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May 12, 2021

Tragt ihr Secondhand-Kleidung?

Susanne Barta

Vor kurzem habe ich mir den MoMA-Podcast „Broken Nature – Should Second Hand Be Our First Choice” angehört. Meine Freundin Martina hat mir den Link geschickt, immer wieder bekomme ich spannende Links, die sie findet, zum Thema. Thanxxx Martina! Paola Antonelli, Senior Curator in the Department of Architecture and Design and Director of Research and Development at MoMA, spricht in dem Podcast mit drei Leuten – einem britischen Geographen, einem südafrikanischen Fashion Designer und der Gründerin der Luxury Consignment Plattform The RealReal – über den globalen Secondhand-Markt. Ich habe Paola vor einigen Jahren über meine Schwester kennengelernt, ich schätze ihre Arbeit sehr. Immer wieder thematisiert sie auch Mode und ihre Praktiken.

Wie ihr wisst, bin ich großer Secondhand-Fan. Und damit bin ich nicht alleine. Der Markt boomt, Secondhand und Vintage sind die Wachstumsbranchen der Modeindustrie. Das ist gut, aber ganz so einfach ist es dann doch nicht. Denn das Ungleichgewicht zwischen dem Globalen Norden und dem Globalen Süden wird auch durch den Secondhand-Markt fortgeschrieben.

Susanne Barta Secondhand 2-3

Aber lasst uns zunächst einen Schritt zurück gehen: 1994 schlossen die Industrienationen mit den Schwellen- und Entwicklungsländern die Vereinbarung über Textilien und Bekleidung (Agreement on Textiles and Clothes, kurz ATC). Dieses Abkommen galt bis 2004 und war gedacht als stufenweiser Übergang für die Textil- und Bekleidungsindustrie, die bisher durch Importquoten geschützt war und nun Schritt für Schritt zu einer der Welthandelsorganisation unterliegenden Branche werden sollte. Seit 2005 ist Schluss mit den Quoten und Liberalisierung das neue Zauberwort. Die Marktöffnung ermöglichte der Textilindustrie vor allem die Entkoppelung von sozialen Regulierungen und den multinationalen Importunternehmen dieser Branche die Steuerung ihrer globalen Wertschöpfungsketten. Es braucht nicht viel Phantasie um die Zielrichtung zu erraten: Vergrößerung der Marktanteile durch Kostensenkung. 

Die Folge war ein grundlegender Strukturwandel der globalen Textil- und Bekleidungsindustrie, gekennzeichnet durch massive Produktionsverlagerungen, in deren Verlauf Millionen Arbeitsplätze in den Industrieländern abgebaut und in Entwicklungsländern geschaffen worden sind. Etwas direkter gesagt: Der Ausbeutung billiger Arbeitskräfte war nun Tür und Tor geöffnet. Der komentenhafte Aufstieg der Fast-Fashion-Industrie mit allen Folgen für Menschen und Umwelt hat begonnen. Nutznießer sind vor allem die multinationalen Unternehmen, die an keine globale Sozialverpflichtung gebunden sind, Lieferketten zum Teil bewusst intransparent halten, auf Umweltstandards pfeifen, und den Großteil des Gewinns abschöpfen.rio-lecatompessy-cfDURuQKABk-unsplash 4

Was das mit dem Secondhand-Markt zu tun hat? Ziemlich viel. Denn Secondhand ist im größeren Stil erst möglich, seit unser Konsumverhalten auf Quantität getrimmt ist. Früher war Kleidung wertvoll, sie wurde repariert, umgearbeitet oder für andere Zwecke verwendet. Jetzt wird das meiste entsorgt. Was aber immer mehr zum Problem wird: Ein Großteil unseres abgelegten Zeugs landet in den Ländern des globalen Südens. Sie werden zum Teil überschwemmt damit, vieles landet auf Müllhalden, was schlecht für die Umwelt ist, und die lokale Wirtschaft wird zum Teil stark beeinträchtigt. Ruanda hat den Import von Altkleidern bereits 2019 verboten, weitere Länder wollen folgen. 

Bei uns musste Secondhand erst das Stigma verlieren, das es lange Zeit hatte, nämlich schmuddelig und nur was für arme Leute zu sein. Auch heute ist es für viele noch ein soziales Muss, zu zeigen, was man sich neu alles leisten kann. Aber das verändert sich allmählich, vor allem bei der jungen Generation, und Secondhand entwickelt sich auch hier zu einem interessanten Business Modell. Wir haben ja in der Zwischenzeit soviel Zeug angehäuft, dass wir uns vermutlich alle bis ans Ende unserer Tage kleiden könnten. Aber das ist natürlich unrealistisch und auch nicht wünschenswert. Mode lebt von Kreativität, neuen Ideen, innovativen Materialien, sie ist Ausdruck der jeweiligen Zeit und unserer Gesellschaft. Interessant ist, dass gerade im Design, in der Verarbeitung bereits vorhandener Textilien, viel in Bewegung ist. Immer mehr Designer*innen greifen auf alte Teile, Stoffe, Reste, Abfall etc. zurück, um Neues zu kreieren. Da die Qualität unserer Textilien aber laufend abnimmt, werden Wiederverwendung, -verwertung, und Weiterverkauf schwieriger.Susanne Barta Foto_1

Das Thema ist also komplex, einfache Antworten gibt es nicht. Deswegen ist Secondhand auch nur ein Teil der Lösung für eine nachhaltigere und fairere Modeindustrie. Aber doch ein wichtiger finde ich. Tragt ihr Secondhand-Kleidung? Gebt ihr eure Kleidung weiter? Spendet oder verkauft ihr sie? Werft ihr sie weg? Mehr über Gewinner und Verlierer des Secondhand-Marktes könnt ihr im eingangs erwähnten Podcast hören.Susanne Barta Foto_6

Fotos: (1) © Francois le Nguyen @ unsplash; (2+3) © Susanne Barta, Kleid > Secondhand Wams Innsbruck; (4) © Rio Lecatompessy @ unsplash; (5) © Susanne Barta; (6) © Susanne Barta, Bluse > Humana Vintage Torino; Jeans > Secondhand

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