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May 13, 2020
At home – Day 60
Susanne Barta
Auch in Nicht-Corona-Zeiten arbeite ich von zuhause aus, allerdings mit vielen Ausflügen und Terminen draußen. Aber draußen tut sich noch immer wenig. Der Kleiderschrank ist längst geordnet, Frühlings- und Sommersachen heraus geräumt, Wintersachen mottensicher verstaut. Das ist es auch schon. Die reale Beschäftigung mit meinen Kleidern beschränkt sich auf bequeme Home-Outfits und Jeans und Shirts zum Einkaufen. Die theoretische ist dann doch etwas abwechslungsreicher: Lektüre, Gespräche, Interviews, Videoaufnahmen. Intellektuell anspruchsvoll ist das Thema nachhaltige Mode ja nicht wirklich, wer ein paar Grunddinge gelesen und verstanden hat, hat das ganze Anliegen verstanden. Interessant wird es, wenn man tiefer geht. Die Zusammenhänge einer komplexen Industrie versucht zu verstehen, wie Konsumbedürfnisse geweckt werden und was das alles mit unserem Lebensstil, gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und auch Glaubenssätzen zu tun hat. Interessant ist auch näher hinzuschauen, wie man es besser machen kann. Man selbst als Konsumentin und Unternehmen, die Wert auf eine nachhaltigere und ethischere Produktion legen. Da gibt es viele großartige Labels, Geschichten und vor allem tolle Menschen zu entdecken.
Und ehe man es sich versieht, ist man mitten drin in den gesellschaftlichen Leitdisziplinen. Der Soziologie, Psychologie, Biologie, der Politikwissenschaft, den Klimawissenschaften usw. Die Wirtschaftswissenschaften, ehrlich gesagt, haben theoretisch und praktisch am wenigsten zu bieten. Ihre Theoriebildung ist in den meisten Fällen hängen geblieben bei Angebot und Nachfrage und beim Homo oeconomicus, über den der Rest der Disziplinen sich vor Lachen schüttelt. Seit zehn Monaten schreibe ich hier fast wöchentlich über nachhaltige Mode. Und noch ist mir nicht langweilig geworden. Ich hoffe, euch auch nicht.
Dass Corona einiges verändern wird gesellschaftlich, davon gehe ich aus. Ob zum Besseren oder Schlechteren, das wird sich noch weisen. Aber diese Zeit hat viele von uns gelehrt, dass es ziemlich wenige Sachen braucht, aber sehr viel anderes, das man nicht so leicht kaufen kann. Das hat man bisher in Sonntagsreden gehört, plötzlich wird es real gelebt. Mein Konsum, aber auch Konsumbedürfnis, haben sich drastisch reduziert. Letzte Woche bin ich am Nachmittag mit dem Rad durch die Stadt gefahren. Und habe im Vorbeifahren die verwaisten Schaufenster angeschaut. Und mich gefragt: Wer um Himmels willen soll das alles kaufen? Aber vor allem: Wer um Himmels willen will das alles kaufen? Viele dieser Waren wirken so was von traurig und „cheap“. Ich glaube, dass es nicht nur mir so geht. Schwierig natürlich für viele Geschäfte und Unternehmen. Aber das überbordende Angebot, die immer schlechter werdende Qualität, die billigen und mies produzierten Fetzen, die ständige Behämmerung mit Konsumbotschaften nerven schon lange. Dass hemmungsloser Konsum nicht gut enden wird, wissen wir auch. Also: What to do? Tun kann man schon einiges: Besser kaufen und weniger zum Beispiel. Vor allem weil sich viele mehr als bisher überlegen müssen, wofür sie ihr Geld ausgeben. Und kleine Unternehmen unterstützen, die nachhaltig und ethisch versuchen zu produzieren, regionale Kreisläufe stärken oder gleich zu Secondhand greifen und Kleidung so länger im Kreislauf halten.
Und was meine Kleider betrifft: Ob die Lust auf ein bisschen Styling wieder kommt? Meine Schwester, die sich in dieser Hinsicht ihr Leben lang ziemlich ausgetobt hat, meinte erst kürzlich, eigentlich sei das nur mehr etwas für junge Leute. Ich bin mir da nicht sicher. Immerhin hat das auch mit Lebensfreude zu tun, mit Selbstausdruck, mit Spiel. Derzeit bin ich noch auf dem Punkt, dass ich die bequemen Jogginghosen, Leggings und Sporthosen nicht ausziehen möchte. Auch nicht für normale Termine. Mal sehen, was daraus wird.
Fotos © Susanne Barta: (1) T-Shirt > Secondhand, Laufhose > gehört meinem Sohn, Socken > Arket; (2) Pyjamahose > Intimissimi, Leinenhemd > alt; (3) Hemd > von meinem Sohn übernommen, Leggings > Kochè x La Redoute
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