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September 25, 2024

„Es reicht nicht, nur ein T-Shirt aus Biobaumwolle herzustellen“ – Lavinia Muth

Susanne Barta

Auf Lavinia Muth bin ich das erste Mal über Armedangels aufmerksam geworden, die deutsche Eco & Fair Fashion Brand, die sehr erfolgreich nachhaltige Basic-Mode macht. Sie war dort einige Jahre als Corporate Responsibility Managerin aktiv und viel auf Veranstaltungen unterwegs. Lavinia ist Ökonomin, hat 15 Jahre Nachhaltigkeits-Erfahrung in der Textil- und Landwirtschaft, war Auditorin und Consultant, hat in Argentinien, Kolumbien und Indien gelebt und die textile Lieferkette sozusagen von Beginn an kennengelernt. Mit dem traditionellen (Unternehmens-) Verständnis von Nachhaltigkeit kann sie heute nicht mehr viel anfangen. Auf ihrer Website beschreibt sich Lavinia „als ehemalige Nachhaltigkeits-Soldatin, die sich deprogrammiert hat und zur Provokateurin wurde”. Darüber hat sie Ende Juli auch auf der Neonyt Düsseldorf gesprochen.Lavinia Muth 2 © Neonyt Düsseldorf:Igedo ExhibitionsLavinia, du bist vielseitig umtriebig, was interessiert dich gerade?

Das, was mich am meisten umtreibt, wo ich mich selber herausgefordert fühle und wo ich auch die größten Probleme sehe, ist das System an sich. Nach 15 Jahren aktiven Arbeitens im Bereich Compliance Management in der Industrie, bin ich an einem Punkt angekommen, wo ich merke, dass unser Verständnis von Nachhaltigkeit und wie wir versuchen Nachhaltigkeit umzusetzen, durch und durch hegemonisch ist. Ich bin heute überzeugt davon, dass das nicht zum Ziel führt. Ich glaube auch, dass wir die systemischen Probleme gar nicht richtig verstanden haben und viel zu schnell auf schnelle Lösungen pochen. Wir werden der Begrifflichkeit Sustainability/Nachhaltigkeit zwar in gewisser Weise gerecht, weil wir behalten wollen, was wir haben. Wir versuchen mit aller Macht aufrechtzuerhalten, was wir aufgebaut haben, und schmücken es dann grün und nachhaltig. Deshalb habe ich mittlerweile auch Probleme etwas als Slow oder Fair oder Sustainable Fashion zu bezeichnen, denn ich kenne die Realitäten on the ground

Du hast ja sehr viele Erfahrungen entlang der Lieferketten gesammelt …

Ich war auf Baumwoll- und Hanffeldern und in Fabriken, da ist leider wenig Unterschied, ob nachhaltig oder konventionell. So wie Produktion global gestaltet wird, ist das sehr ähnlich. Wir arbeiten in dem Wirtschaftssystem, in dem wir eben arbeiten, da greifen Skalen-Effekte und nichts anderes.Lavinia Muth 3 © Neonyt Düsseldorf:Igedo ExhibitionsDu sprichst davon, dass du dich vom traditionellen Nachhaltigkeitsnarrativ verabschiedet hast. Was bedeutet das in der Konsequenz?

Nachdem ich mich erstmal getraut habe, das auszusprechen, denn man riskiert ja, allein auf weiter Flur zu sein und dass Leute sich fragen, „was ist denn jetzt mit der los“, bin ich mittlerweile an dem Punkt, dass ich nicht an einen Systemwandel glaube, sondern mehr daran, dass wir bestimmte Systeme aufbrechen und die Probleme klar und radikal aufzeigen müssen. So können Privatwirtschaft, Politik und Zivilgesellschaft eher verstehen, dass wir die Dinge wirklich anders machen müssen. Ich habe mich lange mit dem Konzept der Transformation beschäftigt, weiß aber nicht, ob diese notwendige Systemveränderung mit Transformation überhaupt möglich ist. Vielleicht braucht es einen revolutionären utopischen Ansatz? Im Englischen gibt es den Begriff „abolition“, das Beenden, Auflösen von Zuständen, Systemen.

Die Geschichte hat uns gezeigt, dass die meisten Revolutionen ihre anfänglich hehren Ziele verfehlt haben und oft in sehr ungute Herrschaftsformen übergingen …

Grundsätzlich ist die Revolution, also Dinge umzustürzen, der einfache Teil, das hat auch die Geschichte gezeigt. Danach haben wir es meist nicht geschafft, etwas Neues aufzubauen. Das, was danach kommt, ist schwierig. Ich habe auch keine Lösung dafür, wir haben leider keine großen, geopolitisch positiven Beispiele aus der Vergangenheit. Was wir aber schon merken global und geopolitisch, ist, dass der Globale Süden aufsteht und anfängt sich zu wehren. In Bezug auf textile Produktion gibt es zum Beispiel bestimmte Länder und Regierungen, die Stopp sagen zum Neoliberalismus und unseren Textilmüll nicht mehr annehmen möchten oder Kohlenstoffzertifikate nicht mehr an das Ausland verkaufen.Lavinia Muth 4 © Anna-Maria LangerEinerseits wacht der Globale Süden auf, andererseits wollen die Leute dort auch einen höheren Lebensstandard und mehr konsumieren. Kommen da neue Probleme auf uns zu?

Das ist wieder unser hegemonisches Denken. Wir sind diejenigen, die mit dem erhobenen Finger hingehen und sagen, „das geht nicht, dass ihr so leben könnt wie wir, die Erde ist in Flammen, das geht jetzt nicht mehr“. Wir durften das ja bis jetzt und machen es auch weiterhin. Da braucht es andere Konversationen. 

Welche?

Es muss partizipativer werden,m wie Strategien, Prozesse und Geschäftsaktivitäten gestaltet werden. Wir brauchen einen pluriversellen Ansatz, unterschiedliche Perspektiven, unterschiedliche Realitäten. Das ist natürlich ein Kraftakt, weil wir das nie gelernt haben. Es wird unterschiedliche Wege geben und wir müssen offen dafür sein.

Gerade werden in Unternehmen Stellen im Bereich Sustainablity, Social Responsibility abgebaut. Wird Nachhaltigkeit an den Rand geschoben?

Wir sind global in einer schwierigen Situation und die Nachhaltigkeit rückt tatsächlich nach hinten. Das überrascht mich nicht. Ich kenne kaum Geschäftsführer*innen, die groß an Nachhaltigkeit interessiert sind, höchstens, wenn daraus ein Business Case wird. Das, was aber gerade auch passiert, ist, dass Nachhaltigkeitsabteilungen zu sogenannten Compliance-Abteilungen werden. Der Grund sind unter anderem die neuen europäischen Direktiven und Regularien. Meine Meinung dazu ist zweischneidig: Einerseits bin ich froh, dass es Gesetzgebung gibt, andererseits sehe ich die Umsetzung sehr problematisch. Wir haben wieder ein Bürokratiemonster kreiert, ohne die Partner*innen des Globalen Südens miteinzubeziehen. Ich sehe die Wirtschaftslobby, die gerade wieder sehr viel blockiert, auch fehlen die Sanktionen, wenn Regeln verletzt werden. Der Job von Nachhaltigkeitsmanager*innen jedenfalls ist langweiliger geworden, es geht vor allem um Datenerhebung und Compliance.Lavinia Muth 5 © Neonyt Düsseldorf:Igedo ExhibitionsUltra-Fast Fashion ist auf dem Vormarsch. Die Textilproduktion legt laufend zu, wird schneller und schneller. Wie optimistisch bist du, dass es zumindest zu Schritten kommt, die diesen Trend einbremsen?

Das Gute am EU Green Deal und Circular Economy Action Plan ist u. a. die Extended Producer Responsibility (EPR). Kommunen, Haushalte und Regierungen müssen Infrastrukturen implementieren, dass Waren weiter benützt, repariert und recycelt werden. Das wird einiges verändern, aber ob das reicht, ist die Frage. 

Welche Rolle spielt Bekleidung/Mode für dich persönlich Lavinia?

Darauf habe ich eine enttäuschende Antwort, denn ich habe mich noch nie groß für Mode interessiert. Vielleicht liegt es daran, dass ich sehr modebewusste Eltern habe, vielleicht auch daran, dass ich die „Überlebende“ einer Essstörung bin. Vor diesem Hintergrund habe ich mich in der Regenerierung von dieser Krankheit klar davon distanziert, meinen Körper als Kapital zu sehen und ihn zu schmücken. Und bin da im Konflikt mit mir selbst. Der Vorteil ist, dass ich emotional nicht so an Mode hänge. Ich habe ein paar geerbte Stücke, die mir wichtig sind und die ich gut pflege, und ein paar traditionelle, handgefertigte Sachen, die ich auf Reisen gekauft habe. Ich schätze traditionelle, indigene Handwerkskunst total und habe viel Empathie für die, die Mode mögen und damit auch ihre Persönlichkeit ausdrücken möchten, vor allem in Bezug auf die queere Community. Da ist ein großer Wandel passiert, Mode ist viel kreativer geworden. Für mich persönlich wichtig ist, dass wir lernen, Kleidung zu pflegen, zu teilen, weiterzugeben, zu reparieren.Lavinia Muth 6-7 © Anna-Maria LangerDu hast einige Jahre bei Armedangels gearbeitet. Welche Erfahrungen hast du gemacht, auch in Bezug auf dein Verständnis von Nachhaltigkeit?

Der Druck auf Wachstum ist bei allen da, wobei Armedangels sehr gut dasteht. Das liegt daran, dass die Geschäftsführung sehr vorsichtig aufbaut und investiert. Viele Unternehmen machen gerade zu, weil sie keinen Cash Flow mehr haben, und das bedeutet in unserem Wirtschaftssystem das Aus. Armedangels ist bisher finanziell so stabil aufgestellt, dass sie sich meiner Meinung nach etwas mehr trauen könnten, was Produktionsplanung, Planung von Kollektionen und Fokusthemen angeht. Man könnte mutig sein und zum Beispiel made to order ausprobieren. Die Lieferketten von Armedangels sind stark, der Lieferantenpool ist sehr gut, wir haben auch viel von den Lieferanten gelernt. Die größte Herausforderung für mich war, dass die Geschäftsführung immer behauptet hat, deshalb auf Wachstum zu setzen, weil Ziel sei, dass die Leute zu einem T-Shirt von Armedangels greifen, nicht zu einem konventionellen. Denn wenn sie Armedangels kaufen, kaufen sie weniger Inditex. Das sind aber alles nur Annahmen, so kann man nicht rechnen.

Du glaubst nicht daran, dass wir innerhalb unseres Systems mit kleineren oder größeren Korrekturen und Eingriffen weiterkommen, es braucht grundlegende Veränderungen. Was wäre zu tun?

Das ist natürlich meine persönliche Meinung, weil das auch mein persönlicher Werdegang ist. Manchmal habe ich ein schlechtes Gewissen, weil ich 15 Jahre gebraucht habe, zu verstehen, was los ist und dass wir politisch aktiv werden müssen. Das ist jedoch eine Aufforderung, die man nicht von jedem verlangen kann. Wir müssen mehr Commitment zeigen, es reicht nicht nur ein T-Shirt aus Biobaumwolle herzustellen. Deshalb sind für mich auch viele nachhaltige Brands nicht nachhaltig, weil sie entlang ihrer Lieferkette keine Commitments abgeben, abgesehen davon, dass auch kaum jemand einen existenzsichernden Lohn zahlt. Das Herausfordernde in der Textilindustrie ist gerade, dass sich die Bedingungen für die kleinen und mittelständischen Betriebe, auch im Bereich Produktion, so verändern, dass sie bald nicht mehr da sein werden. Es bleiben nur die Großen übrig. Da mache ich mir große Sorgen. Wir müssen endlich Verantwortung übernehmen und ins Tun kommen.Lavinia Muth 8 © neonytFotos:  (1, 4, 6, 7) © Anna-Maria Langer; (2, 3) Lavinia bei ihrem Vortrag auf der Nenoyt Düsseldorf © Neonyt Düsseldorf/Igedo Exhibitions; (5) Lavinia beim Talk „Let’s get loud. And proud” auf der Neonyt Düsseldorf, moderiert von Mirjam Smend, GREENSTYLE © Neonyt Düsseldorf/Igedo Exhibitions

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