Plotting Empowerment

Das generative Design der Draft Masters

04.02.2025

Die Draft Masters in ihrem Studio © Ludwig Mehler

Programmieren, modifizieren und mit alternativen Darstellungsweisen experimentieren. Die Draft Masters zeigen in ihrem Studio an der unibz, wie ein vergessenes Medium neuen produktiven Wert in die Welt des generativen Designs bringen kann. Aber was ist eigentlich ein Pen-Plotter und welches Potenzial birgt das aus der Zeit gefallene Gerät für zeitgenössische künstlerische Produktion? Das Kunst- und Design-Duo erzählt im Gespräch, warum das Experimentieren mit ausrangierten Geräten und Maschinen emanzipatorischen und didaktischen Wert hat.

Die Ambition, Meister in einer vergessenen Disziplin des generativen Designs zu werden, ist der leidenschaftliche Antrieb, der sie zur Selbstbenennung mit dem Namen Draft Masters veranlasste, … und natürlich, weil es „mit dem Ghostbusters-Intro im Hinterkopf wirklich gut klang“. Amedeo Bonini und Rocco Modugno sind Forschungsassistenten an der Fakultät für Design und Kunst der Freien Universität Bozen, der eine mit Erfahrung im parametrischen Produktdesign, der andere Grafikdesigner mit naturwissenschaftlichem Background, und beide vereint in ihrer geteilten Leidenschaft für generatives Design. Die Besonderheit? – Ihr kleiner Hang zum Fetischismus für Pen-Plotter der 70er- und 80er-Jahre …

Zuerst zwei Begriffserklärungen: Generatives Design bezeichnet eine Entwurfsmethode, die einen visuellen Output durch ein gewisses Regelwerk bzw. einen Algorithmus erzeugt. Sozusagen ein eigenständiger Design-Prozess von Computern, der gewissen Vorgaben folgt. Der Pen-Plotter, vor Jahrzehnten eine wahre Innovation, ist neben 3D-Druckern das wohl unbekanntere Medium in diesem Design-Prozess. Die heute in Vergessenheit geratene Maschine ist ein Drucker, der Computer-Befehle interpretiert, um sie mit einem oder mehreren automatisierten Stiften oder Zeichenmedien in Linienzeichnungen auf Papier umzusetzen. Die Technik dieser Geräte ist höchst filigran und von der Abstimmung kleinster Parameter abhängig. Ein winziger Unterschied im Druck des Stifts oder in der Beschaffenheit des Papiers kann bereits einen ganz neuen Output erzeugen.

Sehr vereinfacht zusammengefasst, heißt das für die künstlerische Praxis der Draft Masters: Ausgangspunkt ist eine digitale Grafik, welche auf einem externen Computer in Code übersetzt wird, der dem Stift im Pen-Plotter schließlich die Befehle liefert, um die Grafik auf Papier zu bringen. Als Eingabemittel kann jedoch auch das kleine Bedienungsinterface auf dem Gerät selbst (zum Frei-Hand-Plotten) oder eine der hauseigenen Interface-Erfindungen (dazu später mehr) dienen.

© Ludwig Mehler

Zwei „kleine“ Pen-Plotter, die fast den gesamten Tisch einnehmen, (der Große steht zu Hause im Home-Studio), offene Laptops mit geschriebenen Codes, daneben Skizzen, Versuche und Porträts an der Wand – der erste Eindruck des kleinen Studios inmitten der Fakultätsateliers erinnert ein wenig an das tüftlerische Genie von Daniel Düsentrieb. Doch die detailverliebte Faszination mit dem Gerät, gepaart mit handwerklicher und technischer Expertise, ist nicht nur ein kleines Forschungsexperiment. Es wächst aus tiefem Interesse für die Sache selbst, mit dem Bedürfnis, dieses nach außen zu tragen, Leute dafür zu begeistern und auf dem Weg schließlich ein organischeres Verhältnis zu den Maschinen, die die Design-Welt begleiten, zu wecken. 

Dabei geht es den Draft Masters nicht um irgendeinen Output, sondern immer um den explorativen Prozess dahinter. Dieser bedeutet im Zusammenspiel von altem Plotter und modernem Macbook als Eingabegerät oft sehr viel Geduld und Einfallsreichtum. Die Farbkartuschen und Ersatzteile der Geräte werden nämlich längst nicht mehr hergestellt. Amedeo, der sich auf der mechanischeren Schrauber-Seite des Projekts am wohlsten fühlt, entwirft deshalb Aufsätze, Fassungen und Halterungen für verschiedene Stifte und Farbgeber, um weiterhin mit neuen Drafts „spielen zu können“. Die Notwendigkeit von kreativen Modifikationen hört allerdings nicht beim Zeichenmedium auf, sondern zieht sich durch alle Facetten des Experimentierens mit generativem Design. Die moderne Adaption ihrer „Spielereien“ bedarf also einer Auseinandersetzung mit der Essenz des Instruments. Das heißt, was nicht passt, wird passend gemacht: vom Kabel über den Stift-Aufsatz, über das Papier, das Motiv bis hin zum Code des ausführenden Algorithmus. 

Die modifizierten Stifte in Aktion © Ludwig Mehler

Tatsächlich sei es meistens die fehlende Zugänglichkeit von Code und Maschine, die selbst erfahrene Designer*innen abschreckt, wie die Draft Masters auch in ihrem Kontakt mit den Studierenden, die sie betreuen, feststellen. Die beiden erzählen mir von einem Herzensprojekt, das noch gewisser Ausarbeitung bedarf: Seit geraumer Zeit arbeiten sie an einem Plug-in, welches die sofortige Transkription einer digitalen Grafik in Code für den Pen-Plotter ermöglicht. Eine vergleichbare Technik ist in der Welt des generativen Designs noch nicht bekannt und würde den Pen-Plotter laut Draft Masters zu einem effizienten und mit Leichtigkeit bedienbaren Instrument machen.

Die Draft Masters betonen wiederholt: Es geht ihnen dabei nicht nur um ihr eigenes Vergnügen, sondern auch darum, die Begeisterung an der direkten generativen Gestaltungsweise mit den Menschen zu teilen, Umgang mit Maschinen, Technologie und mediierter Gestaltung zu demokratisieren und für Laien und technologische Analphabet*innen erfahrbar zu machen. So wie der Outcome ihrer Experimente spielt auch der Pen-Plotter keine unersetzbare Rolle. Ihre Vision des Empowerments, der technischen Emanzipation durch Wissen und Verständnis, ist auf jedes beliebige Gerät oder Produktionsmedium übertragbar. 

Ein Blick ins Innenleben des Pen-Plotters © Ludwig Mehler

Im allgemeinen Verständnis der technischen Produktionsmittel des Alltags beobachten die Draft Masters einen gewissen „programmierten technischen Analphabetismus“. Programmiert ist dieser in den Köpfen vieler, da die Innovation und Kommerzialisierung dieser Mittel eine Unzugänglichkeit der meisten Geräte absichtlich generiert, um Benutzer*innen somit die Verantwortung besonderer Fertigkeiten zu entziehen. Somit wissen wir oftmals einen Drucker zu benutzen, verstehen jedoch wenig vom Prozess dahinter, den technischen Hintergründen eines automatisierten, fast autonomen Produkts. Oder weißt du etwa, wie man ein Bild ausdruckt, wenn die Wlan-Verbinung zum Drucker mal spinnt?

Die Antwort für eine Demokratisierung technischen Verständisses sei das Konzept open source, das transparente Einsicht im Umgang mit Algorithmen, Codes und technischen Produktionsmitteln ermöglicht. Auch das spiegelt sich in ihrem Plug-in-Projekt wider. Mit diesem versuchen sie nicht lediglich, sich das Leben zu vereinfachen, sondern die Produktionstechnik in eine Sprache zu übersetzen, die näher am Menschen ist und jene dadurch zugänglicher macht.

Work-in-Progress im Draft-Masters-Studio © Ludwig Mehler

Mit einer fast kindlichen Begeisterung führen mich die Draft Masters durch ihre modifizierten Schätze, die selbstgebauten Teile, Programmierungen und realisierten Kunstwerke. Auf den ersten Blick wirkt das Plotten nur wie eine alternative Drucktechnik, eine Spielerei zweier Designer, die sich, gelangweilt von klassischen Drucktechniken und Gestaltungsmethoden, auf eine überholte Technik mit Retro-Flair besinnen. Ein bisschen wie die Faszination Analog-Fotografie, die dem Laien durch digitale Kameras und Bildbearbeitung hinfällig und anachronistisch erscheint. 

Doch die alten Zeichen-Kästen, die dem ahnungslosen Auge nur sperrig und ineffizient wirken, lehren den beiden (und auch mir als Technik-Trottel nach kurzer Zeit) wie die Herrschaft über und das Verständnis von diesen antiken Rechnern ganz neuen Spaß am Gestalten und Realisieren einfacher Grafiken generieren können. So bekomme ich im Laufe unseres Treffens die Möglichkeit, ein Selbstporträt von mir aufs Papier zu bringen, basierend auf einem mit dem Laptop gemachten Foto, das durch das selbstgebaute Programm in unterschiedlicher Linienstärke, Geradlinigkeit, Detailtreue und weiteren Parametern visuell variiert werden kann.

Das Duo zeigt mir ihren Ordner mit ersten Versuchen (Drafts) aus dieser Experimentier-Phase, wie sie sie nennen. Spielereien, die mit den Parametern des Stiftdrucks, der Stiftspitze, dem Papier und weiteren Messgrößen variieren.

Erste Experimente mit verschiedenen Farben und Motiven © Ludwig Mehler

Ihre zentrale Motivation bleibt neben den eigenen Experimenten das Öffnen ihrer Praxis nach Außen, das In-die-Straße-Tragen ihrer sperrigen Versuchsmaschinen. Ein Beispiel für eine gelungene Umsetzung des Vorhabens ist ihre Partizipation beim Edicola Takeover des ViaDante Collective im Oktober letzten Jahres. Als von ihren Studierenden eingeladene Kollaboratoren entwickelten die Designer mit der Arcade einen leicht bedienbaren Spielautomaten mit integriertem Pen-Plotter. Durch ein simples Bedienungs-Interface aus Knöpfen und Joysticks konnten so alle Besucher*innen ihr eigenes Matrizen-Bild eines virtuellen Kiosks erstellen und dieses sofort vom Plotter drucken (bzw. plotten) lassen. Dieser interaktive Erfolg lässt die beiden sofort an die nächste Aktion denken …

Die „Arcade“ der Draft Masters als Teil von „Edicola Takeover“ im Oktober 2024 © Ludwig Mehler

Der Output dieser sei aber nach wie vor sekundär. Das Wesentliche bleibt die Faszination für die „Poesie“ dieser alten Geräte. Der positive Nebeneffekt des „Empowerment“ bedeutet für die Skizzenmeister, die Interaktion mit den Hintergründen der Alltagstechnik zu suchen und diese Interaktion in ihrer ursprünglichen Einfachheit nach Außen zu tragen, auch mal mit vermeintlich komischen Outputs …

Zum Abschluss bringen es die Draft Masters nochmal selbst auf den Punkt: „Der einzige Grund, warum man weiß, wie ein Stift funktioniert, ist, dass man immer noch Stifte benutzt. Andere, kompliziertere Dinge sind verloren gegangen und man ist vom Verlust der Verantwortung zum Verlust der Fähigkeit übergegangen. Und wenn man die Fähigkeit nicht hat, ist man ein Gefangener des Nichtwissens.“

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