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January 31, 2022

Vienna Calling? – Simon Iurino formt

Eva Rottensteiner

Sie malen, sie sprechen, sie schreiben, sie fotografieren, sie experimentieren, sie musizieren, sie künstlern. Fernab vom Brenner. Um in Wien zu Stadtkindern zu werden. Was sie dort treiben, wie sie leben, warum sie den Bergen, dem Aperol und den Äpfeln den Rücken gekehrt haben. „Vienna Calling?“ ist eine Porträtreihe über Südtiroler Kunst- und Kulturschaffende in Wien. Und weil die Kunst Assoziationen spinnt und verwebt, stellen wir unseren Gästen ausnahmsweise mal keine Fragen, sondern Wörter. Sie dürfen assoziieren und wir in ihre Köpfe eintauchen.  

Simon Iurino, *1986 in Bozen, macht Skulpturen und Rauminstallationen, oft an der Schnittstelle zu Architektur und mithilfe der Technik Cyanotypie. Seine Werke setzt der Künstler oft in den Kontext ihrer Produktionsbedingungen. Akademisch hat er mehrere Stationen hinter sich: ein Jahr Kunstgeschichte in Wien, dann ein Jahr „Object Sculpter“ in Urbino, ein weiteres an der Central Saint Martins in London und sechs Jahre Bildhauerei an der Akademie der Bildenden Künste in Wien. Iurino wurde für Residenzen nach Italien, Spanien, in die Türkei und Rumänien eingeladen. Zuletzt gewann der Deutschnofner den Bildrecht YOUNG ARTIST Award 2020 der PARALLEL VIENNA.Simon Iurino_not only...but also

SKULPTURBEGRIFF

Simon Iurino: Ich habe immer versucht, den Begriff der Skulptur weiterzudenken. Mit meinen raumgreifenden Installationen versuche ich das Verhältnis von Objekt, Skulptur, Architektur und Ausstellungsdisplay auszuloten und künstlerisch zu befragen. Mich interessieren vor allem die Schnittstellen, an denen sich die verschiedenen Kategorien begegnen und überlappen. Jeder nimmt räumliche Situationen unterschiedlich wahr. Deshalb versuche ich in meinen Interventionen eine leichte Verschiebung der gewohnten Verhältnisse zu bewirken. Der Betrachter soll durch seine physische Präsenz selbst die Installation aktivieren.Simon Iurino_archetext

STRATEGIEN

Simon Iurino: Ich versuche Strategien zu entwickeln, welche die oftmals prekären Rahmenbedingungen künstlerischen Schaffens in den institutionalisierten Ausstellungsraum mit einbringen. Sozusagen wird der Prozess der Herstellung eines Werkes bis zu dessen endgültiger Präsentation mitreflektiert. Mir gefällt die Vorstellung, dass die entstandenen Arbeiten den oftmals sehr prekären Ort ihrer Entstehung verlassen, um anschließend in schicken Museums- und Galerieräumen gezeigt zu werden. Dabei verfolge ich eine eher pragmatische Vorgehensweise. Zum Beispiel würde ich nicht eine politische Haltung zu einem Hauptthema in meiner Kunst machen, da dies meiner Meinung nach bereits in jeder Entscheidung oder Aktion impliziert ist. Mir geht es primär darum, Mechanismen der Produktionsbedingungen und Verarbeitungsprozesse zu zerlegen und zu analysieren, welche dann als grundlegende Parameter in den Gestaltungsprozess meiner Arbeiten mit einfließen. Sozusagen der Entstehungsprozess selbst.

MATERIAL

Simon Iurino: Die Materialien in meiner Praxis beziehen sich meistens auf das Medium und den historischen Kontext der Bedingungen, in denen sich ein Werk manifestiert.

Simon Iurino_out of the blue

CYANOTYPIE

Simon Iurino: Die Cyanotypie, auch als Blaupause bekannt, ist ein fotografisches Verfahren, welches in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hauptsächlich von Architekten verwendet wurde, um eine Reproduktion ihrer technischen Zeichnung zu erhalten. Es ist sozusagen eines der ersten Copy-Paste-Verfahren. Im Umgang ist es sehr „studiofreundich“, da es nicht zwingend eine Dunkelkammer zum Arbeiten benötigt. Der gesamte Prozess ist recht unkompliziert und macht es möglich, auch Arbeiten in größerem Maßstab zu produzieren. Die Belichtungszeit ist im Vergleich zur herkömmlichen Fotografie ziemlich lang, da es mit UV-Licht (Sonnenlicht) belichtet wird. Unterschiedliche Umweltfaktoren, wie die Intensität der UV-Strahlung und der Lauf der Sonne, sind ausschlaggebend für das Endresultat.Simon Iurino_ausstallung salzburg

AUSSTALLUNG

Simon Iurino: Die Arbeit „Ausstallung“ ist Teil einer umfangreichen Reihe von „architektonischen Cyanotypen“. Die Tatsache, dass diese Technik vor allem in der Architektur Verwendung fand, inspirierte mich dazu, Fotogramme von Teilen bestehender Architektur zu erstellen. Dafür habe ich eine mit Fotoemulsion beschichtete Leinwand über die gesamte Rückwand eines Stadels gespannt. Die Leinwand wurde mehrere Tage lang belichtet und war somit den unterschiedlichsten Umweltfaktoren ausgesetzt. Es manifestiert sich somit ein Fotogramm, welches die Architektur der Stadelwand in Originalgröße wiedergibt. Die entstandenen Linien, welche den negativen Raum zwischen den Holzlatten beschreiben, dokumentieren die Bewegung der Sonne während des Belichtungsprozesses. Es ist ein Versuch, die traditionelle Architektur in eine reduziert-moderne Formensprache zu übersetzen. Mein Anliegen war es auch, den Ort der künstlerischen Produktion, in diesem Fall den Stadel, in den Ausstellungsraum zu transferieren und somit die Rahmenbedingungen offenzulegen. Der Titel „o.T. (Ausstallung) “ setzt sich aus den beiden Wörtern „Stall “und„ Ausstellung “zusammen und soll die Arbeit um eine semantisch-verbale Ebene erweitern.

Fotos: (1) Alicia Pawelczac; (2) Georg Petermichl; (3)  Simon Iurino; (4) One Work Gallery Vienna; (5) Salzburger Kunstverein & Andrew Phelps

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