Nach 51 Jahren sammelt die Caritas nicht mehr. Was nun?

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Dieser Artikel ist etwas technisch und auch etwas länger. Aber mich haben so viele Leute gefragt, was denn nun sei? Wohin mit all den gebrauchten Kleidern? Die Kleiderkammern werden überschwemmt, ebenso die Secondhand Stores und offensichtlich landet sehr viel im Hausmüll. Und: Was kommt mit den neuen EU-Regelungen auf uns zu?
Zunächst einmal ändert sich nur, dass unsere abgelegten Kleidungsstücke in die jeweiligen Gemeinde-Recyclinghöfe gebracht werden müssen. In den Abfall gehören sie nicht. Von dort geht es in eine lokale Genossenschaft, die vorsortiert und dann, wie bisher, kommen die Gebrauchtkleider zum deutschen Textilrecycler FWS. Hier werden die Kleider nach 300 bis 350 Sorten und Qualitätsstufen sortiert und für die Vermarktung vorbereitet.

Damit ist das Thema Gebrauchtkleidung jedoch nicht vom Tisch. Unser Konsumverhalten, die Produktionsmengen der Textil- und Modeindustrie sind ein immer größer werdendes Problem – mit komplexen Konsequenzen. Darüber schreibe ich hier ja geradezu gebetsmühlenartig, also bitte nachlesen, wenn Interesse. Und was mit der Umsetzung der EPR (erweiterte Herstellerverantwortung), die schon nächstes Jahr in Italien gelten wird, bezüglich der Klassifizierung von Gebrauchtkleidung und den Umgang damit, auf uns zukommen wird, darüber lest ihr etwas weiter unten.


Um den größeren Rahmen besser zu verstehen, habe ich mit Oliver Schien, Prokurist der FWS GmbH, gesprochen, er referierte im November 2025 (virtuell) bei der von OEW und Südtiroler Gemeindenverband organisierten Tagung „Alte Kleider? Nuove idee?“.
Herr Schien, vor welchen Herausforderungen stehen Textilrecycler wie FWS heute?
Die weltpolitischen und -wirtschaftlichen Veränderungen der letzten Jahre und deren Folgen, von denen wir leider jeden Tag in den Nachrichten hören, betreffen viele Bereiche, in denen wir tätig sind. Märkte sind durch Kriege und Terror verloren und/oder durch Sanktionen für unsere Branche nicht zu erreichen, Handelswege durch die Verlagerung von Schifffahrtsrouten deutlich länger. Die größte Herausforderung ist tagesaktuell sicherlich, bei sinkenden Warenwerten und in allen Bereichen steigenden Kosten, die Wirtschaftlichkeit des Systems zu bewahren.
Wie beurteilen Sie die Entwicklung der Mengen und der Qualität der weggegebenen Kleidungsstücke?
Textilrecycling ist ein Spiegelbild der Gesellschaft! Geht es den Menschen gut, leben sie in Frieden und sicheren wirtschaftlichen Verhältnissen, dann ist hochwertige Bekleidung und Mode ein Ausdruck von Persönlichkeit und Wohlstand. Sind diese Rahmenbedingungen nicht gegeben, dann spart der Bürger wo er nur kann und greift zum Billigartikel. Das gilt sowohl bei Neubekleidung wie auch im Secondhand-Bereich.
Im Zeitalter von Fast-Fashion und Ultra-Fast-Fashion sprechen wir über steigenden Konsum und somit auch über steigende Mengen und rückläufige Qualitäten in der Sammlung. In der Gesamtbetrachtung der Qualitätsentwicklung sind auch die vielschichtigen Möglichkeiten der Direktvermarktung von Textilien der besten Qualitäten und Markenbekleidung auf online-Plattformen zu berücksichtigen, sodass diese qualitativ hochwertigen Artikel weniger in der Sammelware zu finden sind.

Was wäre zu tun um hier gegenzusteuern?
Auf Seiten des Bürgers müsste das Bewusstsein für Kleidung wieder gestärkt werden. Bildungsinitiativen in Schulen finde ich spannend! Wenn die Kinder den Eltern erzählen, unter welchen Bedingungen Textilien hergestellt werden und wie hoch der Ressourcenverbrauch ist. Solche Veranstaltungen wie in Bozen tragen ebenfalls zu einer solchen Bewusstseinsbildung bei. Aber in unserer schnelllebigen Welt vergessen wir Erwachsene leider auch zu oft und zu schnell wieder. Kleidung als solches hat ihren Wert leider verloren und ist zu einem permanent verfügbaren Massenartikel geworden. Lediglich Luxusmarken oder hochwertige Sportbekleidung können sich diesem Trend widersetzen.
Wie sehen Sie ihre Zukunft als Textilrecycler?
Die europaweite Einführung der Getrenntsammlungspflicht von Textilien zum 01.01.2025 beschäftigt uns aktuell sehr. Mit einer erneuten Novelle der EU-Abfallrahmenrichtlinie verpflichtet die EU alle Mitgliedsstaaten zur Einführung einer erweiterten Produktverantwortung von Herstellern und Inverkehrbringern von Textilien. Als europaweit tätiger Erfasser, Sortierer und Recycler von Alttextilien sollte unsere Dienstleistung in Zukunft, auch vor dem Hintergrund des EU Green-Deals, eine Nachfrage erfahren. Abzuwarten bleibt, wie genau die Umsetzung dann in nationales Recht der jeweiligen Mitgliedsstaaten erfolgt. Vieles kommt auf die neu zu schaffenden Rahmenbedingungen an.

Noch ist also nicht ganz klar, wie die EU-Mitgliedsländer die neuen Bestimmungen umsetzen werden. Vor allem was die erweiterte Herstellerverantwortung (EPR) betrifft. Laut Giulio Angelucci, Direktor des Landesamtes für Abfallwirtschaft, liegt da noch einiges im Dunkeln. Ich habe bei ihm nachgefragt.
Giulio, was kommt auf Italien, auf Südtirol, mit der EPR-Umsetzung zu?
Die Richtlinie (EU) 2018/851, welche die Abfallrahmenrichtlinie 2008/98/EG ändert, sieht vor, dass Italien bis 2026 ein System der erweiterten Herstellerverantwortung (EPR) für alle Textilprodukte einführt – nicht nur für gebrauchte Kleidung. Die europäische Vorgabe ist klar: Die Hersteller müssen die Kosten für Sammlung, Transport, Sortierung und Verwertung der Textilien übernehmen. Außerdem wird der zu zahlende Beitrag gemäß Artikel 8b der Richtlinie nach Qualität, Haltbarkeit, Reparierbarkeit und Recycelbarkeit der Produkte gestaffelt („Ökomodulation“). Minderwertige oder schwer recycelbare Produkte werden also teurer.
In Italien wird das System durch ein Ministerialdekret umgesetzt, das derzeit ausgearbeitet wird. Sehr wahrscheinlich – auch wenn es noch keinen offiziellen Entwurf gibt und diese Information daher nicht vollständig verifiziert werden kann – wird Italien das bereits etablierte Konsortialmodell anwenden, das in anderen EPR-Bereichen erfolgreich genutzt wird. In diesem System schließen sich die Hersteller zu Konsortien zusammen (wie CONAI für Verpackungen oder das CDC RAEE für Elektroaltgeräte). Diese Konsortien erheben Umweltbeiträge von den Herstellern und finanzieren damit die gesamte Kette – von der Sammlung bis zum Recycling. Sie schließen Vereinbarungen mit lokalen Entsorgungsbetrieben, Sortieranlagen und der Recyclingindustrie ab, sodass die Gemeinden von den Kosten entlastet werden. Für den Textilbereich ist es möglich, dass – ähnlich wie bei den Elektroaltgeräten – mehrere Konsortien parallel tätig sein werden; auch dies ist jedoch noch nicht offiziell bestätigt.

Ein sensibler Punkt betrifft gebrauchte Kleidung, die über karitative Organisationen abgegeben wird. In der Vergangenheit wurde solche Kleidung von der Rechtsprechung häufig als „Abfall“ eingestuft, da sich die Spender*innen formal davon „entledigten“. In den derzeitigen, informellen Diskussionen über das neue EPR-System – die noch nicht in einer Norm festgehalten sind – wird die Einführung einer Art „Zertifizierungsstelle“ erwogen, die bei der Abgabe unterscheidet, welche Stücke tatsächlich wiederverwendbar sind und welche als Abfall gelten müssen. Hierzu gibt es jedoch bislang keinerlei gesicherte Vorgaben.
Für Südtirol wird der nationale Rahmen maßgeblich sein. Das Land wird das Ministerialdekret anwenden müssen und nur begrenzte Gestaltungsmöglichkeiten haben, da das EPR-System national organisiert ist und weder die Primärproduktion noch die industrielle Sortierung von Textilien in der Provinz stattfinden. Auch im Falle einer zukünftigen Autonomiereform werden die Spielräume voraussichtlich gering bleiben. Derzeit liegen außer diesen Informationen keine weiteren offiziellen Details vor. Viele operative Aspekte hängen vom Ministerialdekret ab, das noch nicht veröffentlicht wurde.

So schaut es also aus. Was das für die inzwischen zahlreichen Kleiderkammern, Tauschangebote, Flohmärkte, Swap-Parties, Vintage-Märkte, Secondhand-Stores etc. bedeutet, bleibt abzuwarten. Ich bin ja eine starke Befürworterin von lokalen Kreisläufen. Es kann nicht sein, dass wir unsere Verantwortung für unsere Kleiderberge einfach und sorglos irgendwohin verschieben. Kleidungsstücke lokal im Kreislauf zu halten ist wichtig! Abgesehen davon macht Pre-Loved einkaufen und tauschen viel Spaß. Aber welche Gestaltungsspielräume die neuen Regelungen erlauben, bleibt, wie gesagt, abzuwarten.
Ich wünsche euch eine erholsame Zeit – was Weihnachten zwar selten ist – aber macht es euch so fein wie möglich und bleibt mir gewogen!
Susanne