Contemporary Culture in the Alps
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Visual Arts,People + Views

Unaufgeregtheit

Das Schaffen von Elisa Rungger

05.12.2025
Kunigunde Weissenegger

Sommerfest, Elisa Rungger, 155 x 125 cm, Oil on canvas, 2023, © Argento Artistry/Museum Ladin

Was Zitate und Vergleiche angeht, halte ich es wie Redaktionskollegin Barbara Unterthurner – besser ruhen lassen, kommt zumeist eh nix Gschais raus … Aber auch hier bestätigt die Regel die Ausnahme und das lieb ich dann wieder. Also ok, katapultieren wir uns zurück ins Jahr 1999 zu Being John Malkovich: Über eine geheimnisvolle Tür ist mensch direkt im Kopf des Schauspielers, nimmt für eine Viertelstunde durch seine Augen seine Umgebung wahr, stellt sich und Situation infrage. 

Was ist Realität? Wer sind wir im Verhältnis zur Welt? Wie formt sich Identität zwischen Öffentlichkeit und Intimität? Inwiefern verändert sich der Blick der anderen? Was bleibt (von uns) jenseits der Wahrnehmung?

Cherry Blossom, Elisa Rungger, von links nach rechts: Cherry Blossom, Golden Glimmer, 200 × 140 cm, oil on canvas, 2025; Cherry Blossom, Summer Blase, 200 × 140 cm, oil on canvas, 2025; Cherry Blossom, Blood Bloom, 200 × 160 cm, oil on canvas, 2025; Cherry Blossom, Frost Veil, 200 × 140 cm, oil on canvas, 2025; Cherry Blossom, Morning Dew, 200 × 140 cm, oil on canvas, 2025; © Elisa Rungger

Und schon stehen wir mitten in den Gemälden von Elisa Rungger: Körper kippen, Winkel wandern, Schatten rutschen, Farben gleiten, Perspektiven knicken, Zustände verlagern sich, Gleichgewicht verrückt. Unschärfe schafft Landschaften, in denen Realität in Imagination fließt und gleichzeitig Tatsachen ins Auge blickt. Menschen bewegen sich durch anscheinend unspektakuläre Situationen: Kurz, intim, zufällig beobachtet, ungekünstelt sind die Andeutungen, festgehalten zwischen zwei Atemzügen.

Das hat mich sehr neugierig gemacht und ich habe Elisa Rungger für ein Interview erreicht.

About the authorKunigunde WeisseneggerGeboren an einem hitzigen Heunachmittag, ewiges Bergkind und immer Waldmensch. Außerdem und hauptsächlich liebe ich Sprachen und Sprache. [...] More
Vor Kurzem ist eine große Einzelausstellung von dir im Museum Ladin zu Ende gegangen, kuratiert von Nadia Moling und begleitet von Katharina Moling als Direktorin. Welche Eindrücke nimmst du mit? Wie war diese „Rückkehr in die Heimat“?
Die Ausstellung im Museum Ladin war für mich ein sehr intensives und zugleich berührendes Erlebnis. Es war eine große Freude, meine Arbeiten in einem so bedeutenden Haus zeigen zu dürfen – als Ladinierin im Dialog mit der Kultur und Geschichte, aus der ich selbst stamme. Gleichzeitig war es eine Art Heimkehr, zurück zu den Orten, Geschichten und Menschen, die mich geprägt haben.
Viele Besucherinnen und Besucher sind meinen Arbeiten offen begegnet und haben sich auf einen Dialog mit den Werken eingelassen. Es war sehr schön und interessant zu sehen, wie meine Heimat auf meine Werke blickt.
Für mich war es auch ein Moment der Dankbarkeit: Ich konnte das, was mich innerlich bewegt und das Ergebnis meiner künstlerischen wie persönlichen Entwicklung in den letzten Jahren – entstanden während meines Studiums in Karlsruhe und meinem Leben fern von zuhause – wieder an den Ort zurücktragen, an dem alles seinen Anfang genommen hat, nur wenige Kilometer von meinem Heimatdorf Welschellen entfernt.
Die Ausstellung war somit nicht nur eine Präsentation meiner Arbeiten, sondern ein Dialog mit den Orten, der Kultur, den Erinnerungen und den Menschen, die mich auf meinem Weg begleitet haben. Diese Resonanz nehme ich als wertvollen Eindruck mit.
Unter der Linde, Elisa Rungger, 70 x 85 cm, Oil on canvas, 2023; © Argento Artistry/Museum Ladin

„dazwischen“ – warum dieser Titel? Was ist und bedeutet dieses Dazwischen für dich? 
Für mich ist der Titel „dazwischen“ ein Schlüssel, um meine Arbeit zu verstehen. Er benennt genau den Raum, in dem sich mein künstlerisches Schaffen bewegt: die Zwischenräume, die Grenzbereiche, die weder klar definiert noch eindeutig festgelegt sind. Meine Bilder entstehen im Spiel mit diesem „Dazwischen“ – sie bewegen sich zwischen Innen- und Außenwelt, zwischen Realität und Imagination, zwischen Vertrautem und Fremdem. Mich interessiert gerade dieser Schwebezustand, in dem Grenzen verschwimmen, Bedeutungen sich verschieben und etwas Neues, Offenes entstehen kann.
Auch die Ausstellung selbst ist ein „Dazwischen“: Sie markiert einerseits meine Rückkehr in die Heimat und den Abschluss meines Studiums an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Karlsruhe, andererseits ist sie ein Ausblick nach vorne auf meine künstlerische Entwicklung. Gleichzeitig versteht sie sich als Rückschau auf mein gesamtes Werk der letzten Jahre – und eröffnet damit den Übergang zu dem, was noch kommt.
Mit dem Titel lade ich die Besucher:innen ein, sich auf diese Zwischenräume einzulassen – das „Dazwischen“ nicht als Leerstelle, sondern als lebendigen, offenen Raum zu erleben, in dem nichts endgültig ist, sondern vieles im Fluss bleibt.

Pietà, Elisa Rungger © Argento Artistry/Museum Ladin

Eine Arbeit, die in der Stube des Museum Ladin, ist unvollendet – oder doch nicht? 
Die Arbeit Pietà ist für mich eine sehr persönliche und singuläre Arbeit. Ich freue mich sehr, dass sie nun Teil der Sammlung ist und weiterhin in der Stube zu sehen sein wird.
Obwohl es sich um eine Pietà handelt, verstehe ich die Arbeit nicht als religiös. Nach dem Verlust von drei meiner Großeltern habe ich mich mit Tod und Trauer auseinandergesetzt. Die Wahl des Pietà-Motivs war für mich der logischste und ehrlichste Zugang, um sowohl dieses persönliche Thema als auch meine künstlerische Herkunft zu reflektieren.
Aufgewachsen in einer katholischen Kultur, waren religiöse Fresken und Gemälde der italienischen Kunstgeschichte meine ersten Begegnungen mit Malerei. Die Arbeit steht in direktem Dialog mit dieser Kunstgeschichte und spiegelt meine Wurzeln als Malerin wider.
Das Bild ist bewusst „unvollendet“: Manche Flächen sind nicht ausgemalt, die rohe Leinwand bleibt sichtbar. Ich möchte und kann für mich keine endgültige Aussage über den Tod treffen; es handelt sich hierbei um eine persönliche Reflexion – gerade in dieser Unvollständigkeit liegt für mich die Vollendung.
Gleichzeitig ist die Arbeit eine Überlegung über meine Herkunft als Malerin und die frühen Begegnungen mit christlichen Motiven. Ich bin froh, dass sie in der Stube ihren Platz gefunden hat, im Dialog mit den Artefakten, die meine ersten künstlerischen Erfahrungen geprägt haben, und in einem Raum, der der Stube meiner Großeltern ähnelt. 

Waiting For An Author, Elisa Rungger, 120 x 100 cm, Öl auf Leinwand, 2025, © Elisa Rungger

Wie unterscheiden sich deine früheren Werke von deinen aktuellen? Gibt es einen roten Faden? – in der Ausstellung? In deinem Schaffen?
Malerisch haben sich meine Werke im Lauf der Zeit weiterentwickelt, besonders im Farbauftrag und in der Gestik. Je nachdem, welche Stimmung oder Wirkung ich erzeugen möchte, verändert sich meine Herangehensweise. Thematisch bleiben meine zentralen Anliegen jedoch gleich: Es geht mir immer darum, eine Begegnung zwischen den Betrachterinnen – und mir selbst als Malerin und erste Betrachterin – und dem Bild zu schaffen. Ich möchte einen fiktiven Raum öffnen, in den die Betrachterinnen eintreten und in dem sie Teil des Bildes werden können.
Die Bildmotive stammen oft aus Alltagssituationen: Menschen zu Tisch, einfache Gesten des Alltags. In meiner Ausstellung im Museum Ladin mit dem Titel „Dazwischen“ sind Szenen zu sehen, die verschiedene Aspekte des Alltags und der sozialen Begegnung zeigen: Menschen an einer Bar (Cocktail Bar), eine Familie beim Frühstück (Frühstück), Leute, die sich zum ersten Mal treffen und vorstellen (Pleased to meet you), eine Frau, die sich auf einem Tisch ausruht oder schläft (Unter den Linden) sowie Figuren, die in einem kreisförmigen Bild schreien (Sinfonie).
Mir geht es sehr um die subjektive Auseinandersetzung mit den Bildern: Jeder bringt eigene Erfahrungen, Erinnerungen und Wahrnehmungen mit, wird Teil der Szene und kann sich in den Bildraum hineinversetzen. Das ist für mich der rote Faden, der alle meine Arbeiten verbindet: Ich reflektiere Aspekte des Lebens, bringe meine eigene Biografie ein und versuche gleichzeitig, durch Abstraktion, Verzerrung und atmosphärische Verfremdung einen Raum zu schaffen, in dem jeder Teil der Geschichte oder Reflexion werden kann. 

Boy, Elisa Rungger, Oil on canvas, 200 x 130 cm, 2022, © Elisa Rungger

Welche Themen beschäftigen dich? Wie verarbeitest du sie, arbeitest Gedanken, Ideen, Eindrücke, Empfindungen in deine Ölgemälde ein? 
Mich beschäftigen vor allem Themen wie Identität und Rollenbilder, menschliche Interaktionen und Emotionen, familiäre Beziehungen sowie existenzielle Fragen.
Es geht also um alles, was das Leben, die Beziehungen und die Erfahrung des Menschseins ausmacht, oft vermittelt durch alltägliche Szenen und Rituale, in denen sich die Betrachter:innen wiederfinden können.
Thematisch greife ich Szenen aus Alltag und Zwischenräumen auf, etwa kleine Rituale wie gemeinsames Frühstück oder Kaffeetrinken, die flüchtig, unscharf und atmosphärisch wirken, aber auch Begegnungen an Bars, erste Vorstellungen von Menschen, ruhende oder schreiende Figuren – Szenen, die jede:r kennt und in die sich die Betrachterinnen hineinversetzen können.
Darüber hinaus interessieren mich verschiedene Aspekte des Menschseins: Identität und Rollen, Gefühle, familiäre Beziehungen, Einsamkeit oder Momente der Intimität. Die Figuren erscheinen oft schemenhaft, verzerrt oder maskenhaft, ein Hinweis auf die Vielschichtigkeit von Identität. Durch die poetische Transformation der Realität und die Verfremdung alltäglicher Situationen hinterfrage ich Wahrnehmung und schaffe Räume, in denen Gemeinschaft, soziale Interaktion, Emotionen und Vergänglichkeit spürbar werden.

Was prägt deinen Pinselstrich, deine Art zu malen? 
Für mich ist die Malerei ein Medium, das unendlich viele Möglichkeiten bietet, Emotionen, Gedanken und Atmosphären auszudrücken. Ich experimentiere bewusst mit Form, Farbe und Material, um die Ausdruckskraft meiner Arbeit immer wieder neu zu erkunden. Mein Pinselstrich ist dabei nicht nur ein Werkzeug, sondern selbst ein Mittel, um Stimmung und Tiefe zu erzeugen. Durch die Art, wie ich Farbe auf die Leinwand setze – mal zart und fließend, mal kräftig und impulsiv – versuche ich, das Unsagbare sichtbar zu machen und den Betrachter in die Bildwelt hineinzuziehen. Jede Linie, jede Textur trägt dabei meine persönliche Handschrift und spiegelt zugleich die Suche nach einer Verbindung zwischen innerem Empfinden und äußerer Wahrnehmung wider.

Cocktail Bar, Elisa Rungger, 115 x 125 cm, Oil on canvas, 2023, © Elisa Rungger

Und: Warum so große Formate – dein Atelier ist klein ...? 
Formate sind nicht immer groß, aber meistens, weil es mir um die Begegnung zwischen Betrachter und Bild geht. Die Proportionen spielen dabei eine zentrale Rolle: Ein kleines Bild wirkt wie eine Erinnerung, etwas Vergangenes, oder bleibt distanziert. Je größer das Bild oder je näher die Proportionen an der natürlichen Größe der dargestellten Figur sind, desto mehr entsteht eine gleichgestellte Begegnung. Mit diesen Proportionen zu spielen, ist ein wichtiger Teil meiner Arbeit.
Zuletzt habe ich ein monumentales Gemälde geschaffen – etwa 2 Meter hoch und 7,20 Meter breit. Dort verändern sich die Proportionen und damit auch die Art der Begegnung noch einmal deutlich.
Mein Atelier misst etwa 25 qm. Trotz der überschaubaren Größe des Raumes spielt das für meine Arbeit keine Rolle; die Entscheidungen über Format und Proportion folgen allein der Idee, wie der Betrachter mit dem Werk in Beziehung treten soll.

Zeichnest du auch ...?
Ja, ich zeichne viel. Meine Bilder beginnen meistens mit der Zeichnung. Ich arbeite auf Papier, um das Bildmotiv besser zu verstehen – vor allem die Komposition. Anschließend erstelle ich Farbstudien, um zu erkunden, welche Farbigkeit ich einsetzen möchte und welche Atmosphäre entstehen kann. Auf dieser Grundlage entwickle ich dann die großformatigen Arbeiten auf Leinwand. 

Wo stellst du zurzeit oder demnächst noch aus? 
Ich plane demnächst eine neue Einzelausstellung in der Galerie Thomas Fuchs in Stuttgart, bei der ich bereits ein paar Einzelausstellungen hatte, darunter The Great Game und Face to Face. Außerdem nehme ich an der Weihnachtsausstellung der Südtiroler Sparkasse teil, die vom 28. November 2025 bis 5. Januar 2026 in Bozen stattfindet. Darüber hinaus laufen noch weitere Projekte, über die ich aber noch nicht zu viel verraten möchte – lassen Sie sich überraschen! 

Sinfonie, Elisa Rungger, Oil on canvas, diameter 130 cm, 2024, © Argento Artistry/Museum Ladin

Elisa Rungger ist 1997 in Bruneck geboren, lebt und arbeitet in Karlsruhe sowie in Wolkenstein. Nach dem Besuch des Kunstlyzeums in Wolkenstein mit Schwerpunkt Darstellende Kunst studierte sie an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Karlsruhe, zunächst in der Klasse von Franz Ackermann, aktuell bei Sophie von Hellermann. Ihre Arbeiten waren in zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen in Deutschland, Italien und den USA zu sehen. Zu ihren Einzelausstellungen zählen „The Great Game“ und „face to face“ in der Galerie Thomas Fuchs in Stuttgart sowie „Persona“ an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Karlsruhe und 2025 „Dazwischen“ im Museum Ladin Ciastel de Tor in St. Martin in Thurn. 2022 war sie zudem mit der Ausstellung „Talents of CON“ im Circle of None in New York vertreten.

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Museum Ladin, Elisa Rungger , dazwischen
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