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November 29, 2017

Ein Köter als Schelm: Autor Matthias Vesco im Interview

Christine Kofler

In diesem Sommer ist Matthias Vescos Roman “Berichte eines Köters” im Berliner Autumnus Verlag erschienen. Erste Texte hat der Jungautor schon während seiner Oberschulzeit geschrieben. Nach seinem Studium verschlug es ihn nach Neapel, wo er Deutsch als Fremdsprache unterrichtete und an seinem Roman schrieb. Uns hat er erzählt, warum es in seinem Text ziemlich blutig zugeht, seine Hauptfigur eine Boxerhündin ist und an welchem neuen Projekt er arbeitet.

Wie lange hat’s gedauert, einen Verlag für dein Buch zu finden?

Wie allseits bekannt, ist es nicht einfach, einen Verlag zu finden – vor allem für Erstlingswerke, die unverlangt eingesandt werden. Nur etwa eines von tausend eingesandten Manuskripten wird publiziert. In der Literaturwelt wird viel mit Agenturen und Agenten gearbeitet, Kontakte und große Namen helfen dabei, einen Verlag zu finden – die hatte ich jedoch nicht. Ich habe, als mein Roman fertig war, zahlreiche Verlage angeschrieben und hatte dann das Glück, dass der Autumnus-Verlag mein Projekt interessant fand und in seinem Programm aufnahm.

Warum hast du einen Hund, genauer gesagt die Boxerhündin Roxy,  als Hauptfigur gewählt? Wie ist diese Figur entstanden?

“Berichte eines Köters“ steht in der Tradition des Picaro, des Schelmenromans, also eines Formats, dessen Hauptfigur meist aus den unteren gesellschaftlichen Schichten stammt. Dieser Schelm muss dann allerhand Abenteuer bestehen. Der Hund ist ein Symbol für diese Perspektive von unten. Für den Blick auf bestimmte Prozesse in der Gesellschaft, die ablaufen, ohne dass man darauf groß Einfluss nehmen könnte. Roxy ist eine Beobachterfigur, die sich oft tollpatschig durchs Leben bewegt und nicht so genau weiß, wie sie die Ereignisse rundherum interpretieren soll. Sie ist eine Randfigur …

… genau, sowohl Roxy als auch einige ihrer tierischen Begleiter stehen außerhalb der Gesellschaft. Sie blicken von außen auf eine Welt voller Streit und Missgunst, Neid und Hass. Ist dein Roman ein politischer Roman?

Ja, schon, allerdings auf eine indirekte und subtile, auf eine skurrile und bizarre Art und Weise. Viele Figuren, vor allem die Hauptfigur Roxanne, fühlen sich fremd in ihrem Umfeld. Ich denke, so geht es vielen jungen Menschen. Einigen meiner Schüler, aber auch meinen Altersgenossen, die in den 80er-Jahren geboren wurden und mit den globalen Krisen das Ende der Leichtigkeit, der Boom-Jahre, mitbekommen haben. Viele junge Menschen fühlen sich missverstanden, tun sich schwer, einen Platz zu finden, der es ihnen ermöglicht, ihre Interessen und Potentiale zu entfalten. Ich kenne einige, die daran gescheitert sind. Auch daran, dass es – neben der offensichtliche Gewalt – unsichtbare Spannungen gibt, etwa die unterschiedlichen Weltanschauungen betreffend. Geld und Status stehen für die meisten Menschen noch immer ganz oben in der Prioritätenliste. Wer darüber verfügt, erfährt Wertschätzung. Viele junge Menschen sehen keine Möglichkeit, dieser Sichtweise die Stirn zu bieten. Daran leidet auch die Vorstellung von sich selbst.

Roxy flieht vor einem irren Tierquäler und der Gleichgültigkeit ihrer Besitzer. Sie findet Unterschlupf auf einer Baustelle, in einer Restaurantküche, auf der Alm. Du erzählt auch über den Druck, den Arbeitskräfte in diesen Bereichen ausgesetzt sind. Hast du diese Milieus bewusst gewählt, weil du sie kennst?

Ja, ich habe einige Studentenjobs gemacht, auch weil ich es interessant fand, an diesen Erfahrungen zu wachsen und meinen Horizont zu erweitern. Die Arbeit war teilweise sehr hart, beispielsweise auf einer Alm in der Schweiz. 90 Stunden Wochenarbeitszeit sind dort üblich. Sie verhalf mir aber auch zu neuen Perspektiven und Blickwinkeln, zum Beispiel auf die von uns praktizierte Trennung zwischen Arbeit und Freizeit. Einige dieser Erfahrungen haben dann Eingang in den Roman gefunden, vor allem bei den detaillierten Beschreibungen hat mir das sehr geholfen. Milieustudien habe ich nicht mehr machen müssen.

Im Buch kommen einige gewalttätige und blutige Schilderungen vor – so eine Art literarischer Splatter mit der Ironie der B-Movies. Magst du Horrorfilme?

Zum einen mag ich schwarzen Humor. Mir gefiel die Idee, zu schockieren, wachzurütteln. Ein bisschen gegen diese spießbürgerliche Vorstellung von Sicherheit und Ordnung anzuschreiben. Zum anderen geht es auch darum, auf die Gewalt in der Gesellschaft aufmerksam zu machen, auch auf jene, die weniger sichtbar ist, die unter der Oberfläche liegt. Es geht also auch um soziale Verantwortung.

In den vergangenen Monaten habe ich außerdem gemerkt, dass es einen weiteren Grund für diese blutigen Schilderungen gibt. Eigentlich habe ich diese Idee des “Schreibens als Therapie“ immer abgelehnt. Seit ich das Buch veröffentlicht habe, denke ich, dass ich mir da selbst ein wenig in die Tasche gelogen habe und durchaus einiges von mir im Text steckt, auch bezüglich dieses “sich Nicht-Zurechtfindens in der Welt“. Obwohl ich eigentlich zufrieden bin mit dem, was ich mache, meinen Platz gefunden habe, meine Interessen pflege. Trotzdem habe ich viel gesehen, was mich –  sagen wir so – nicht in jeder Hinsicht zum Optimisten macht.

Wenn man einen eigenen, kritischen Blick auf die Gesellschaft wirft, können sich neue Welten öffnen – im positiven wie im negativen Sinn. Es können sich Abgründe auftun, die durchaus auch schmerzhaft sein können. Das Schreiben ist eine Art Verarbeitung meiner Perspektive auf die Welt, und für mich ist das eben nicht “Friede, Freude, Eierkuchen“. Ich überspitze und überspanne.

Arbeitest du schon an einem neuen Projekt?

Ja. Es geht um eine Figur, die ihr Haus nach dem Feng-Shui-Prinzip einrichten möchte und daran – an sich selbst und an den eigenen Erwartungen – scheitert. Sie scheitert vor allem auf einer kulturellen Ebene. Der Westen adaptiert Teile der fernöstlichen Philosophie und setzt sie dann aber knallhart nach den eigenen Vorstellungen um, um so die eigene Sichtweise zu konsolidieren. Ein Beispiel: Möbelstücke werden nach den Prinzipien des Feng-Shui auf eine bestimmte Art und Weise platziert, um eine Beförderung zu erhalten. Das widerspricht der eigentlichen Grundidee des Feng Shui komplett. Das Thema interessiert mich auch im Hinblick auf die Debatte um Globalisierung und Multikulturalität. Wir gehen ja nicht auf eine vielfältigere Zeit zu, sondern – so scheint es – auf eine genormte Zeit. Die Hauptfigur arbeitet im Duty-Free-Bereich …

Ein Nicht-Ort.

Genau, eine Art Wurmloch. Ein Ort des kollektiven Wartens. Ein seltsamer, steriler Ort. Steuerfrei. Also auch ohne Verantwortung, ohne Reflexion. Ein Ort, der die Welt verbinden soll, dessen Herzstück der Konsum bildet. Der Raum verbindet Gedanken mit Emotionen, Menschen mit Menschen, Kulturen mit Kulturen. Und trotzdem gibt es hier keine Vielfalt, sondern viel eher eine Normierung – genau wie bei der Adaption des Feng-Shui. Der Raum ist nur ein Schatten von dem, was er sein sollte und was er sein könnte. Es geht um eine Kulturkritik, im engeren Sinn darum, wie Kulturen miteinander agieren.

Letzte Frage: Was liest du?  Welche Bücher haben dich beeinflusst?

Ich mag Kafka sehr. Auch “Herz der Finsternis” von Joseph Conrad. “Walden” von Henry David Thoreau und “König Alkohol” von Jack London.

Am 06. März 2018 liest er um 20 H  beim 18. Literaturfest/ival/e im UFO in Bruneck. Am Donnerstag, den 30. November 2017 um 20 H, stellt er sein Erstlingswerk im Ost-West-Club in Meran vor.

Foto: franzmagazine/Christine Kofler

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