kohrt © Luca Guadagnini.