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February 19, 2020

Der Mode auf der Spur: Barbara Vinken

Susanne Barta

Ihr Buch „Angezogen. Das Geheimnis der Mode“ hat mich in den letzten Monaten begleitet. Es ist informativ, klug und spannend. Und gibt der so oft als oberflächlich gescholtenen Mode einen soliden und dennoch auch kurzweilig zu lesenden theoretischen Unterbau. Barbara Vinken ist Professorin für Allgemeine Literaturwissenschaft und Romanische Philologie an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Ihr Buch widmet sie ihrer Mutter und „all den Textilarbeiterinnen, die in den verschiedenen Wellen des Ruins der europäischen Textilindustrie ihre Arbeit verloren haben und bis heute in der globalen Verlagerung der Ausbeutung zu Tode kommen“.

Frau Vinken, wie sind Sie als Literaturwissenschaftlerin und Romanistin zur Mode gekommen?

Kleider kann man lesen wie Gedichte. Im Prinzip werden ganz ähnliche Figuren verwendet, in beiden gibt es Intermedialität und Intertextualität, eine Kunst der Erinnerung. Man versteht Kleider nur, wenn man sie wie ein Gedicht analysiert. Und dann hatte ich auch Lust, die Mode mehr aus dem Feld der Soziologie in das Feld der Ästhetik zu rücken. Ich war sozusagen auf einer Art Raubzug, wo ich die Mode als Kunstform für die ästhetischen Fächer gewinnen wollte.  

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Erstaunlicherweise haben vor allem Männer philosophische Abhandlungen über die Mode verfasst oder sich zum Thema Mode geäußert wie Jean Jaques Rousseau, Georg Simmel oder Roland Barthes. Haben Sie da eine Erklärung?

Es gibt auch ein paar Frauen. Helene Wessel, etwa. Wobei sich aber zum Beispiel Simone de Beauvoir am negativsten, alle Männer mit eingeschlossen, über die Mode geäußert hat. Natürlich sind es hauptsächlich Männer, weil hauptsächlich Männer Philosophen, Mode-Philosophen und Soziologen sind.

Einer der Rezensenten schrieb, dass Sie mit ihren Ausführungen über Mode in der Tradition großer Denker stehen. Möchten Sie sich da einfügen?

Das möchte ich schon und fühle mich auch gut aufgehoben. Mir liegt daran, diese Tradition sichtbar zu machen und zu zeigen, dass die Mode zwar als weiblich oder sogar weibisch ausgegrenzt wird, witziger Weise aber fast jeder Philosoph über Mode geschrieben hat. Das ist ein interessantes Paradox. Und ich glaube es ist wichtig, dass man die Gedanken zu Mode, das Nachdenken darüber auch kennt.

Vor der Französischen Revolution waren die Männer die Hauptprotagonisten, nach der Revolution überließ man die Mode den Frauen …

Die Mode hatte damals eine ganz andere Funktion. Vor der Revolution galt sie auch gar nicht als oberflächlich oder gar als schöner Schein. Sie bildete das Glänzen der Schöpfung ab und war nach Ständen geordnet. Klerus und Aristokratie waren der Schmuck der Schöpfung und standen an der Spitze. Die Französische Revolution hat dann vor allem den Mann gegendefiniert, pointiert gegensätzlich zum höfischen Mann. Der bürgerliche Mann zeichnet sich nun darin aus, dass er der Mode entsagt, Mode als oberflächlich denunziert und Mode als Stigma oder Privileg, je nach Perspektive, den Frauen überlässt.

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Wie ein roter Faden zieht sich Gegensatz Moderne-Orient durch Ihr Buch …

Das hat zwei Momente. Ein empirisch-positivistisches: Die meisten Stoffe, Edelsteine, Webtechniken, Farben, aller Luxus kommt aus dem Orient. Zum zweiten gibt es ein strukturelles Moment: Die moderne Theorie hat die Mode als eine der Moderne fremdes, sie zersetzendes gefährliches und bedrohliches Moment konstruiert. Mode ist Widerspruch zum Dogma der modernen Ästhetik „less is more“ und zu all dem, was die Moderne anstrebt.

Sie setzen Mode in Bezug zu gesellschaftlichen Entwicklungen. Wo stehen wir heute?

Die wichtigsten Modetrends des 20. Jahrhunderts haben versucht, das Stigma der Weiblichkeit hinter sich zu lassen. Es gehörte zur Emanzipation der Frau dazu, zu zeigen, dass sie, wie der Mann, Wichtigeres im Kopf hat, als die Kleider, die sie trägt. Die Damenmode hat sich der Herrenmode angeglichen. Dieses Moment ist, denke ich, zum Ende gekommen. Wir erleben gerade ein Kippen: Die Männermode hat nicht zum ersten Mal Techniken der weiblichen Haute Couture angenommen. Wir erleben eine Verweiblichung der Männermode. Es ist eine Umkehr der Einbahnstraße. Jetzt machen nicht mehr die Frauen die Männer nach, Stichwort Bubikopf, Hosenanzug, Smoking, sondern die Männer die Frauen. Die Männer ziehen sich die als weibisch stigmatisierte Mode begeistert an, jedenfalls auf dem Laufsteg: hauteng sitzende Anzüge, das Spiel von Stoff, die Erotik der Durchsichtigkeit, Körperbetonung sowie Schmuckmomente, die wir aus der weiblichen Mode kennen.

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Der Untertitel ihres Buches lautet „Das Geheimnis der Mode“. Möchten Sie das Geheimnis lüften?

Ich versuchte zu zeigen, dass die Mode System hat. Zwar nicht vorhersehbar, aber auch nicht willkürlich ist. Im Nachhinein lassen sich Gegensätze und das Spiel damit sehr genau analysieren. Und Mode wird so auch greifbar, begreifbar. Sie ist eben nicht willkürlich tyrannisch. 

Welche Rolle spielt Mode für Sie?

Ich liebe Kleider. Schon immer. Meine Mutter war Designerin für Strümpfe und meine Tante hat uns die wunderschönsten Kleider genäht. Ich war schon als Kind überglücklich, etwas Schönes zum Anziehen zu haben. Lebhaft erinnere ich mich an all die Kleider, die mein Leben begleitet haben: zitronenfarben schwingende Röcke, mit einer dunkelblauen Schnalle in der Taille gefasst. Regenbogenfarbene, kurze Hängerkleidchen mit amerikanischen Schultern. Und heute ist das auch noch so. Das Richtige zur richtigen Gelegenheit zu tragen – makes my day.

Nachhaltigkeit und Fairness sind große Themen in der Modeindustrie. Wie beurteilen Sie diese Entwicklungen?

Es ist höchste Zeit, denn die Mode droht an Selbstkannibalisierung zugrunde zu gehen. Früher gab es drei oder vier Kollektionen, mittlerweile scheinen es unendliche Mengen. Das ist verrückt. Dabei geht auch der Rhythmus, die Zeitstruktur der Mode unter. Es geht ja auch um Erwartung und um Sehnsucht. Mode, völlig unzeitgemäß, reißt uns aus der Zeit heraus und katapultiert uns in eine Zeit des Wünschens, des Erwartens. Wenn das weg ist und man alles am nächsten Tag im Netz kaufen kann, geht ein entscheidendes Moment der Mode verloren: sich in die Zukunft zu entwerfen.

Abgesehen davon ist die Kleiderherstellung auch eine sehr umweltbelastende Industrie. So kann das nicht weitergehen, das ist pervers. Mode ist auch immer schon eine Industrie gewesen, die Leute, vor allem Frauen, und natürlich die Armen und Schwachen brutal ausgebeutet hat: Denken Sie an Triangle Fire in New York (1911), 146 Tote. Das in die sogenannte Dritte Welt auszulagern, ist jetzt auch nicht gerade ethisch. Rana Plaza (2013) hat zehnmal so viele Tote gefordert: 1.135 und 2.348 Verletzte. 

Barbara Vinken Foto_5_(c) Diane von Schoen

Denken Sie, bleibt das Thema?

Ich bin sicher, dass es bleibt. Alle großen Industrien müssen daran arbeiten und umdenken. Profitgier ist kein Zukunftsmodell.

Wohin geht’s mit der Mode?

Wir haben einen klaren Trend zu Couture, zum Atelier und damit zu einer arbeitsintensiveren Mode zu höheren Preisen. Zu einer Wertschätzung des Handwerks. Der unglaubliche Verlust der Handwerkskunst ist für die Europäer ein anschwellendes Thema. Nostalgisch trauern wir um den Verlust dieser Kunst. Die Verwendung von Materialien wie Flachs und Leinen, die Verwendung von bestimmten Web- und Drucktechniken werden aufleben, alte Textilmaschinen nicht mehr in die Dritte Welt exportiert, sondern hier zu Liebhaberstücken werden. Da verändert sich gerade sehr viel. 

Barbara Vinken wird ihre Expertise auch auf der Greenstyle Conference im März 2020 in München einbringen. Ihr Buch „Angezogen. Geheimnis der Mode“ ist bei Klett Cotta erschienen. Zu empfehlen!

Fotos: (1) Copyright Diane von Schoen. (2) Bluse > Secondhand, Kleopatra, Bozen; Hose > Massimo Dutti; Schuhe > Stuart Weitzman, Secondhand, Wams, Innsbruck. (3) Anzug > Emporio Armani, Best Secondhand, Riffian; Seidentop > Geschenk meiner Schwester. (4) Jacke > Secondhand, Kleopatra, Bozen; Hose > Leandra Medine x Mango (Collection Commited), Geschenk meiner Schwester; Shirt > H&M; Schuhe > Ed Maier. (5) Copyright Diane von Schoen. 

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