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„Als Liebesgeschichte eignet sich das Buch wohl nicht sehr“

Sechs Fragen an Christina König, Finalistin beim Franz-Tumler-Literaturpreis 2025

30.07.2025
Verena Spechtenhauser
„Als Liebesgeschichte eignet sich das Buch wohl nicht sehr“

Schriftstellerin Christina König, © Erika Mayer

Schriftstellerin Christina König, © Erika Mayer

Zum zehnten Mal wird heuer in Laas der Franz-Tumler-Literaturpreis für deutschsprachige Debüts verliehen. Unter die fünf Finalist:innen dieser Jubiläumsausgabe, die am 18. und 19. September 2025 stattfindet, hat es auch die österreichische Schriftstellerin Christina König mit ihrem Erstlingswerk „Alles, was du wolltest“ (2025, Otto Müller Verlag) geschafft. Sie wurde von der Wiener Literaturwissenschaftlerin und -kritikerin Daniela Strigl für den Preis vorgeschlagen.

Hast du dir das gut überlegt, fragt dein erster Freund.

Ist der Sex echt so gut, fragt dein zweiter Freund.
Haben sie dir ins Hirn geschissen, fragt dein dritter Freund.

Du sitzt wie der aus dem Nest gefallene Vogel zwischen deinen Freunden und täuschst euch allen Begeisterung vor.
Auszug aus „Alles, was du wolltest“, S. 98, Christina König

In „Alles, was du wolltest“ erzählt Christina König auf rasanten 200 Seiten und in nicht chronologischer Weise die Geschichte von Alex und Viktoria, zwei jungen Frauen in einer durchaus komplizierten Beziehung. Während die perfekte Viktoria ihr Leben scheinbar fest im Griff hat, stolpert die coole Alex mehr schlecht als recht durch ihr eigenes. Als sich die beiden Frauen in einem Yogastudio kennen lernen, landet Alex nicht nur im Bett von Viktoria, sondern begibt sich sehenden Auges auch in deren finanzielle Abhängigkeit. Was als lockere Affäre beginnt, verwandelt sich schneller, als gedacht, in eine feste Beziehung und deren interne Machtstrukturen in eine Blaupause konservativer heterosexueller 50er-Jahre-Ehen. Die Frage die bleibt: Wer bringt hier eigentlich mehr Toxizität in diese Beziehung?

Für franzmagazine durfte ich mich vorab mit Christina König über ihr „Erstgeborenes“ (wie sie selbst an anderer Stelle schreibt) austauschen.

Bücher über heterosexuelle Paare in toxischen Beziehungen gibt es zuhauf. In „Alles, was du wolltest“ hast du dich dazu entschieden, die Machtstrukturen in einer gleichgeschlechtlichen Beziehung zu durchleuchten. Warum? Was hat dich daran gereizt?
Gerade lesbische Beziehungen werden oft romantisiert als drama- und konfliktfrei, weil die patriarchalen Normen fehlen, die die Beteiligten einzwängen. Dabei kann es schwierige Machtverhältnisse in allen Beziehungen geben – und das wollte ich zeigen.

Alex und Viktoria stammen aus komplett unterschiedlichen sozialen Verhältnissen. Wem würdest du dein Buch empfehlen? Jemandem, der eine (wenn auch gescheiterte) Liebesgeschichte lesen möchte, oder jemandem, der sich für eine Analyse von Klassenunterschieden interessiert?
Als Liebesgeschichte eignet sich das Buch wohl nicht sehr – wer allerdings gern über toxische Beziehungen liest und Freude daran hat, Protagonistinnen mit Begeisterung zu hassen, dem kann ich es empfehlen. Wenn meine einzigen Auswahlmöglichkeiten Liebe oder Klassenunterschiede sind, nehme ich die Klassenunterschiede.

Warum hast du dich dazu entschieden, die Geschichte aus der Du-Perspektive von Alex, einer der beiden Protagonistinnen, zu erzählen? Dadurch neigt man als Leser:in ja dazu, sich mit ihr stärker zu identifizieren, sie besser zu verstehen, ihr mehr Sympathie entgegenzubringen. Ist das von dir so gewollt?
Spannend, dass du das sagst – ich habe mehrere Rückmeldungen bekommen, die berichten, dass sie Alex so furchtbar fanden, dass sie mehr oder zumindest gleich viel Sympathie für Viktoria aufgebracht haben. Aber grundsätzlich finde ich das Spannungsverhältnis aus Nähe und Distanz spannend, das dieses Du aufwirft: Man schlüpft in kein Ich hinein, wird aber über das Du anders, vielleicht direkter angesprochen. Ich möchte kein künstliches Verständnis für Alex generieren, sondern die Leser:innen zur Frage anregen: Was hätte ich in dieser Situation getan?

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Die Kärntner Schriftstellerin Angela Lehner (Side fact: Sie hat übrigens mit ihrem Debütroman „Vater unser“ 2019 den Franz-Tumler-Literaturpreis gewonnen) schreibt im Standard über dein Buch: „Der Roman beweist, dass sich die größten menschlichen Dramen noch immer in den eigenen vier Wänden abspielen.“  Stimmst du ihr zu?
In unserer heutigen Zeit mit Trump, Klimawandel und Kriegen würde ich das nicht genauso ausdrücken – aber ich denke, Angela Lehner hat damit gemeint, dass sich hinter verschlossenen Türen Abgründe auftun, die man dort nie vermuten würde, dass die teuren Fassaden psychische Dramen zusammenhalten. Und das würde ich durchaus auch so sagen.

In deinem Buch gibt es drei verschiedene Enden. Warum? Wie bist du auf diese ungewöhnliche Idee gekommen?
Ich habe mich schon immer gern gefragt: Was wäre, wenn ...? Wie könnte es weitergehen? Was könnte anders passieren, und was müsste man dafür anders machen? Die unterschiedlichen Enden hatte ich immer im Kopf, wollte aber ursprünglich mit dem Schluss des ersten Romanteils enden – bis mir auf einer Fahrradfahrt auf dem Heimweg von der Arbeit der Gedanke entgegengerollt gekommen ist, dass ich sie in den Roman aufnehmen sollte. Es war auch eine pragmatische Entscheidung: Ohne die drei Enden wäre die Geschichte schlicht zu kurz geworden.

Zum Abschluss: Literaturpreis oder Publikumspreis. Über welche der beiden Auszeichnungen würdest du dich mehr freuen?
Über die mit dem längeren Schreibaufenthalt als Preis. Welche das ist, konnte ich tatsächlich nicht herausfinden, und ich frage sicherheitshalber nicht nach, für den peinlichen Fall, dass es irgendwo sehr offensichtlich steht. Aber auch wenn ich drei Horngurken für meinen Roman bekomme, bin ich glücklich.

Das Display deiner Smartwatch ist gesprungen. Du klopfst und schüttelst und drückst und googelst.
Die Zahlen der Uhr sind eingefroren wie das Blut in deinen Adern.
Hab ich dir die nicht gerade erst gekauft?
Du reihst deine Entschuldigungen auf, während sie lächelt, milde in ihrer Überlegenheit.
Lass sie einfach reparieren. Sag mir dann, was es kostet.
Ich zahl’s dir zurück.
Sie winkt ab und überweist dir hundert Euro mehr, als du brauchst.
Als du sie darauf anredest, tut sie, als wüsste sie von nichts.
Behalt’s einfach.
Auszug aus „Alles, was du wolltest“, S. 97, Christina König

Christina König, geboren 1993 in Linz, studierte Germanistik und Literatur- und Kulturwissenschaft in Salzburg und arbeitete anschließend unter anderem als Werbetexterin und Korrektorin. 2022 war sie unter den Finalist:innen im Kurzgeschichtenwettbewerb FM4 Wortlaut sowie 2024 im Kurzgeschichten- und Lyrikbewerb zeit.lauf. Ihre Texte wurden unter anderem in den Literaturzeitschriften Die Rampe und Am Erker veröffentlicht. Für ihren Debütroman „Alles, was du wolltest“ erhielt sie ein Arbeitsstipendium des österreichischen Bundesministeriums für Kunst und Kultur.

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Tags

Franz Tumler Preis, Gegenwartsliteratur, Christina König, Otto Müller Verlag, Queere Literatur, Alles was du wolltest, queer
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