TSHEGL – Eine Geschichte von Heimat und Zuhause
Interview mit dem Bozner Regisseur und Filmemacher Philipp Silbernagl

© TSHEGL, Philipp Silbernagl
Der gebürtige Bozner Philipp Silbernagl ist Regisseur und Filmemacher, der bereits in verschiedensten internationalen Produktionen für Werbefilme und Musikvideos Regie geführt hat. Sein neuester eigener Dokumentar-Kurzfilm TSHEGL erzählt vom Aufwachsen in Südtirol, von Identität, Konflikten, Gemeinschaft und Perspektiven. Von Heimat und Zuhause.
Die Abwanderung junger Südtiroler:innen ist ein Thema, das die Region schon länger beschäftigt und gerade jetzt aktueller denn je ist. Wer ausbrechen will, wer neue Erfahrungen außerhalb des gewohnten Alltags und der lokalen Möglichkeiten machen will, sucht erstmal das Weite … und nicht selten liegt dieses Weite im nahen Norden. Das deutschsprachige Ausland wirkt dabei für junge Südtiroler:innen örtlich so nah, doch oftmals zugleich emotional und kulturell vermeintlich so weit entfernt.
Doch wie erklärt man anderen deutschsprachigen Realitäten die eigene Südtiroler Heimat, die Mentalität und Identität der Menschen zwischen Tal und Stadt, Landwirtschaft und Tourismus, deutsch und italienisch, Autonomie und Italienisierung – eine Identität, die sich Außenstehende noch nie richtig erklären konnten, sie oftmals aber dennoch von der eigenen abgrenzen … Vielleicht ist das Problem, dass sie keiner so wirklich greifen kann – Südtiroler:innen eingeschlossen.
Aber muss man das? Ob man nun Tscheggl genannt wird, oder Walscher, oder irgendetwas dazwischen oder außerhalb …




Diese Reflexion führte den jungen Regisseur und Filmemacher Philipp Silbernagl nach seiner Zeit im Ausland zur kreativen Rückbesinnung auf die Heimat: Mit seinem neuesten Projekt TSHEGL zeichnet der gebürtige Bozner ein Portrait darüber, was das Südtiroler Leben neben allen vermeintlichen Konflikten und Stigmata eigentlich ausmacht – anhand der Perspektive von Tobias „Tshegl“ Gasser, der auf einem Südtiroler Bergbauernhof aufgewachsen ist. Dabei ist TSHEGL mehr als eine regionale Coming-Of-Age-Geschichte. Der Film kulminiert in der Frage danach, was junge Südtiroler:innen mit externen Lebensrealitäten trotz ihrer scheinbaren Isolierung gemeinsam haben. Er zeigt auf, welche Qualität das Leben in der missverstandenen Heimat haben kann, wie Heimat und Zuhause zwei verschiedene Begriffe sind, die aber doch in einem Ort oder einem Gefühl zusammenfallen können.
Im 10-minütigen Kurzfilm portraitiert Philipp Silbernagl in eindrucksvoller Bildsprache seinen Freund Tobias „Tshegl“ Gasser auf 35mm-Film. Im Gespräch mit franz erzählt er von der Idee, der Produktion, inneren Konflikten und Entscheidungen. Wir hören zu …

Vor ein paar Jahren verbrachte ich längere Zeit in Berlin, um dort neue Arbeitserfahrungen zu sammeln. Immer wenn ich mich neuen Leuten vorgestellt habe, hatte ich die Empfindung, dass ich doch eigentlich von der modernen Großstadt und den Wertvorstellungen der dortigen Bevölkerung nichts verstehe. Südtirol kennt zwar jeder als schönen Urlaubsort, aber die Bewohner gelten als wenig fortschrittlich und in ihren Traditionen verhaftet. So war zumindest meine Erfahrung. Daraus ergab sich dann die Grundmotivation für den Film: Ich wollte zeigen, wie schön es sein kann, auf einem Hof zu leben.
Erkläre TSHEGL in eigenen Worten. Was bedeutet der Film für dich und die Region Südtirol?
„TSHEGL“ ist ein sehr persönlicher Film, der meine Südtiroler Herkunft widerspiegelt. Er behandelt den Konflikt zwischen der deutsch- und der italienischsprachigen Bevölkerung des Landes und thematisiert die Frage der Zugehörigkeit. Es sollte mehr als eine regionale Geschichte sein, vielmehr ging es mir um eine universelle Erkundung des Lebens: Wo liegen die Gemeinsamkeiten, die uns alle verbinden?
Visuell war es für mich wichtig, so nah wie möglich am Protagonisten zu bleiben. Ich habe fast keine Anweisungen gegeben, wie sich Tobias vor der Kamera zu verhalten habe. Jede Aktion ergab sich spontan, obgleich sie indirekt vorgeplant war. Ich schickte zum Beispiel meinen Kameramann voraus, erklärte ihm, worauf er sich konzentrieren solle, und ging dann mit Tobias nach. So wurde er immer wieder überrascht und konnte spontan und natürlich reagieren.
Einen solchen Film zu drehen, wie wir es gemacht haben, verlangt großes Vertrauen innerhalb der Crew. Ich möchte mich daher an dieser Stelle nochmals herzlich bei allen Beteiligten für ihre Geduld und Unterstützung bedanken.



Als gebürtiger Bozner warst du dem deutsch-italienischen Konflikt ausgesetzt, den der Trailer des Films beschreibt. Hast du diesen in deiner Jugend wahrgenommen? Wenn ja, wie?
Ich finde mich in Tobias wieder: Seine Konflikte und Entscheidungen haben auch mit meiner Biografie zu tun. Es gilt eine Frage auf die Antwort zu finden: Wie können wir unseren Wurzeln treu bleiben und gleichzeitig in einer sich schnell verändernden Welt bestehen?
Du warst bereits in großen deutschen Städten wie München und Berlin zuhause. Inwiefern ist TSHEGL auch der Start von einer Rückbesinnung auf die Heimat?
Der Film war für mich nicht unbedingt eine „Rückbesinnung“. Derzeit pendle ich zwischen Jobs im Ausland und Jobs zu Hause. Ich bin also aktuell, wenn Sie so wollen, nirgendwo so wirklich zu Hause. Aber es stellen sich mir gerade wieder ganz neue Fragen, die vielleicht in einem nächsten Kurzfilm behandelt werden könnten. Für mich haben die vielen Interviews und die unzähligen Stunden in der Postproduktion die Frage nach der Zugehörigkeit immer noch nicht beantwortet. Was ich aber für mich daraus gelernt habe, ist, es so anzunehmen und zu akzeptieren, dass dieser Konflikt immer Teil meiner Identität sein wird und mich und im Grunde alle anderen Südtiroler*innen besonders macht. Wir haben den Vorteil, zweisprachig aufzuwachsen; wir sind umgeben von einer wunderschönen Natur, die Sonne scheint fast täglich, das Gemüse schmeckt lecker. Was will man eigentlich mehr?
Mein Vater hat es mir mal so erklärt: Heimat ist der Geburtsort, aber Zuhause ist dort wo die Lieben sind.


Zentral bleibt also, eine Balance zwischen starker Verbundenheit mit den eigenen Wurzeln und einer Aufgeschlossenheit für alles darüber hinaus, den Kontext einer sich schnell entwickelnden, verbunden Welt, zu wahren. Wer das versteht, entwickelt das Potenzial seiner Heimat zu einer Qualität, wie Philipp Silbernagl mit seinem Film beweist.
Auch wenn TSHEGL seine offizielle Prämiere erst im Sommer 2025 feiert, findet der kürzlich veröffentlichte Trailer bereits großen Anklang. Definitiv eine Heimatproduktion, die man nicht verpassen sollte …