Südtirols erste Musikkonferenz „Brenner:o in Stere:o“ @ BASIS Vinschgau Venosta

Eventkurator Hans Zoderer, © Marco Telser
Südtirols Musikszene funktioniert seit Jahren nach einem paradoxen Prinzip: Es gibt Talent, es gibt Ambition, aber sobald es um Strukturen geht, schaut man sich an wie bei einer mittelmäßigen Coverbandprobe: nett, bemüht, aber ohne Verstärker. Genau hier setzt Brenner:o in Stere:o an, die erste Musikkonferenz dieser Art im Land. Am 29. November 2025 holt Kurator Hans Zoderer die Szene nach Schlanders in die BASIS, um einen Tag lang nicht nur Musik zu spielen, sondern sich darüber auszutauschen, wie sie überhaupt möglich wird.
Die Botschaft ist klar: Südtirol braucht mehr als Begeisterung. Es braucht Wissen, Austausch, Netzwerke und Systeme, die verhindern, dass junge Acts wieder im Probenraum versanden, obwohl sie längst auf eine Bühne gehören. Und es braucht Gespräche, die über Ästhetik hinausgehen: über Machtstrukturen, Produktion, Förderung, Verantwortung. Eben all das, was im Land oft lieber romantisiert als adressiert wird.
Brenner:o in Stere:o bringt dafür Stimmen von innen – Südtirol Music Fund, PERFAS sowie 12ville, Edizione Raetia – und besonders von außen ins Land – das Musikbüro Tirol, das Poplar Festival aus dem Trentino, das Züricher m4music Festival und das Musikbüro Luzern, den Manager von Manu Delago, der regelmäßig auch mit Björk auftritt, Sonja Eismann mit ihrem neuen Buch „Candy Girls“, – und Formate wie die Human Library, in der Branchenleute buchstäblich ausgeliehen werden können, um echte Einblicke zu geben. Dazu Inputs zu FLINTA* an die Decks, Awareness und Szene-Ethik und am Ende 3 Konzerte und Clubbing bis tief in die Nacht.
Keine Selbstbeweihräucherung, sondern eine nüchterne Frage: Was braucht es, damit Musik hier nicht nur entsteht, sondern bestehen kann? Um das genauer zu verstehen, habe ich bei Hans Zoderer, Booking & Musik-Kurator des Kulturklubs KASINO und Programmverantwortlicher der Konferenz, nachgefragt.
Was war für euch der wichtigste Gedanke hinter dieser ersten Musikkonferenz – warum gerade jetzt?
Es gibt seit kurzem den Südtirol Music Fund, der Albumproduktionen in Südtirol fördert. Das ist super! Aber es gibt relativ wenige Studios, Labels oder anderweitige potentielle Partner:innen, die solche Produktionen professionell begleiten können. Als Hub für Kreativwirtschaft wollen wir in der BASIS einen Anstoß geben und mit dieser Konferenz die ersten nötigen Tools bzw. das Grundwissen dafür zur Verfügung stellen.
Wie würdest du in wenigen Worten beschreiben, was Besucher:innen aus dem Tag wirklich mitnehmen sollen?
In erster Linie Selbstbewusstsein. Die professionelle Musikindustrie ist eine harte Nuss! Fast alle Teilbereiche tun sich schwer, schwarze Zahlen zu schreiben, doch es ist möglich. Wie die 2024 veröffentlichte Musikwirtschaftsstudie für Österreich zeigt, ist die Musikindustrie die drittgrößte (!) Branche und für 2,8 % des österreichischen BIP verantwortlich. Von der Politik und der Gesellschaft wird sie aber oft wie ein Kasperltheater behandelt, was sofort Unsicherheiten und Zweifel bei allen verursacht, die ernsthaft in dieser Branche tätig sein wollen. Südtirol hat viel Potential und die besten Voraussetzungen, dass die Musikindustrie auch hierzulande ein ernstzunehmender Wirtschaftszweig wird. Warum das so ist, wollen wir in der Konferenz diskutieren.
(Für alle, die gern mehr über die zitierte Studie wissen wollen, hier klicken.)
Ihr habt auch Speaker:innen und Beispiele aus anderen Regionen eingeladen: Was kann Südtirol konkret von ihnen lernen?
Es geht um ständigen Austausch und gegenseitiges Lernen. In Tirol beispielsweise gibt es das Musikbüro, eine Institution, die sich auf Beratung und Wissensvermittlung rund um Musikindustriethemen spezialisiert hat. Im Trentino gibt es das international erfolgreiche Poplar Festival, das seinesgleichen sucht. In Zürich gibt es das m4music, ein Showcase Festival, das bereits seit über 25 Jahren existiert. Auch von Südtirol kann viel gelernt werden, beispielsweise ist hervorzuheben, dass es mit PERFAS eine Art Gewerkschaft bei uns gibt, was sich viele andere Orte nur wünschen können. Dass sich die unterschiedlichen Akteur:innen kennen lernen, ist aber das Wichtigste. Die Musikindustrie ist immer noch ein Peoples Business.
Im Programm tauchen Themen wie Awareness, FLINTA* und Machtstrukturen auf. Warum waren euch diese Schwerpunkte wichtig?
Das sind Themen, die gesamtgesellschaftlich wichtig sind. Wenn wir Teile der Gesellschaft kategorisch benachteiligen oder gar ausschließen, verstärken sich Ungleichheitsstrukturen und führen am Ende zu autoritären Systemen. Wer Frieden will, muss ihn für alle wollen. Wir wollen beleuchten, was für Machtstrukturen es in der Musikindustrie gibt, und dass es auch Ökosysteme gibt, die sich aktiv dagegen bewegen.
Wenn die Konferenz perfekt läuft: Was wünschst du dir, dass am Abend in Schlanders „in der Luft liegt“?
Neben dem Gefühl, spannende Inhalte und Menschen kennen gelernt zu haben, ist besonders eines wichtig: Hoffnung. Es sind schwierige Zeiten, besonders für die Kultur. Doch noch gibt es Handlungsspielraum. Wenn wir uns gut vernetzen und gemeinsam für eine bessere Zukunft arbeiten, können wir weiterhin Kultur machen. Es mag banal klingen, denn es gibt – ja, auch in Südtirol – ein starkes Überangebot an Kultur (von Vereinsarbeit zu öffentlich finanzierter, zu kommerzieller und hin zu freier Kultur …), deshalb können wir es uns nicht vorstellen, wie es ohne wäre und welchen Stellenwert sie eigentlich hat. Aber im Grunde wäre jeder Einkauf im Supermarkt, jeder Fitnessraumbesuch, jeder Film, jede Feier, egal ob kirchlich, ein Geburtstag oder ein Rave, jede Kindheit und Jugend … wie ein Leben ohne Farbe, wenn es keine Musik gäbe. Es ist also wichtig, dass es Strukturen gibt, die erlauben, weiterhin in dieser Branche arbeiten zu können.
Und jetzt? Wenn dieser Tag eines zeigen soll, dann das: Die Szene ist bereit – jetzt muss das System nachziehen. Brenner:o in Stere:o soll dabei keine Wellnesskur für Musiker:innen sein, sondern ein ehrlicher Spiegel, der zeigt, wo Südtirol glänzt, wo es hinkt und wo es immer noch so tut, als sei Improvisation eine langfristige Strategie. Vielleicht wird der 29. November 2025 kein historischer Meilenstein. Aber er ist ein Anfang – und genau den hat die Szene längst verdient.
Mitmachen bei diesem Anfang kann jede:r – dazu genügt eine konstenlose Registrierung auf der Event-Website von BASIS Vinschgau Venosta.