Culture + Arts > Literature

August 29, 2017

Wider das Unsagbare: Letzte Heimat Sprache

Christine Kofler
Mascha Dabić ist mit "Reibungsverluste" von Daniela Strigl für den Franz-Tumler-Literaturpreis 2017 (für zeitgenössische deutschsprachige Debütromane) nominiert – Eröffnung am 14.9.2017 um 19.00 H im Gasthaus Krone in Laas; öffentliche Lesungen am 15.9.2017 von 9–16.30 H im Josefshaus in Laas; Preisverleihung am 15.9.2017 um 19.00 H in der Laaser Markus-Kirche.

Titel: Reibungsverluste

Autorin: Mascha Dabić

Darum geht’s: Dolmetscherin Nora Kant lebt in Wien und ist in mehreren Sprachen zuhause. Ihre Aufgabe ist es, in Therapiestunden die Berichte von Kriegsopfern und Kriegsverbrechern für die Psychotherapeuten zu übersetzen. Das Buch erzählt von einem Tag im Leben der Übersetzerin,  von ihrem Umgang mit den Sprachen und mit den Leidensgeschichten der Flüchtlinge. Nebenbei thematisiert die Erzählung auch die Hürden, auf die Menschen mit Migrationshintergrund im Alltag treffen, und die zermürbende Unsicherheit durch das Warten auf den Asylbescheid.

Lieblingszitat: „Allerorts produzierte der Krieg Ruinen und Scherbenhaufen. Das betraf die sichtbare städtische Architektur genauso wie die filigrane Struktur der Seele. Die Therapie, schlussfolgerte Nora, war so etwas wie der Wiederaufbau, ein Marshall-Plan zur Konsolidierung der verwüsteten inneren Landschaften.“

Riecht nach … Ćevapčići und Borotsch.

Schön: … der angenehme Sprachrhythmus und der unprätentiöse, aber mitreissende Stil: Dabić trifft trotz des schwierigen Themas stets den passenden Ton, ohne jemals sentimental oder larmoyant zu sein.

Weniger schön: … gerade hat man diese Nora Kant lieb gewonnen und schon ist der Roman vorbei. Schade – die Geschichte hätte ruhig noch länger sein dürfen!

Unbedingt lesen, wenn … du die Migrations- und Flüchtlingsthematik einmal von einer ganz anderen Seite aus betrachten möchtest. Wenn dich Sprache und Kommunikation interessieren.

Gut für … Tage, an denen das Geplapper von PolitikerInnen unerträglich ist. Und dich nur mehr eine fiktionale Auseinandersetzung mit der Gegenwart rettet.

Resümierend: Mascha Dabić schafft es, eines der drängendsten Themen unserer Zeit in einen Roman zu packen, ohne dass dieser jemals künstlich oder konstruiert wirkt. Die Ich-Perspektive der vielschichtigen und sympathischen Hauptfigur lässt viel Identifikationsfläche, sodass die Geschichte mitreisst, ohne dass die Komplexität der Thematik verloren geht. Durch den Wechsel des Erzählerin-Ichs erhalten auch Figuren mit Migrationshintergrund eine eigene Stimme.

Interessant ist auch, wie Dabić subtil die vielen Facetten der Sprache anschneidet: Ihre Wandelbarkeit ( z. B. Wortneubildungen von MigrantInnen:  „Positiwschitza für „anerkannter Flüchtling weiblichen Geschlechts“ oder Negatiwschitza für das Gegenteil“), ihre Kraft („Dass diese Menschen überhaupt da waren und für ihre Erlebnisse Worte finden konnten, das allein war ein Triumph des Lebenswillens über die todbringende Zerstörung …“) aber auch die Gewalt, die ihr innewohnt („Es war schon spät gewesen an jenem Tag, Nora hatte schon mehrere Therapiestunden hinter sich, und diese grauenhafte Szene, die der Klient durch sein Sprechen in den Raum gestellt hatte, war mehr gewesen, als sie zu diesem Zeitpunkt ertragen konnte.“).

Seitenzahl, Verlag, Jahr, Preis: 152 S., Edition Atelier, Wien 2017, 18 Euro

Infos zum Tumler-Literaturpreis: tumler-literaturpreis.com

Bild: Edition Atelier

Print

Like + Share

Comments

Current day month ye@r *

Discussion+

There are no comments for this article.