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November 8, 2023

Spinnradl – traditionelles Handwerk trifft auf zeitgemäße Ästhetik

Susanne Barta

Nach gefühlt viel zu lange anhaltenden sommerlichen Temperaturen wurde es doch herbstlich. Pullover, Pullunder, Strickjacken und Jangger aus Wolle sind das, wozu wir nun gerne greifen. Ich zumindest. Sobald die Temperaturen sinken, die Wohnung noch nicht oder kaum geheizt wird, brauche ich Kuschelig-Wärmendes. An den letzten Wochenenden habe ich also Schritt für Schritt Sommersachen weg- und Herbst-/Wintersachen eingeräumt. Ich mache das wirklich gerne. Auch weil es einen Check des eigenen Kleiderschranks ermöglicht. Ich nehme jedes Stück in die Hand, freue mich darauf, die Teile wieder anzuziehen und gleichzeitig wird auch das ein oder andere aussortiert und der Schrank geputzt.spinnradl_2+3 (c) violeta nevenova + susanne bartaNoch im Sommer habe ich Franziska Haller, die junge Chefin von Spinnradl, in ihrem gleichnamigen Geschäft in St. Leonhard in Passeier zum Gespräch getroffen und mich mit ihr über ihr Familienunternehmen, traditionelle Wollherstellungsweisen, das neue Geschäft und die experimentierfreudige Interpretation ihrer Produkte unterhalten. Franziska ist Anfang 30, vor fünf Jahren hat sie Spinnradl übernommen und begonnen, ihre Ideen umzusetzen. Das Geschäft wirkt frisch und modern, es bietet eine Mischung aus nachhaltig und fair produzierenden Fashion Labels und eigenen, handgefertigten Wollprodukten, die Schneiderei ist frei einsichtig. Vor allem die „Psairer Sarner“ stechen gleich ins Auge, dazu gibt’s verschiedenste Accessoires, die thematisch zum Angebot passen. spinnradl_4+5 (c) benjamin_pfitscherFranziska, wie ist Spinnradl gestartet?

Mein Großvater hat 1948 begonnen, Wolle zu verspinnen als Dienstleistung für die Bauern. Sie haben die Wolle ihrer Schafe zu ihm gebracht und er hat sie maschinell bearbeitet. Das war eine große Erleichterung, denn bisher wurde alles von Hand versponnen. Mit dem Aufkommen des Tourismus suchten viele Kunden nach fertigen Produkten, mein Großvater hat dann Strickmaschinen gekauft für Socken und Jangger und den Bauern die Wolle abgekauft. Auch heute ist das noch so. Zum Teil sind es die gleichen Bauern, nur ein, zwei Generationen weiter.

Wie arbeitet ihr?

Die Schafe werden zweimal pro Jahr geschoren, die Säcke kommen dann, teilweise schon vorsortiert, zu uns und mein Vater überprüft sie auf ihre Qualität. Bein-, Kopf- und Bauchwolle wird aussortiert und gesondert gelagert. Sie eignet sich zum Beispiel als Gartenwolle. Für unsere Produkte arbeiten wir mit der Rückenwolle, sie wird farblich getrennt, erst später mischen wir die Farben je nach den Erfordernissen. Vom Tiroler Bergschaf bekommen wir Wolle in weiß, schwarz und braun. Dann wird die Wolle gewaschen. Wir machen so viel wie möglich selbst, waschen die Wolle per Hand noch im Trog, aber alles schaffen wir nicht mehr. Der andere Teil kommt ins Ötztal zu einer Firma, die eine Wollwaschanlage betreibt. Aber Achtung, sie wird nicht chemisch gereinigt, sondern behält zum großen Teil ihr natürliches Lanolin, der natürliche Schutz gegen Schmutz und Wasser bleibt also weitestgehend erhalten. Manchmal findet man sogar noch ein kleines Stück Heu, die Wolle riecht auch noch ein bisschen nach Schaf. Sie wird dann an frischer Luft getrocknet und „gewolft“. Die Maschine, die das macht, heißt „il Lupo“, sie macht die Wolle flockiger. Im nächsten Schritt wird sie kardiert, das heißt in einer Richtung gekämmt, und es entsteht ein flauschiges Flies, unser Ausgangsmaterial zum Spinnen. Wir arbeiten noch mit einer Spinnmaschine von 1948, sie ermöglicht uns, schon fertiges Garn herzustellen, das dann mit unserer alten Strickmaschine von 1952 verstrickt wird. Verstrickt wird das klassische Sarner-Muster, das haben wir beibehalten, dafür spielen wir in der Schneiderei mehr mit Schnitten, Formen und Materialkombinationen.spinnradl_6 (c) spinnradl_Franz in der WerkstattWar es für dich klar, dass du einmal in den Familienbetrieb einsteigst?  

Eigentlich nicht. Meine drei Geschwister und ich sind natürlich mit dem Betrieb aufgewachsen, im Sommer haben wir uns unser Taschengeld dort verdient. Ich wollte zunächst in die Gastronomie, habe die Landeshotelfachschule Kaiserhof besucht und danach einige Jahre in der Gastronomie gearbeitet. Ich erinnere mich noch gut an den Moment, als sich das veränderte: Ich begleitete meinen Vater auf den Markt, habe über den Betrieb erzählt, wie wir arbeiten und dachte mir, „wenn niemand von uns Kindern nachkommt, dann ist das alles vorbei“. Meine Eltern haben auch schon mit dem Gedanken gespielt, die Firma zu schließen, wenn sie die viele Arbeit einmal nicht mehr schaffen. Das wollte ich auf keinen Fall. Eine Passion für Mode und das Schneiderhandwerk hatte ich schon immer und so entschloss ich mich kurzerhand eine Ausbildung zu machen und das Schneiderhandwerk zu lernen. Ich arbeitete im Betrieb mit und das hat mir von Tag zu Tag mehr Freude gemacht. Seit fünf Jahren führe ich Spinnradl nun.spinnradl_7+8 (c) benjamin_pfitscherIhr setzt auf traditionelles Handwerk, gleichzeitig sieht man sofort, hier ist Frische drin in den Designs. Wie modern dürfen eure Stücke sein?

Ich persönlich hab da überhaupt keine Grenze, habe auch schon vieles ausprobiert mit unserem Strickstoff. Den klassischen Sarner gibt’s natürlich immer, aber dann eben auch andere Schnitte. Wir machen vieles auf Maß und gehen auf die Wünsche der Kunden ein. Wichtig ist mir aber auch zu zeigen, was mit diesem traditionellen Stoff alles möglich ist. Das wird sehr gut angenommen.

Im neuen Geschäft, es wurde vor drei Jahren eröffnet, bietet ihr einen Mix aus verschiedenen nachhaltigen Modemarken und euren Produkten an. Deine Idee?

Unser Geschäft befand sich ursprünglich dort, wo auch die Wollwerkstatt ist. Es war sehr traditionell eingerichtet, wir waren da wirklich in der klassischen Schublade. Als ich 2018 übernommen habe, wollte ich den Betrieb zu meinem eigenen machen, meine Eltern haben mir freie Hand gelassen. Ich sah den Jangger nicht nur zur Tracht getragen, sondern auch zu „normaler“ Mode, zu Jeans und Kleidern, und das sollte ins neue Geschäftskonzept einfließen. Jetzt liegt das Geschäft zentral, wir haben viel Laufkundschaft, nur Wollprodukte zu verkaufen erschien mir nicht ausreichend. Und so haben wir begonnen, Mode aufzunehmen von Firmen, deren Philosophie wir teilen können. Auf der Suche bin ich auf das deutsche Label Armedangels gestoßen, sie produzieren so nachhaltig wie möglich, dazu gekommen sind im Bekleidungsbereich dann auch Knowledge Cotton Appereal, Makia und bleed clothing. Die Kombination aus Tradition, zeitlosen und modernen Stücken kommt sehr gut an. Wichtig ist der offene Blick in die Schneiderei, denn so sieht man gleich, dass wir nicht nur ein Geschäft sind, sondern bei uns auch gearbeitet und produziert wird. In der Zwischenzeit sind auch meine Schwestern mit dabei, eine ist für Verwaltung und Verpackung zuständig, die andere hat Social Media Marketing übernommen und hilft mit im Geschäft.spinnradl_9 (c) benjamin_pfitscherDas Konzept kommt offensichtlich gut an. Bekommt ihr genug Wolle von den Bauern?

Gott sei Dank haben wir sehr viele Bauern, die uns ihre Wolle bringen. Wobei schon mal vorkommen kann, dass wir eine Farbe vorübergehend nicht anbieten können. Die meisten Kunden haben dafür Verständnis und warten. Wolle ist ein Naturprodukt und wir sind da abhängig vom Schaf. Es spricht sich auch herum, dass wir Wolle abnehmen und immer mehr Bauen, vor allem junge, bringen uns ihre Wolle. Für viele ist Wolle ja immer noch ein Abfallprodukt, da braucht es noch mehr Sensibilisierung. Es ließen sich noch einige Tonnen retten, auch daran arbeiten wir.spinnradl_10+11 (c) susanne bartaFotos: (1, 4, 5, 7, 8, 9) © Benjamin Pfitscher für Spinnradl; (6) © Spinnradl; (2) © Violeta Nevenova; (3, 4, 10, 11) © Susanne Barta.

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