Im Dialog mit der Welt: Magdalena Mitterhofer über Kunst und Gesellschaft

Junge Künstler*innen, die sich abseits gewohnter Pfade und jenseits von Konventionen bewegen, um in den verborgenen Winkeln des Sichtbaren neue Welten zu erschaffen, stehen im Mittelpunkt dieser Portraitserie. In ihren Werken geht es um Vielfalt, queere Lebenswelten und persönliche Geschichten, die oft im Verborgenen bleiben.

07.03.2025

Magdalena Mitterhofer, © Marta Buso, Centro Tedesco di Studi Veneziani

Was treibt sie an? Wie überwinden sie Widerstände? Die Interviews geben tiefe Einblicke in ihre Welt und zeigen, wie ihre Kunst nicht nur Ausdruck ihrer Identität ist, sondern auch Impulsgeber für Veränderung und neue Perspektiven.

Magdalena Mitterhofer ist eine junge Filmemacherin und Künstlerin aus Innichen, die mit unverwechselbarer Energie zwischen den kulturellen Welten Südtirols, Berlins und darüber hinaus agiert. Aktuell residiert sie im Rahmen einer dreimonatigen Residency am Deutschen Studienzentrum in Venedig. Dort, in der Abenddämmerung mit Blick auf den Canal Grande, beantwortet sie meine Fragen und öffnet uns Einblicke in ihre Projekte – sie teilt ihre Sorgen über die aktuellen politischen und gesellschaftlichen Herausforderungen ebenso wie ihre Visionen für zukünftige Vorhaben. 

Mit ihrem international prämierten Kurzfilm „Corte“, den sie im vergangenen Jahr im Rahmen der Ausstellung „Renaissance“ im Museion in Bozen präsentierte, hat sie eindrucksvoll bewiesen, dass es ihr gelingt, die Komplexität der gegenwärtigen gesellschaftlichen Lage auf eine sehr intime Weise darzustellen – sodass der Puls der Gegenwart förmlich spürbar wird. Dabei reflektiert sie den rasanten Wandel des Medien- und Informationskonsums, der nicht nur unsere Sprache, sondern auch unsere Wahrnehmung der Realität nachhaltig transformiert – ein roter Faden, der sich durch ihr gesamtes künstlerisches Schaffen zieht.

Filmstill „Corte“, written and directed by Magdalena Mitterhofer

In ihrem interdisziplinären Oeuvre, das von innovativem Filmemachen über expressive Performance und zeichnerische Ansätze bis hin zu kollaborativen Projekten wie „Lament.tv“ reicht, experimentiert Magdalena mit Erzählformen, die uns vertraut erscheinen und zugleich überraschend neu interpretiert werden. Sie scheut nicht davor zurück, gängige Klischees wie den Konflikt zwischen Tradition und jugendlicher Unbekümmertheit, zwischen sozial privilegierten und benachteiligten Lebensrealitäten sowie zwischen akademischer Theorie und der Erfahrungswelt der Arbeiter*innenschaft aufzugreifen – sie webt diese Polemiken in ihre Narration ein und löst sie im nächsten Moment wieder auf, um fortwährend neue Perspektiven zu eröffnen.

Mit ihrem feinen Gespür für gesellschaftliche Tendenzen gelingt es Magdalena, die Spannungsfelder unserer Zeit scharf zu zeichnen und in ihren Arbeiten die vielschichtigen Dynamiken des Zeitgeschehens künstlerisch zu reflektieren. Ein spannender Ausblick auf das Jahr 2025.

Hallo Magdalena, wo befindest du dich gerade und was beschäftigt dich im Moment am meisten?
Hallo! Gerade bin ich in Venedig. Ich habe das große Glück, für drei Monate im Deutschen Studienzentrum zu wohnen. Es ist unglaublich schön hier: Während ich hier antworte, geht die Sonne unter und ich blicke auf den Canal Grande.
Was mich beschäftigt: Zuletzt die Wahlen in Deutschland, ich frage mich, wie es in Deutschland, meinem Arbeitsmittelpunkt, jetzt weitergeht. Die Kriege, das Aufrüstungsfieber, das jetzt selbst die liberale Mitte ergreift, wo widerspruchslos über wiedereingeführten Wehrdienst gesprochen wird, Trumps Amerika, Gaza – all das frustriert mich und macht mir Angst.
Außerdem beschäftigt mich mein Drehbuch, an dem ich gerade schreibe. Ich versuche, mich darin mit all diesen Ängsten auseinanderzusetzen. 

Ein neues Drehbuch? Interessant!
Ja! 
Das Drehbuch erzählt von einem jungen Paar, das in den Alpen Heilung sucht, doch die Depression des Mannes verzerrt zunehmend ihre Beziehung und verkompliziert die Reise. Plötzlich stößt das Paar auch noch auf eine Militärsportveranstaltung – und dann verschwimmen persönliche und gesellschaftliche Krisen mit einer fatalen Konsequenz.

Corte © Magdalena Mitterhofer
About the authorAndreas HeilerIch lebe in Wien und Bozen und dazwischen und darüber hinaus bewege mich am liebsten in Museen, Kunstausstellungen [...] More
Dein international prämierter Kurzfilm „Corte“, der im letzten Jahr auch im Museion im Rahmen der Ausstellung „Renaissance“ gezeigt wurde, thematisiert den Generationenkonflikt zwischen einer Gruppe junger Freund*innen in ihren 20ern und dem etwas aus der Zeit gefallenen Schriftsteller Noél. Du gehörst zur Generation dieser jungen Freund*innen – was zeichnet deine Generation aus, und wie siehst du die Perspektiven der nachkommenden Generationen?
Obwohl man über eine Generation nicht zu sehr pauschalisieren sollte, weil es so viel Vielfalt innerhalb einer Generation aufgrund von Klasse, Herkunft ect. gibt, gibt es schon ein paar grundlegende Unterschiede. Was meine Generation zum Beispiel grundlegend ausmacht, ist unser Medien- und Informationskonsum. Diese Dynamik prägt auch unsere Sprache und führt zu Missverständnissen. Junge Menschen reagieren schnell auf Inhalte, verarbeiten Informationen rasch und lesen zwischen den Zeilen, verlieren aber manchmal den Überblick.
Als Künstlerin und Filmemacherin beschäftigt mich die Frage, wie wir diese Schnelligkeit nutzen können, um Erzählungen zu gestalten, die überraschen und komplexe Perspektiven bieten. Es geht darum, neue narrative Wege abseits des fragmentierten Informationsflusses zu finden. Filmkunst kann Räume öffnen, in denen Erzählungen nicht nur konsumiert, sondern auch reflektiert werden können. In einer Zeit, in der Informationen oft impulsiv und algorithmisch vermittelt werden, betrachte ich Filmkunst als Mittel, um Zusammenhänge zu schaffen, Widersprüche aufzuzeigen und neue Sichtweisen zu eröffnen.

Was bedeutet für dich, „jung zu sein“, insbesondere in einer Zeit, die von sozialen Medien und multiplen Krisen geprägt ist?
Heute jung zu sein allgemein, bedeutet, dass einen alle haben wollen (Marken, Institutionen, Ideologien), um gleichzeitig ignoriert zu werden. Es bedeutet, in der Minderheit zu sein. Bei Wahlen entscheiden Babyboomer aufgrund ihrer zahlenmäßigen Überlegenheit über unsere Köpfe hinweg.
Heute jung zu sein, bedeutet, Zukunftsängste zu haben und von diesen multiplen Krisen (Inflation, Wohnungsmarkt, Rechtsruck) noch akuter betroffen zu sein, weil man weniger geschützt und abgesichert ist. 

Die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit Shade Théret und euer gemeinsames Projekt Lament.tv erweitern deinen künstlerischen Ansatz. Was bedeuten solche Kooperationen für dich – in den Dialog mit anderen Kreativschaffenden zu treten – und welche Synergien entstehen daraus?
Ich arbeite regelmäßig in unterschiedlichen Konstellationen mit anderen Kunstschaffenden zusammen – sei es als Performerin, Regisseurin oder Organisatorin. Diese kollaborative Arbeitsweise ist für mich wichtig. Gerade deshalb bewege ich mich zunehmend weg von der bildenden Kunst hin zu Film und Theater, wo Zusammenarbeit keine Ausnahmeerscheinung, sondern Normalität ist. 
Die klassische Studiopraxis – allein vor dem Laptop, dem Spiegel oder der Leinwand – entspricht mir nicht. 
Mit Shade Théret, die aus dem Tanzbereich kommt, habe ich seit vielen Jahren eine kontinuierliche Praxis. Ohne sie hätte ich mich vieles nie getraut. Kollaborieren bedeutet auch, über seinen Schatten zu springen, Stolz abzulegen – und die Idee des einsamen „Genies“ hinter sich zu lassen.

Als junge Künstlerin, die zwischen Südtirol und Berlin pendelt – zwei sehr unterschiedliche Orte –, wie beeinflussen diese geografischen und kulturellen Kontraste dein Verständnis von Identität? Fühlst du dich zwischen diesen beiden Welten hin- und hergerissen, oder gelingt es dir, eine harmonische Verbindung herzustellen?

Die Zweisprachigkeit ist wirklich ein Geschenk. Dass ich in Italien und im deutschsprachigen Raum ohne Sprachbarriere arbeiten kann, empfinde ich als großen Vorteil, es erweitert den Horizont der Möglichkeiten und meine Phantasie. Die Orte meiner Kindheit sind ein Mythos, der mich inspiriert. Gleichzeitig dient mir Südtirol, weil es so klein und überschaubar ist, als Modell. Hier kann ich Phänomene, wie den Umgang mit Massentourismus, den Einfluss des Klimawandels und den Umgang mit Korruption, besonders gut beobachten und analysieren.

Gib uns einen Ausblick auf dein künstlerisches Jahr 2025. Was steht an? Worauf freust du dich, und auf welchen Breitengraden wirst du dich bewegen?
Ich freue mich sehr, dass mein Film im April noch einmal in Bozen gezeigt wird. Im Sommer habe ich ein paar kleinere Aufträge und Jobs und es erwartet mich eine Kollaboration mit der georgischen Bildhauerin und Schriftstellerin Ana Gzirishvili in Berlin, wo ich ihre Texte inszenieren werde. Ich arbeite weiterhin an der Finanzierung meines Films – einer zeitgenössischen Adaption von Robert Musils Kurzgeschichte „Grigia“. Ich hoffe, dass ich bald drehen kann – ich kann es kaum erwarten. 

Abschließend: Kannst du einen typischen Arbeitstag beschreiben? Gibt es Routinen oder Rituale, die dir helfen, dich auf deine künstlerische Arbeit zu konzentrieren?
Ich habe keine festen Routinen, weil ich an unterschiedlichen Orten und zu verschiedenen Zeiten arbeite. Ich habe mir für dieses Jahr vorgenommen, mehr Rituale zu finden. Während der Residency habe ich auch wieder gemerkt, dass ich Momente brauche, in denen ich nicht produktiv arbeite, sondern mich inspirieren lasse. Die besten Ideen entstehen oft aus dem Leerlauf und in beiläufigen Gesprächen.

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