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February 1, 2023
Greenwashing muss aufhören
Susanne Barta
Die nachhaltigen Claims vieler Brands werden immer dreister. Das beobachte ich jedenfalls. Den meisten Unternehmen wird zunehmend klar, dass Bürger*innen – wir sind ja nicht nur Konsument*innen – heute mehr Wert darauf legen, wie Produkte hergestellt werden, als vielleicht noch vor einigen Jahren. Und das sowohl in ökologischer als auch in sozialer Hinsicht. Nachhaltigkeit ist in aller Munde. Geschützt ist der Begriff aber nicht. Und so behauptet halt jeder was anderes. Was grundsätzlich kein Problem sein müsste, wenn das, was versprochen wird, auch den Tatsachen entspricht. Leider ist das aber sehr oft nicht so.
Einmal abgesehen davon, dass es keinen Königsweg zu Nachhaltigkeit gibt, das Thema sehr komplex, Perfektion sowieso nicht realistisch ist, macht es dennoch einen großen Unterschied, ob Unternehmen ernsthaft bemüht sind und bereits einen Weg Richtung besserer Produktion und zukunftstaugliches Geschäftsmodell (Stichwort Slow Fashion) eingeschlagen haben, der nachvollziehbar und transparent kommuniziert wird, oder ob mal schnell eine nachhaltige Kollektion zusammengestellt oder vollmundig behauptet, was man nicht alles unternimmt und unterstützt, dabei Business as usual weiterläuft und bei genauer Draufsicht der Großteil der Nachhaltigkeitsaktivitäten Augenauswischerei ist. Das war jetzt ein einziger Satz.Da launcht die chinesische Ultra Fast Fashion Brand Shein zum Beispiel mit viel Getöse ihre erste nachhaltige Kollektion EvoluSHEIN. Wie bitte? Shein? Shein ist ein „Real-Time-Modeunternehmen“, das heißt Mode wird beinahe in Echtzeit produziert. Laufend werden dafür Trends in den Socials verfolgt, analysiert und umgesetzt. Und schon innerhalb weniger Tage können die Produkte erworben werden. „Durch dieses Prinzip werden am Tag bis zu 6.239 neue Kleidungsstücke hochgeladen. Das Trendbewusstsein und die operative Effizienz zahlen sich aus: Im Jahr 2020 hat das Unternehmen schätzungsweise 10 Milliarden US-Dollar umgesetzt und gehört weltweit zu den Top 3 der beliebtesten Onlineshops für Mode“, schreibt die Plattform Endlich grün. Mehr über Shein auch bei good on you. Und so gibt es viele weitere Bespiele, von H&M bis zu Luxusmarken.
Wirklich erschüttert hat mich zum Thema Greenwashing vor kurzem ein Artikel in der ZEIT, wo die Herstellung des Adidas-T-Shirts für die Fußball-WM in Quatar genau recherchiert und beschrieben wurde. Es sollte nicht irgendein Shirt sein, sondern ein besonders nachhaltiges. Hergestellt aus recyceltem Ozeanplastik, in Zusammenarbeit mit der Plattform Parley for the Oceans. Lauthals wurde das auch kommuniziert. Für den Artikel sprachen die Autoren der ZEIT mit Dutzenden Experten und Insidern, recherchierten vor Ort auf den Malediven, in Taiwan und den Philippinen. Nicht nur dass der Verdacht der Kinderarbeit im Raum steht, auch stimmt an der „nachhaltigen“ Geschichte, die Adidas im Zusammenhang mit seinem WM-Shirt und seinen recycelten Plastikmüll-Programmen erzählt, offensichtlich kaum was. Adidas geriet vor kurzem nochmals in die Schlagzeilen, im Rahmen der Berlin Fashion Week. Begonnen hat es mit einer gefakten Pressemeldung von Aktivisten der Yes Men und der Clean Clothes Campaign, wo kommuniziert wurde, dass der deutsche Sportbekleidungsriese anscheinend einen ehemaligen kambodschanischen Textilarbeiter und Gewerkschaftsführer zum Co-CEO ernannt hat, der die Bemühungen um ethische Herstellungspraktiken überwachen soll. Die Presseerklärung wurde von einer gefälschten Adidas-E-Mail-Adresse geschickt und war Teil einer Aktion, zu der auch eine ziemlich verstörende Modenschau im Stil von „Derelicte“ gehörte. Mehrere Modezeitschriften und -blogs fielen auf den Trick herein und berichteten darüber. Ziel des Ganzen war es, Adidas mit Rechtsverletzungen in seiner Lieferkette zu konfrontieren. Immer öfter greifen Aktivist*innen zu aufsehenerregenden Aktionen – vom Suppenwerfen bis zum Anhalten des Verkehrs –, wohl dem wachsenden Gefühl von Frustration geschuldet und der Angst vor Untätigkeit bei immer dringlicheren Themen wie Klima und sozialer Gerechtigkeit.Der Ruf nach Richtlinien und Gesetzen, die einen Rahmen bieten, was behauptet werden darf und was nicht, dem Greenwashing-Marketing also Grenzen zu setzen, wird immer lauter. Im Rahmen des Green Deals der EU sollen neue Richtlinien auf den Weg gebracht werden, die u. a. das Anbringen eines Nachhaltigkeitssiegels, das nicht auf einem Zertifizierungssystem beruht oder nicht von staatlichen Stellen festgesetzt wurde, verboten wird. Und allgemeine Umweltaussagen, wie beispielsweise „umweltfreundlich“ „ökologisch“ oder „grün“, sollen ohne vorherige anerkannte und entsprechende Umweltleistung nicht mehr benutzt werden dürfen.
Die Branchenplattform BoF schreibt: „Das Thema ist komplex, aber auf den Punkt gebracht ist die Anleitung letztlich einfach: Solange Marken ihre Behauptungen belegen können und sie in einer für den Durchschnittsverbraucher verständlichen Weise präsentieren, sollten sie keine Probleme haben.“
Für das neue Jahr habe ich mir ein Professional Abo für Business of Fashion, kurz BoF, geleistet. Lange habe ich überlegt, mal ein kurzes Probier-Abo abgeschlossen und weiter überlegt. Es kostet einiges, aber ich bin überaus zufrieden. Da gibt’s so viele Insights, sehr gut recherchierte Artikel, Analysen, Daten, spannende Interviews, unaufgeregte Berichterstattung. Nicht einfach zu finden sonst in der Fashion Welt, wo die maximale Übertreibung (sowohl die positive wie auch die negative) die konventionellen und aber auch einige nachhaltige Berichterstattung dominiert.Es gibt bei BoF auch einen Fokus auf Sustainablity. Und da lese ich in Bezug auf das Thema Marketing und Greenwashing: „Die niederländischen und norwegischen Aufsichtsbehörden haben neue Leitlinien veröffentlicht, die einen Vorgeschmack auf umfassendere Regulierungsmaßnahmen der Europäischen Union geben. Die Leitlinien stellen zwar keinen formellen Rechtsrahmen dar, sind aber ein guter Rat für die gesamte Branche.“ Auch eine Anleitung gibt’s dazu:
Datenlücken schließen
Die Erstellung hochwertiger Datensätze ist eine große Herausforderung, zumal die Auswirkungen eines Materials je nach Ort und Art seiner Herstellung sehr unterschiedlich sein können. Wo es keine Daten gibt oder Unstimmigkeiten über ihre Qualität oder Gültigkeit bestehen, muss die Branche in ihre Verbesserung investieren.
Ergebnisse prüfen
Vertrauenswürdige und glaubwürdige Behauptungen können nicht einfach auf Aussagen der Industrie beruhen. Die Daten und die ihnen zugrunde liegende Methodik sollten von einer unabhängigen dritten Partei überprüft werden, wobei die Bewertung regelmäßig wiederholt werden sollte, um sicherzustellen, dass die Informationen aktuell und relevant bleiben.
Behauptungen kontextualisieren
Nachhaltigkeit ist ein komplexes Thema, das eine Vielzahl von ökologischen und sozialen Aspekten umfasst. Die Messung all dieser Aspekte ist eine ständige Herausforderung, und Marken sollten bei jedem Marketing darauf achten, dass genau klar ist, was gemessen wird, und dass etwaige Lücken auch kommuniziert werden.
In der Praxis bedeutet das, dass viele Marken die Art und Weise, wie sie ihr Nachhaltigkeitsmarketing formulieren und in die Welt hinaustragen, neu überdenken müssen. Und das wird höchste Zeit. Hier einige Lesetipps und Hintergründe zum Thema:
Über die Vorwürfe gegenüber der Sustainable Apparel Coalition ein Artikel im Guardian
Hier ein interessanter Artikel auf Fashionista über Greenwashing bei Influencer*innen.
Wie meist, sehr informativ, die Plattform Good on you
Und hier noch der Artikel auf BoF, mit einem Probe-Abo könnt ihr den lesen.
Fotos: (1, 6,7) © Susanne Barta; © (2, 3) Shein; (4, 5) © Adidas; © (8) StockLib/Jirsak
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