„Diese Arbeit erfüllt mich mit Sinn“

Christine Sartori über ihr Engagement für die Kleiderkammer Bozen

12.02.2025
„Diese Arbeit erfüllt mich mit Sinn“

Christine Sartori © Susanne Barta

Große magazinartige Räume mit Regalen und Schränken, in denen sich Kleidungsstücke stapeln, fein säuberlich zusammengelegt und beschriftet. Dazwischen Frauen und auch einige Männer, die sortieren, falten, einräumen und sich um die Ausgabe kümmern. Die Kleiderkammer Bozen ist Anlaufstelle für Menschen in Not. Seit Jahrzehnten kann sich dort, wer es braucht, eine Bekleidungs-Grundausstattung abholen. Jedenfalls, wenn vorrätig, und das hängt davon ab, ob das richtige gespendet wird. Im Laufe der Jahre, vor allem nach dem Flüchtlingszustrom 2015, hat sich nicht nur das Angebot der Kleiderkammer erweitert, sondern auch die Anzahl der Leute, die mithelfen. Christine Sartori, viele kennen sie vielleicht noch von ihrer Arbeit für den Südtiroler Künstlerbund, ist seit 13 Jahren dabei und leitet die Bozner Filiale. Alle Mitarbeiter*innen sind ehrenamtlich tätig.

© Susanne Barta

Die Kleiderkammer ist an drei Tagen der Woche geöffnet, Mo, Mi und Fr, jeweils am Nachmittag. Seit Jahren bringe ich immer wieder mal etwas vorbei. Jetzt wollte ich mir die Kleiderkammer endlich etwas näher anschauen, habe Christine Sartori zum Interview getroffen, kurz auch mit der Vize-Verantwortlichen Gabi Niederstätter gesprochen und einige Zeit bei der Ausgabe zugeschaut. Die Damen sind gut organisiert, es gibt klare Regeln, sie sind freundlich, jedoch resolut. Diese Arbeit erfordert einiges: Es gilt, die Übersicht zu behalten, die vielen hereinkommenden Spenden zu sortieren, die Ausgabe effizient zu organisieren, den richtigen Ton zu treffen. Ab und zu kommt es auch zu unangenehmen Situationen, wenn zum Beispiel das gewünschte nicht ausgehändigt wird. Neue Schuhe etwa, die es nicht gibt. Seit einiger Zeit kümmert sich Assidi Yaymen um die Security, er spricht Arabisch und er hat sich, wie mir Christine erzählt, als große Hilfe erwiesen.

© Susanne Barta
About the authorSusanne BartaJe nach Lebensphase und Stimmung beschreibe ich mich anders. Wenn es so etwas wie einen roten Faden gibt, [...] More
Ich bin an einem Mittwochnachmittag da, Ausgabetag für Männer. Ein junger Tunesier erzählt auf Nachfrage, dass er auf der Straße lebt und im Freien übernachtet. Er bekommt zusätzlich zu Jacke und Schuhen, Unterwäsche, eine Mütze, Handschuhe und einen Rucksack. Immer wieder kommen Leute herein und schleppen säckeweise Sachen an. Vieles ist zu gebrauchen, manches nicht. Alles muss intakt und gewaschen sein. Spenden bedeutet nicht Abfall zu entsorgen, das scheint einigen (noch) nicht klar zu sein. Daher wird alles angeschaut und, was nicht passt, aussortiert. Unterwäsche zum Beispiel wird neu gekauft. 2024 sind über 3.200 Menschen in die Kleiderkammer gekommen und haben sich Kleidungsstücke abgeholt.

Christine, ihr beschreibt auf eurer Website sehr genau, was gebraucht wird. Wie schaut denn die Realität aus? Was bekommt ihr?
Die Realität ist nicht so gut. Manche Leute scheinen der Meinung zu sein, dass für die, die auf der Straße sind, alles gut genug ist. „Ich tät es nicht mehr anziehen“, sagen sie, „aber für die geht’s ja“. Aber so ist es nicht. Diese Menschen müssen auch würdevoll behandelt werden. Die meistens sind höflich und freundlich, aber nicht alle. Wir bemühen uns, dass alle gut bedient werden. Wenn sie sich gut benehmen.

Ihr habt ja schon länger auch Leute, die sich alles anschauen, was hereinkommt …
Das machen hauptsächlich zwei Männer. Frauen wären da vielleicht besser, denn sie haben einen anderen Zugang zu Mode. Was den Herren manchmal unmöglich erscheint, kann gerade etwas Besonderes sein. Aber wir brauchen jede Hilfe, denn es wird, nachdem die Caritas nicht mehr sammelt, sehr viel angeliefert. Fast alles landet jetzt bei uns.

Wer ist berechtigt zur Kleiderkammer zu kommen und sich dort etwas auszusuchen?
Jede*r, der Zeit hat und sich eine Nummer besorgt. Die Männer stehen dazu am Dienstagvormittag bei den Kapuzinern an der Pforte an und bekommen die Nummer für Mittwoch und Freitag und am Freitagvormittag bekommen hier die Frauen ihre Nummer und können am Montag kommen. Was es braucht, ist einen Ausweis.

Wie funktioniert nun die Kleiderausgabe?
Die Menschen kommen einzeln herein, im ersten Raum gibt es Sachen wie Kinderspielzeug und Schuhe, die nicht mehr so gut sind, die können einfach mitgenommen werden, ohne dass es aufgeschrieben wird. Im zweiten Raum gibt es gute Schuhe und Jacken, da können sie sich etwas aussuchen. Die anderen Sachen werden ihnen gezeigt und sie können auswählen, was sie brauchen, zum Beispiel Unterwäsche, eine Mütze, Handschuhe, Pullover, Hose, ein Kleid. Was wir eben haben. Das alles wird notiert. Alle 6 Wochen können sie kommen und wir schauen, was das letzte Mal ausgegeben wurde. Winterschuhe zum Beispiel bekommt man nicht jedes Mal, denn davon haben wir zu wenige.

© Susanne Barta

Wer kommt aller?
Menschen aus verschiedenen Ländern, Einheimische kommen kaum. Einheimische Frauen noch weniger, auch wenn es einige brauchen würden. Wir haben schöne Kinder- und Frauenkleidung, für Frauen haben wir auch viel mehr. Manchmal werden Marken-Sachen oder auch High Heels gespendet, aber auch die bekommen wir weiter.

Was könnte der Grund sein, dass Einheimische kaum kommen? Scham? Oder gebrauchte Kleidung an sich?
Schämen auch, aber vor allem eine Aversion gegen gebrauchte Kleidung. Vieles bei uns ist wie neu, manche Geschäfte geben uns auch neue Ware, die nicht verkauft wurde.

Was braucht ihr besonders?
Männerschuhe, Rucksäcke, Koffer, Reisetaschen, Kapuzen-Pullis für junge Männer …

Christine Sartori und Gabi Niederstätter © Susanne Barta

Du hast vorher gesagt, „wenn sie sich gut benehmen“. Ist Benehmen ein Problem?
Ja, doch. Wir haben einen Security-Mann hier. Er ist Tunesier, sehr gläubig und möchte alles im Guten regeln. Er ist uns eine große Hilfe. Vor allem auch, weil er Arabisch spricht. Manche sind bei uns schon ausgerastet oder wir sind beschimpft und bedroht worden. Manche flippen aus, wenn sie nicht genau das bekommen, was sie haben wollen. Zum Beispiel wollen sie neue Schuhe und wir haben keine. Mittlerweile können wir aber besser damit umgehen. Im schlimmsten Fall müssen wir die Polizei holen, aber wirklich selten.

Ihr habt sehr viel Kleidung, was passiert mit dem, was nicht weitergegeben werden kann?
Beschädigte oder schmutzige Stücke, Stücke, die wir nicht verwenden können, kommen in Säcke, die wöchentlich von der Sozialgenossenschaft Albatros abgeholt werden. Sie verwerten das weiter. (mehr dazu siehe unten) 

Ihr seid derzeit 17 ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Was treibt dich an, diese Arbeit zu machen?
Nachdem ich beim Südtiroler Künstlerbund in Pension ging, war mir klar, dass ich irgendetwas machen möchte. Ich hörte von der Kleiderkammer, damals waren dort nur drei Leute und ich fragte an, ob ich mitmachen könnte. Ich durfte mitmachen und habe damit begonnen, Kleidung zu sortieren. Als die große Migrationswelle kam, war das mit dem kleinen Team nicht mehr zu bewältigen. Das war schrecklich damals, es fehlte an allem. Ich mache diese Arbeit sehr gerne, da kann ich auch im Namen meiner Kolleginnen und Kollegen sprechen. Diese Arbeit erfüllt einen mit Sinn. 

Grundsätzlich stellt ihr Kleidung bereit für Menschen, die in einer Notsituation sind?
Ja, vor allem für die, die draußen sind. Sie bekommen auch Decken und einen Schlafsack und eine Unterlage und alles, damit sie nicht zu kalt haben. Wobei es jetzt mehr Plätze gibt und die meisten drinnen schlafen können. Wir fragen auch immer nach, wo sie schlafen. Aber natürlich kommen auch viele andere Bedürftige.

© Susanne Barta

Die Kleiderkammer kann nur entsprechend helfen, wenn sie gut erhaltene Sachen bekommt. Besonders gebraucht werden derzeit kleine (S/M) Männerhosen, Männerschuhe, Gürtel, Jeans, Sporthosen und Kapuzenpullis. Vielleicht findet sich ja das ein oder andere in euren Kleiderschränken, das ihr entbehren könnt?

Die Kleiderkammer Bozen findet ihr in der Andreas-Hofer-Straße 4/F in Bozen, hinter der Buchhandlung Mardi Gras. Öffnungszeiten für die Ausgabe: Montag von 14:30 bis 17:30 für Frauen, Mittwoch von 14:30 bis 17:30 für Männer, Freitag von 13:30 bis 16:30  für Männer. Öffnungszeiten für die Annahme: Montag und Mittwoch von 14:30  bis 17:00, Freitag von 13:30  bis  16:30. Infos unter +39 353 4651394 zu den Öffnungszeiten oder  +39 0471 324 208.

Ich habe bei der Sozialgenossenschaft Albatros nachgefragt, was mit den Kleidungsstücken passiert, die die Kleiderkammer nicht gebrauchen kann. Die Leiterin Monika Thomaser hat geantwortet, dass die Säcke der Kleiderkammer, wenn gut verschlossen, nicht geöffnet werden, sie kommen in den internationalen Kreislauf mit den anderen gut verschlossenen Säcken. Sie gehen zur Abnehmerfirma FWS in Bremen, das sind professionelle Textilrecycler. Albatros sammelt im Auftrag der Caritas mittels Sammelglocken gut erhaltene Gebrauchtkleider. Sie sind für den weltweiten Gebrauchtkleidermarkt bestimmt. Monika Thomaser: „Kaputte und schmutzige Kleidungsstücke fallen unter textilen Abfall und müssen über das Abfallsystem entsorgt werden. Fakt ist, dass die Qualität der gebrauchten Kleider stark gesunken ist und sich in den Sammelglocken immer mehr Textilabfall befindet bzw. auch Hausmüll eingeworfen wird. Diese Abfälle entsorgen wir an den jeweiligen Recyclinghöfen, obwohl dies eigentlich nicht unser Auftrag ist.”

Also nochmals zur Erinnerung: Spenden ist nicht Abfallentsorgung!

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