Amira Ben Saoud mit „Schweben“ beim Tumler-Literaturpreis-Finale 2025
Amira Ben Saoud, © Erli Grünzweil
Amira Ben Saoud, © Erli Grünzweil
Ich liebe erste Sätze. Nicht von Vorstellungsgesprächen, Small Talks oder Leserbriefen. Schon gar nicht von Predigten, Protokollen oder Wetterberichten. Auch nicht von Glückwunschkarten, Bedienungsanleitungen oder Vorträgen. Aber in Büchern. Und wenn er sich folgendermaßen liest und im Hintergrund „Intro (The Full Horror)“ von SOPHIE läuft, umso mehr.
Sasha saß an eine Fichte gelehnt auf dem Waldboden und nestelte an ihrer Waffe herum.
… Den letzten verrat ich nicht. Aber den Song dazu, bei dem er (vielleicht?) geschrieben wurde und auf meinen Lippen ausklingt. FKA twigs singt: „I didn’t know that you were lonely / If you’d have just told me, I’d be running down the hills to you”.
„Schweben“ ist ein seltsames Buch, das ist Amira Ben Saoud geglückt. Schnörkellos rumpelt der Text über die Seiten, manches so schön antrisch, dass ich es zweimal lesen muss. Grob und unheimlich, wild und fremd – die Protagonistin, das Buch, die Kapiteltitel. Es gibt ein Drinnen und ein Draußen, drapiert als Vor- und Nachspiel. Dazwischen: Eins, Zwei, Drei, Vier, von 1 bis 61. Alles scheint, nichts ist.
Oder doch?!
Ich kam mir lächerlich vor, wie ich im Gebüsch hockte und darauf wartete, dass Gil das Haus betrat, um ihn zu ertappen, um ihn bei seinen Lügen zu erwischen, um wie eine Zecke aus dem Laub zu springen, wenn er mir endlich einen Beweis liefern würde.
Das Buch ist eine Übung, ein Test, ein Betreten von Moorlandschaft, ein Queren von Gletscherspalten, ein Balancieren über morsches Geäst. Mensch sinkt, rutscht, steigt auf, zerkratzt sich Blick und Fußsohle, fällt, nicht tief. Stark – die Bewegung der Wortkörper, das Auskleiden der Seiten mit Sätzen und Absätzen, das Pochen von Sprache, das Kippen von Gedanken.
Nominiert von Gerhard Ruiss, wird Amira Ben Saoud als erste von fünf am Freitag, 19. September 2025 um 9:00 im Josefshaus in Laas vor Publikum und Jury aus ihrem Debütromanen „Schweben“ lesen und sich Statements und Diskussion stellen, um vielleicht am Abend mit dem Franz-Tumler-Literaturpreis und 8.000 Euro sowie einem Aufenthalt in Laas oder dem Publikumspreis und einem dreiwöchigen Schreibaufenthalt auf dem Rimpfhof sowie Lesungen im Vinschgau ausgezeichnet zu werden. – Alles nicht so logisch und einfach, denn bis vor Kurzem sah die Geschichte folgendermaßen aus, wie mir die die Autorin per Email auf meine Frage, ob sie denn gut in Laas angekommen sei, mitteilte: „Aktuell existiert der Zug, den ich nach Laas nehmen soll, nicht, aber als Person, die dem magischen Denken nicht abgeneigt ist, glaube ich fest daran, dass er sich noch manifestieren wird oder ich telekinetische Fähigkeiten entwickle.“ Am 11.11.2025 liest sie übrigens um 19:00 im Literaturhaus am Inn in Innsbruck.
Und nun das Interview mit ihr …
Zwei Spezies von Insekten, die ich nicht kannte, bevölkerten seit einiger Zeit meine Wohnung. Die einen sahen aus wie Fruchtfliegen, nur dass sie noch kleiner und fragiler waren und sich am liebsten gar nicht vom Boden erhoben.
Wohin die Figur auf dem (schönen, KI generierten) Cover wohl blicken mag ...?
Ich nehme mal schwer an, dass es die Erzählerin ist, die auf die Frau, Emma, die sie nachspielt, blickt. Da steht ja unten noch eine zweite Person, schau genau!
Zum Buch gibt’s einen viereinhalbstündigen Soundtrack (love it) – wie hat die Musik ins Buch reingewirkt?
Als Atmosphärenmacherin! Ich wollte ein bestimmtes Gefühl erzeugen, das die Leser und Leserinnen im Idealfall spüren, und dabei hat es mir geholfen, beim Schreiben Musik zu hören, die dieses Gefühl transportiert. Dann dachte ich mir: Kann ich meine persönliche Playlist ja auch gleich veröffentlichen. Es sind 61 Lieder, passend zu den 61 Kapiteln des Buchs.
Was hat es mit deinem Instagram-Namen „abl.abs“ auf sich?
Haha, das hat mich noch nie jemand gefragt! Abs war schon im Journalismus immer mein Kürzel (für Amira Ben Saoud, obviously) und ich signiere die Bücher auch mit abs. abl abs ist aber auch die Abkürzung für den ablativus absolutus, eine lateinische Grammatikspezialität. Und da ich Latein studiert habe, fand ich das sehr passend.
„Beileid!“Ich öffnete meinen Mund und schloss ihn gleich wieder.Ich öffnete ihn noch mal, aber da kam kein Laut. »Oh«, sagte Olav, weil er begriff, dass ich es noch nicht gewusst hatte.
Wie stehst du zu Tumler? Was weißt du von ihm?
Aktuell habe ich leider nur Wikipedia-Wissen und noch nichts von ihm gelesen. Ich finde es aber gerade bei jemandem wie Tumler, der ja lange mit dem NS-Regime sympathisiert hat, extrem wichtig und richtig, dass der Preis auch mit einem Aufenthalt einhergeht, der explizit vorsieht, sich kritisch mit seinem Leben, seiner Person und seinem Werk auseinanderzusetzen.
Im Abspann dankst du u. a. auch Matthias Dusini – ein Meraner … Warum?
Tatsächlich war es 2019 Matthias, mit dem ich gut befreundet bin, der mich bei unserem monatlichen Kaffeetreffen gefragt hat, warum ich nicht einen Roman schreibe. Er hat da unbewusst zum richtigen Zeitpunkt etwas bestärkt, worauf ich ohnehin Lust hatte. Dafür bin ich ihm wirklich sehr dankbar und auch dafür, dass er ein interessierter und informierter Gesprächspartner ist, der mich auch schon als ganz junge Journalistin immer auf Augenhöhe behandelt und unterstützt hat – was man wirklich nicht von allen männlichen Kollegen behaupten kann. Außerdem kocht er gut.
Was steht als Nächstes an? Gibt's eine Idee für ein weiteres Buch?
Ja, nicht nur Idee. Ich bin ungefähr bei der Hälfte und hoffe, dass das neue Buch 2027 erscheinen wird. Es handelt von der Frage, ob man Kinder bekommen soll.
… hab ich was vergessen ...?
Das musst du wissen!
Amira Ben Saoud ist 1989 in Waidhofen an der Thaya geboren, studierte Klassische Philologie, Kunstgeschichte und Komparatistik in Wien, war Chefredakteurin des Popkultur- und Musikmagazins The Gap und Kulturredakteurin beim Standard. „Schweben“ ist ihr erster Roman, erschienen im Zsolnay Verlag 2025 und nominiert für den Franz-Tumler-Literaturpreis 2025.