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February 2, 2017

Von Kärnten und der ganzen Welt: „Immer noch Sturm“ an den VBB

Christine Kofler

Wer Handke kennt, der weiß: Einfach macht es der österreichische Großdichter seinen LeserInnen, oder ZuhörerInnen, nicht. Dass „Immer noch Sturm“, dieses aus Mono- und Dialogen bestehende Familientableau, trotzdem beim Publikum ankommt, liegt an suggestiven Bildern, einem konzentrierten Bühnenbild und rhythmischen Klängen, die Handkes Sprache genügend Raum lassen und ihr zuarbeiten, wenn es nötig ist.

Halb Vergangenheitsbewältigung, halb Geisterbeschwörung

Am Rand eines großen Kieselkreises tanzen Gestalten mit slowenischen Faschingsmasken aus Fell und bunten Bändern zu den Rhythmen von Trommeln im Kreis, rund um das „Ich“. Dann nehmen sie es in die Mitte, um sich dem Publikum wie auf einem Familienfoto vorzustellen. Die maskierten Gestalten entpuppen sich als Großmutter und Großvater, als Mutter und Geschwister des „Ichs“, von ihm selbst herbei beschworen. Das „Ich“ selbst, wunderbar gespielt von Andreas Patton, ist Erzähler und Zuseher, aber auch, Handke selbst. Der Autor ist in Griffen in Kärnten geboren, seine Mutter war Kärntner Slowenin. Während des Zweiten Weltkriegs kämpften seine Onkel an der Front, ihre Feldpostbriefe dienten als Zitatquelle für die im Stück gelesenen Briefe. In „Immer noch Sturm“ arbeitet Handke einen Teil dieser Biografie und damit die Geschichte der slowenischen Minderheit in Kärnten auf. Die Kärntner Slowenen mussten erst an Seite der Deutschen im Krieg kämpfen, bevor 1942 die Zwangsaussiedlung hunderter slowenischer Familien begann – und damit auch der bewaffnete Widerstand der Minderheit gegen das NS-Regime. Auf den leergefegten Bauernhöfen wurden übrigens auch SüdtirolerInnen angesiedelt. Handke erweckt seine Ahnen, um diese Geschichte dem Vergessen zu entreißen.Immer noch Sturm - Ensemble -Foto Bernhard Aichner

Die Kärntner Slowenen sind überall

Die wie eine Stammesälteste mit schwarzem Gesicht und Fellumhang auftretende Schlagzeugerin, die meist am Bühnenrand sitzend den Takt angibt; der wummernde Rhythmus, der auch mal Milchkannen zu Instrumenten macht und der Zeitenwenden markiert; der Kieselkreis, der irgendwie asiatisch anmutet; hier wird nicht nur auf die Kultur der Kärntner Slowenen Bezug genommen – die Kostüme, das Bühnenbild, die Musik weisen darüber hinaus. So machen die Regieeinfälle die Geschichte der Kärntner Slowenen zur Geschichte aller ethischen Minderheiten und stützen den Kern von Handkes Text, der sich nicht auf das Jaunfeld begrenzt. Familien, die sich in den Stürmen der Weltgeschichte zurechtfinden müssen, gibt es überall.VBB Immer noch Sturm_Foto Bernhard Aichner

Keine Helden, die ich rief

Obwohl die Onkel des „Ichs“ in den Widerstand gehen, Helden gibt es in dem Stück trotzdem keine. Die Figuren zaudern und schwanken, der Kampf gegen die Nazis ist hier keine Heroentat, sondern eine Notlösung. Auch das „Ich“ scheint manchmal nicht ganz sicher zu sein, ob diese Geisterbeschwörung überhaupt eine gute Idee war. Wenn einmal der Besen in einem Ahnengesicht klebt, betritt unwillkürlich Goethes Zauberlehrling die Bühne. Als Zuschauerin gewinnt man sie im Laufe der 2 ½ Stunden irgendwie lieb, diese Vorfahren: Gregor, den Einäugigen mit seiner Apfelkunde, Finsterschwester Ursula und die am Anfang so lebensfrohe Mutter, federleicht gespielt von Lisa Weidenmüller. So fangen die Figuren den Zuseher auf, der oft wohl noch über den einen Satz nachgrübelt, während schon die nächsten drei ausgesprochen wurden. Auch wenn nicht immer alles ganz klar ist: Sieh zu, wie die Geister tanzen und lass dich in den Textteppich fallen.

Das Stück gibt‘s noch am Freitag, 3. Februar, und am Samstag, 4. Februar, im Studio des Stadttheaters Bozen zu sehen.

Fotos: VBB

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