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August 29, 2022
Veronika Thurin oder Die unerträgliche Vielseitigkeit der Keramik
Elisa Barison
An einem bis dahin unscheinbaren und aushaltbar heißen Augustmontag besuche ich Veronika Thurin in ihrem Atelier in Bozen. Über die Via Amalfi und die Via Capri erreiche ich schlussendlich die Via Ischia, wo Veronika tagtäglich in die unendlichen Möglichkeiten der Keramik eintaucht. Ganz schön passend, finde ich, für eine Keramikkünstlerin, sich in unmittelbarer Nähe dieser Straßennamen zu situieren. Wer weiß, ob mich im Atelier Arbeiten erwarten, die an jene Allgegenwärtigen in jedem Eck des Golfs von Neapel erinnern? Das Atelier befindet sich im ersten Untergeschoss. Sofort ist die Hitze kein Thema mehr und Veronika und ich können den Wetter-Smalltalk skippen, um gleich zum Eingemachten zu kommen. Spoiler alert: Es gibt nichts, was Veronika in ihrem Atelier nicht schon ausprobiert hätte oder in Zukunft nicht noch ausprobieren wird. „Es ist hier etwas staubig“, warnt sie gleich zu Anfang. Natürlich ist es das! Immerhin schleift, spritzt, formt, pinselt und mischt die Künstlerin von früh bis spät in dieser Werkstatt, die ich an dieser Stelle kurz als Labor definieren muss. Der Staub kommt nicht etwa von langen Schaffenspausen und Untätigkeit, nein. Es ist wohl Gesteinsstaub der verschiedensten Materialien und Stoffe, welche Veronika in der Werkstatt lagert, um daraus Farben und Glasuren für ihre Objekte herzustellen. Zurzeit versucht sie den perfekten Rot-Ton für einen Auftrag zu finden und dabei zeigt sie mir lauter Farbproben von vergangenen Serien und Experimenten. Veronika Thurin freut sich über ihren Arbeitsalltag und erklärt mir stolz und im Detail, wie derartige Mischungsversuche und Farbfindungsprozesse von statten gehen. Ich droppe den Begriff Alchimistin und sie erzählt mir von der Geschichte des europäischen Porzellans. Um 1700 behauptete der Apothekergeselle Johann Friedrich Böttger, er könne Gold herstellen. Nach heutiger Sicht, war er wahrscheinlich nur ein besonders gewiefter Hochstapler, aber das berühmte Meissener Porzellan entstand seinetwegen, da ihn der Kurfürst von Sachsen auf nette Art und Weise eingesperrt hatte, um Gold zu erhalten. Was dann (auf Umwegen) herauskam war „weißes Gold“. Veronika Thurin ist ihm sehr dankbar dafür.
Anfangs war ihr nicht so klar, dass sie eine besondere Vorliebe für Porzellan entwickeln würde. „Es gibt so viele verschiedene Ton-Arten auf der Welt, unendlich viele. Dabei lernen die meisten Menschen, zum Beispiel als Kinder in der Schule, nur eine oder zwei davon kennen“, erklärt Veronika. „Es ist ein langer Weg, um seinen eigenen Stil zu finden.“ Reisen, Versuche, Inspiration von Innen und Außen. Ganz wichtig sind auch die Hürden, die sich einem auf dem Schaffensweg immer wieder präsentieren, meint die Künstlerin. Diese Hürden oder Zweifel along the way hat Veronika immer wieder hinter sich gebracht, indem sie stets am Ball geblieben ist und niemals aufgegeben hat.„Da cosa nasce cosa“, zitiert sie passenderweise Bruno Munari, um ihren bisherigen Weg als Keramikerin und eigentlich all ihre Objekte und ihre Entstehung zu erklären. Als Veronika in den 90er Jahren nach ihren Studien im Ausland nach Südtirol zurückkehrt, widmet sie sich vorerst der Produktion von Kacheln für Öfen. Damals war genau das gefragt und, um etwas zu verdienen, passt sie sich dem Markt hierzulande an. Im Jahr 2000 tastet sich die Künstlerin dann zum ersten Mal ganz scheu ans Porzellan heran und geht damit relativ schnell eine langjährige und treue Beziehung ein. Von 2002 bis 2020 arbeitet Thurin fast ausschließlich mit Porzellan. Sie entwickelt damit zwar diverse Formen, Muster und Serien – indem sie sich unterschiedlicher, ausgeklügelter Techniken bedient – das Farbspektrum bleibt jedoch während dieser ganzen Zeit dasselbe: vergeistigtes, zeitloses, zartes Weiß. Dabei ist Thurin gar kein Feind der Farben, sondern ein großer Fan davon. Ebenso vom Malen und Zeichnen. Wahrscheinlich findet die Farbe deshalb so langsam wieder ihren Weg in den Alltag der Künstlerin. Neben einer Serie, die sehr graphische Züge und Verzierungen mit Bleistiftstrichen hat, entwickelt sie auch eine Reihe von Wandbildern, für welche sie mit Computer generierte und gedruckte Bilder auf das weiße Porzellan druckt. „Wie eine Art Abziehbilder“, erklärt sie mir. 2020, vielleicht auch wegen der großen Nachfrage nach schönen, handgemachten Dingen während des Lockdowns und den Anfängen der Pandemie, entwickelt Thurin ein kunterbuntes Geschirr-Service. Es geht ihr um die Abwechslung und darum, nach dreißig Jahren Werkstatt und Arbeit einige, diverse Standbeine zu haben, die sie als Keramikerin einzigartig positionieren. Wir wechseln vom Atelier in eine Art Showroom und ich darf ein paar wirklich einzigartige Kunstwerke und Spielereien entdecken und bestaunen. Einiges davon entstand für Ausstellungen, wieder anderes folgt dem Schaffensdrang und den kreativen Fragen im Inneren der Künstlerin, denen sie zur Abwechslung zu Auftragsarbeiten stets versucht nachzugehen. Eine Serie beschäftigt sich mit der ewigen und liebsten Frage aller Bildhauer*innen: „Wofür steht ein Sockel?“ Eine andere wiederum entsteht durch den Druck auf den Ton mit diversen Teilen des Körpers: der Ferse, dem Ellbogen usw.
Ich frage Thurin, was sie von dem aktuellen Hype rund um die Keramik hält und auch ob es sie störe, dass nun alle machen wollen, womit sie seit Jahren ihr Leben verdient.
„Absolut nicht“, meint sie sofort. Sie kann total verstehen, dass der Zeitgeist die Menschen zur Keramik bewege und freut sich auch, dass Keramiker*innen dadurch einen neuen Stellenwert in der Gesellschaft und vor allem der Kunst erlangen. „Ich glaube, das hat mit der Digitalisierung von allem zu tun. Die Menschen sind total entfremdet und blicken die ganze Zeit nur auf einen Bildschirm. Sie haben nichts zwischen den Fingern und vielleicht bietet sich Keramik auch einfach besser an als zum Beispiel Glas, das irgendwie kühler wirkt. Ich glaube die Leute brauchen das einfach. Es hat etwas mit Leben zu tun. Mit den vier Elementen, so banal und abgegriffen diese auch sein mögen. Hier kommen Feuer, Erde und Wasser zusammen und mit so einem Stück Ton kann man einfach alles machen … Unsere Zeit ist so entzaubert, die Menschen suchen wieder nach Geheimnissen und Rätseln. Man fragt sich ja, wie wird aus so einem Klumpen Dreck ein derartig ästhetisches Objekt? Ich mache das jetzt schon dreißig Jahre und es fasziniert mich nach wie vor.“Thurin hat mit ihrer Arbeit auch immer wieder bei sozialen Projekten mitgemacht und für Institutionen gearbeitet. Egal, ob mit psychisch Kranken oder im Altersheim, wer sich gut auskennt und die Auswirkungen dieses Mediums auf diese Menschen kennt, kann damit sehr viel Gutes tun und sich selbst und den betroffenen Personen damit eine große Freude bereiten. Sie erklärt mir aber auch, dass hier mit Vorsicht zu agieren sei, vor allem im Umgang mit psychisch Kranken: „Wenn man eine Tonkugel in der Hand hält, wird man einfach auf sich selbst zurückgeworfen. Das löst so viele Emotionen aus, dass man aufpassen muss, was das bei gewissen Menschen freisetzen kann.“
Vielleicht ist es gerade diese permanente Erdung und Spiegelung, die Keramiker*innen zu solch friedlichen und bodenständigen Wesen macht. Veronika Thurin weiß die Tonkugel in ihrer Hand jedenfalls geschickt und kreativ zu formen. Immer wieder neu und doch stets mit Vorherigem verbunden. Da kriegt man gleich Lust auch „im Dreck zu wühlen“. Das Atelier in der Via Ischia ist auf jeden Fall einen Besuch wert.
Einige Arbeiten von Veronika Thurin können während der kommenden BAW Bolzano Art Weeks im Tonhaus in Bozen bewundert werden.
Fotos: (1, 6, 7) (c) Veronika Thurin; (2–5) (c) Elisa Barison.
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