Amplifikation, im Namen der Weißen Rose

(c) Ludwig Mehler
Gegen jede Form von Diskriminierung, Diffamierung, Hassrede, Unterdrückung und Gewalt.
Für Meinungs- und Redefreiheit, politisches Engagement und Widerstand.*
Was passiert gerade auf dem Platz vor der Uni in Bozen? … am Samstag, 26. Oktober 2024 um Punkt 18:00 ist es endlich soweit: Der Teppich wird beiseite gerollt, der Vorhang fällt, der Schleier wird sich heben und eine drei mal fünfeinhalb Meter große, begehbare, rutschfeste Lichtbühne freigeben.
SYNTAX weiht gemeinsam mit der Gemeinde Bozen und der Uni Bozen im Gedenken an die Weiße Rose auf dem Uni-Platz das Lichtdenkmal STAGE OF LIGHT ein. Entwickelt hat das Studierendenkollektiv das Projekt begleitet von Lehrenden der Uni Bozen, wie Matilde Cassani, Davide Tommaso Ferrando, Roberto Gigliotti, und möchte damit im Stadtraum einen offenen Dialog initiieren. Zudem erscheint an besagtem Tag auch die erste Nummer ihres SYNTAX MAGAZINE … für die musikalische Untermalung sorgt Spazio AMA …
Für SYNTAX antwortet Daniel Walcher, ehemals Studierender an der Fakultät für Design und Künste an der Uni Bozen, zurzeit beim Master of Fine Arts am écal in Lausanne und seit Beginn sehr ambitioniert und richtungsweisend am Erinnerungsprojekt beteiligt.
Wie kam’s zu Stage of Light?
Daniel Walcher: Dieser Prozess fing vor einigen Jahren an und verlief zu Beginn zwischen der Gemeinde Bozen und einigen Professor*innen der Freien Universität Bozen. Wir Studierende wurden Anfang 2022 hinzugeholt und mit der Konzeption eines Monuments für die Weiße Rose beauftragt. Es wurde anfangs eine Gruppe von Design- und Kunst-Student*innen gefragt, ob sie sich dieser Aufgabe stellen möchten und sich kritisch mit der Thematik der Weißen Rose und der Monumente auseinandersetzen wollen. So begann ein zweijähriger Prozess, in dem wir in meist abendlichen Treffen einerseits ein Verständnis von Monumentalisierung mit anschließender kritischer Hinterfragung und andererseits die Kernaussagen und vertretenen Werte der Weißen Rose erarbeitet haben.

Wie ist der Name Stage of Light zu erklären?
Der Name Stage of Light oder im Deutschen Lichtbühne spricht von unserem Wunsch, die Stimmen anderer zu amplifizieren. Wir möchten eine Bühne für politische Stimmen bieten. Eine andere Metapher, die wir gebraucht haben, war das Megaphon, das wir anderen bieten.
Worum geht es euch als Studierende bei diesem Projekt?
Wie der Name schon anklingen lässt, möchten wir anderen eine Bühne bieten. Uns war es besonders wichtig eine Art von Anti-Monument zu entwerfen. Wir möchten nicht einfach die Werte der Weißen Rose in Stein meißeln oder eine hohe Skulptur installieren. Dieses Monument soll andere nicht überragen, sondern anderen eine Plattform bieten. Eine Plattform, die den politischen Stimmen der Studierenden einen Raum für Ausdruck bietet und dabei den Dialog mit der Stadt sucht. Daher auch der Ort genau vor der Universität. Eine tägliche und manchmal unangenehme Erinnerung an die Notwendigkeit von Politischen Aktivismus für die Studierenden, aber auch für alle anderen, die daran vorbeikommen.

Über einen jährlichen Aufruf von SYNTAX werden in Zukunft die Inhalte kuratiert. Was ist SYNTAX? Und was erwartet ihr euch vom Call?
Unter SYNTAX verstehen wir das Zusammenspiel aus der Stage of Light und dem SYNTAX MAGAZINE. Dabei gibt es die Studierenden, die aktiv in der Rolle von Kurator*innen, Grafiker*innen usw. an der Auswahl von Inhalten und anschließenden Veröffentlichungen arbeiten. Genauso gehören aber auch die Kontributor*innen dazu. Also jene StudierendeN, die Inhalte für das Monument oder das Magazin einsenden. Die Inhalte der Stage of Light können dabei kontinuierlich angepasst und veröffentlicht werden. Das Magazin hingegen erscheint einmal jährlich zum Gedenktag der Weißen Rose am 22. Februar. Nur jetzt zur Einweihung am 26. Oktober 2024 gibt es ausnahmsweise die erste Ausgabe. Schon jetzt ergaben sich einige Einsendungen verschiedenster Studierender, die sich mit unserem Thema The „European“ Good Life? auseinandergesetzt haben. Mit einem permanenten, physischen Monument vor der Uni erwarten wir uns eine regere Diskussion und hoffentlich politisierte Studierende, die kontinuierlich, wenn etwas Wichtiges passiert, ihre Meinung kundtun wollen und so mit ihren Einsendungen zur Debatte in Bozen beitragen.
Was erwartet ihr euch vom Projekt insgesamt?
Wir hoffen auf eine politisierte Studierendenschaft, die in einer regen Diskussion mit der Öffentlichkeit stehen wird. Wir hoffen, dass auch kontroverse Themen und Stimmen im Rahmen gewisser ethischen und moralischer Prinzipien so ihren Ausdruck finden werden. Insgesamt hoffen wir, dass es der Universität und insgesamt der Gemeinde gut tun wird, wenn es ab jetzt diesen direkten Draht zwischen den Studierenden und der Öffentlichkeit gibt. Weitere schöne Effekte wären zukünftige Kollaborationen zwischen den Fakultäten. Dieses Projekt kommt ja von der Fakultät für Design und Kunst, aber dort soll es nicht bleiben. Schon jetzt haben wir in den Inhalten und bei den Kurator*innen Studierende aus den anderen Fakultäten. So werden hoffentlich die Mauern zwischen den Fakultäten etwas eingerissen und neue Verbindungen geschaffen.


Warum ist Erinnern wichtig?
Weisheit wird manchmal als die Fähigkeit von Erfahrungen lernen zu können beschrieben. Dabei spielt Erinnern natürlich eine essentielle Rolle. Doch gibt es verschiedene Erinnerungskulturen. Wir vertreten die Position, dass das reine Vorbeten verschiedener Werte der Weißen Rose, wie Freiheit, Anti-Totalitarismus, oder eine pro-europäische Einstellung, keine aktive Erinnerung oder Erfahrung ist. Daher möchten wir an die Weiße Rose durch gelebte Erfahrungen erinnern: Aktivismus nicht nur als Wort zu sehen, sondern aktiv zu werden. Freiheit der Rede nicht nur zu lesen, sondern an einem öffentlichen Platz zu erfahren. Das bedeutet für uns aktives Erinnern, durch gelebte Erfahrungen.
Inwiefern sind die Prinzipien der Weißen Rose heute relevant?
Diese Frage muss konstant debattiert werden. Genau deswegen sollen sie nicht in Stein gemeißelt werden. Manches erscheint tradiert und aus der Zeit gefallen, anderes scheint zeitlos und wiederum andere Einstellungen, wie sich gegen Totalitarismus stemmen, erscheinen in den letzten Jahren, umso aktueller. Deren Wunsch nach einem föderalen Europa sind wir ja schon teilweise nachgekommen, aber die EU muss auch kritisiert werden. So ist es uns ein Anliegen, das im Gedenken an die Aktionen und Inhalte der Weißen Rose, nichts Tradition wird, sondern immer gelebt werden muss. Wir haben das Glück aktiv in der Öffentlichkeit diskutieren zu dürfen. Wir müssen nicht heimlich Flugblätter verteilen, aber diese Diskussion muss auch gesucht und eben gelebt werden.


Wie könnten wir „Widerstand“ heute leben?
Widerstand war von Anfang an ein schwieriger Begriff für uns. Teilweise wurde er und auch die Weiße Rose von Rechten Gruppen zum Beispiel während der Corona-Pandemie vereinnahmt und instrumentalisiert, aber das heißt nicht, dass es keine Auseinandersetzungen für uns gibt, in denen Widerstand geleistet werden muss. Wir stehen für einen Widerstand ohne körperliche Gewalt. Es müssen Themen angesprochen werden. Wir möchten unangenehme Themen publizieren und scheuen uns nicht vor Diskussion. Wir als Studierende dürfen nicht zu bequem werden und die Universität zum Elfenbeinturm verkommen lassen. Heutzutage ist es zum Glück weniger ein Widerstand gegen ein totalitäres System bei uns und mehr ein Widerstand gegen das Widererstarken faschistoider Regierungen und menschenfeindlicher Stimmungen und Aktionen. Es ist unser erklärter Wunsch, dass die zukünftigen Generationen von SYNTAX die Stage of Light und das Magazin als Werkzeuge verstehen und sie zum aktivistischen Publizieren nutzen werden.
*Auszug aus dem Manifesto von SYNTAX