Music
March 8, 2024
hijss: pulsierender Techno Rock
Florian Rabatscher
Es gibt immer noch Leute, die ernsthaft annehmen, dass Musik, speziell Rock’n’Roll, seinen Höhepunkt erreicht und daher nicht mehr ausbaufähig wäre. Ausgelutscht und bis auf den letzten Tropfen ausgepresst, sodass es nur mehr ein Aufguss von immer dagewesenen Riffs darstellt. Wer macht denn bitte heutzutage noch laute Gitarrenmusik? Alte, bierbäuchige, vollbärtige Hippiehasser vielleicht? Wo denkt ihr bloß hin? Es ist nicht nur großartig zurzeit, oh nein, sondern die musikalisch vielleicht Beste Dekade überhaupt. Wenn man nur darüber nachdenkt, welche düsteren, aber doch unglaublich groovenden Punk-Sounds gerade über uns hinweg ziehen, bekommt man wirklich Schmetterlinge im Bauch. Diese neuen Klänge, die von England auf uns losgelassen werden, sind einfach unglaublich klasse. Bei Bands wie Idles, Ditz oder Fountaines Dc (die natürlich aus Irland stammen) fühlt man sich fast schon als Teil von etwas ganz Besonderem. Wie die Hippies damals in den 60ern in Big America. Doch der American Dream besteht ja nun nur mehr aus verdammt vielen Zelten und Fentanyl-Zombies auf den Straßen. Naja, jedenfalls aus England werden wir derzeit von einer neuen Post-Punk-Welle eingeholt, die sogar hierzulande leicht herein geschwappt ist. Da gibt es diese eine Band, deren Name unaussprechlich ist. Weswegen auch die Bedeutung völlig uninteressant erscheint, weil man einfach nur wissen will, wie bei Gott man dieses Wort denn nun richtig artikuliert. hijss. – Gesundheit! – Dieses geheimnisvolle Bozner Trio, über das wir schon vor längerer Zeit ausführlich berichtet haben.
Und genau diese drei tapferen Recken der psychedelischen Tafelrunde haben das Unfassbare gewagt: Alexander, Heinrich und Maurice, deren Namen einem auf der Zunge zergehen, haben eine Platte gemacht, mit einem Label, namens Heavy Psych Sounds Records im Rücken, und einem gut gefüllten Tour-Kalender. Was will man mehr? – Natürlich ihren Debut-Longplayer „Stuck On Common Ground“ endlich in den Händen halten, um das wunderschöne Vinyl unter die Nadel zu legen und diesen spektakulären Sound auf der heimischen Anlage zu hören! Die Chance, diese Scheibe zu erhalten, bekommt ihr morgen Samstag, 09.03.2024 im Pippo in Bozen. Hijss werden da nämlich eine Release-Sause starten, die sich gewaschen hat. Als Vorband treten Ananda Mida auf, über die man einen eigenen Artikel schreiben müsste. Also lassen wir das und hören in das Album von hijss rein, um euch ein total verwirrendes und höchst unnötiges Fazit, meinerseits, zu präsentieren.
Es macht einen fast wahnsinnig auch nur darüber nachzudenken, in welche Genreschublade man diese drei Herren stecken sollte. Ist es Stoner Rock? Irgendwie schon. Teil der neuen Post-Punk-Welle? Auch irgendwie. Jedenfalls fühlt es sich mehr nach Punk als Stoner an. Zwar unpolitisch, aber verdammt stylisch. Betrachten wir das Album vorerst als Ganzes. Ein Vergleich wäre „Masters Of Reality“ von Black Sabbath, mit diesem tiefen, wummrigen Gitarrensound und der benebelten Grundstimmung. Dazu kommen noch die zwei Interludes auf „Stuck On Common Ground“, die sehr an „Embryo“ und „Orchid“ von Black Sabbaths Album erinnern. Zum klassischen instrumentalen Aufgebot, gesellen sich auf der Scheibe auch noch verschiedene Synths und elektronische Klänge, die dem Ganzen nochmals einen Stempel aufdrücken. Alles verschmilzt zu einem kraftvollen Soundteppich, sodass man anstatt zu headbangen, seinen Kopf rhythmisch in bester Exorzist-Manier 360 Grad zu drehen beginnt. Es ist aber nicht dieses alte Hawkwind-Space-Rock-Ding, sondern eher das Suicide-Synth-Punk-Gefühl. Dieser Synth-Sound von der Straße, wenn ihr versteht. Sogar Alexanders gelegentlicher Sprechgesang erinnert leicht an den von Alan Vega. Als ob hijss uns versteckte satanische Botschaften ins Ohr flüstern würden. Sehr hypnotisierend das Ganze, was auch zum Teil der geradlinigen Rhythmus-Fraktion zu verdanken ist. Genau so soll es sein. Keine ausufernden Jam-Rock-Schlagzeug-Linien, sondern mitten in deine Fresse. Der Drummer Maurice Bellotti wirkt wie eine lebende Drum Machine und wird von Heinis mantraartigem Bassspiel bestens unterstützt. hijss haben wahrlich ihren eigenen Sound gefunden und das stellen sie mit diesem stimmigen Longplayer unter Beweis. Fast schon filmisch macht es vom Anfangston bis zum bombastischen Ende, samt passenden Songtitel „Tilt“, einfach Sinn. Dank der verschiedenen musikalischen Hintergründe der Mitglieder verschwimmen hier die Grenzen zwischen fuzzigem Gitarrensound und elektronischer Musik. Also pulsierende Tanzmusik mit kantigen, aber trotzdem melodischen Gitarren. Ein wunderschöner Alptraum. Gleichzeitig farbenfroh und düster, mit rauem und emotionalem Gesang vor einem gewaltigen, sich wandelnden Hintergrund, der eine Tiefe hat, die für eine Band mit nur drei Leuten wirklich verblüffend ist.
„1234 me“ ist längst schon ein kleiner Hit, „Black Disease“ hat wahrscheinlich die beste Atmosphäre und doch ist „Headless Blues“ mein absoluter Lieblingssong der Platte, weil er irgendwie das alles in sich vereint. Hingegen live muss ich mich ganz klar für „train tracks“ entscheiden. Was dort ab 01:30 min abgeht, bringt wahrscheinlich jeden Knochen in Bewegung.
Fazit: Diesen Sound jemandem zu erklären, fühlt sich in etwa so an, als ob man als Gehörloser in einem amerikanischen Problemviertel mit Gebärdensprache jemanden nach dem Weg fragen würde: Jeder würde denken, dass man grad mit Gang-Zeichen nur so um sich schmeißen würde, was in solchen Vierteln bekannterweise nicht gut ankommt. Es ist also, was es ist, und dieses Etwas hört sich verdammt gut an. Diese Band wurde noch nicht vom Fluch der Provinz heimgesucht und klingt deswegen sehr speziell und irgendwie gar nicht heimisch. Diese LP ist eine Reise in die Köpfe von drei ziemlich unprovinziellen (wenn es dieses Wort überhaupt gibt) Köpfen. Notenverdrehende Schänder der traditionellen Klänge. Wie wunderbar. Und für die, die trotzdem noch nach einem Genre suchen, nennen wir es doch ganz einfach pulsierender Techno Rock.
Fotos: hijss
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