Music

February 8, 2021

Nostalgisch, aber kein Revival: Another Visions neue Single „Heartbeat“

Florian Rabatscher

Welcher Sound passt wohl zu dieser Zeit gerade am besten? Reine Party-Musik wäre schon mal ziemlich fehl am Platz und in etwa so, wie einem Hund auf einem Laufband einen Knochen vorzuhalten, den er aber nie erreichen wird. Dann vielleicht zutiefst triste Klänge? Nicht wirklich, es ist doch schon alles deprimierend genug. Was braucht es also? Vielleicht irgendetwas dazwischen? Wie wäre es mit melancholischen Synthesizer-Klängen, dazu einprägsame Drum-Rhythmen sowie feine unverzerrte Delay-Gitarren und diesen Hauch von düstererer Romantik? Klingt doch verdächtig nach Namen wie Depeche Mode, Alphaville, Bronski Beat, Ultravox, Soft Cell … Eine Liste, die man natürlich unendlich weiterführen könnte. Trotzdem haben diese Bands eines gemeinsam, nämlich den wohl authentischsten Sound der 80er geprägt zu haben. Ja, wenn der Smalltown Boy mit Tränen in seinen Augen tanzt, anschließend die Stille genießt, während er an Tainted Love denkt, gerät man auch heute noch ins Schwärmen und fühlt sich für immer jung.

Diese Sounds werden nie ganz von Gestern sein, doch hat man sie langsam zur Genüge rauf- und runtergehört und braucht deswegen unbedingt neuen Stoff. Den gibt es mittlerweile auch zur Genüge, aber nicht Vieles davon kommt an jenen einzigartigen Charakter heran. Wer an ein paar neuen Schmuckstücken in dieser Richtung interessiert ist, dem lege ich die letzten beiden Alben („Friends“ und „Five V2“) der Band White Lies zu Herzen. Außerdem sollte man unbedingt dem 2016 erschienenen Album „Harieschaim“ des deutschen Künstlers Drangsal einen Besuch abstatten, und der Ausnahmekünstler The Weeknd wird wahrscheinlich auch längst kein Geheimtipp mehr sein.

Einen brandheißen Tipp hätte ich jedoch noch, denn seit Längerem verfolge ich aufmerksam das Schaffen des Innsbrucker Duos Another Vision. Seit 2015 rücken sie wahrhaft dem angestaubten Synth-Pop mit dem musikalischen Putzwedel zu Leibe – mit ihrer gerade erst erschienen Single „Heartbeat“ haben die beiden Musiker Moritz Kristmann und Michael Schmücking es meiner Meinung nach geschafft, ihn wirklich wieder zum Glänzen zu bringen. Synthetisch, aber doch so echt, wie ein bombastisches Erdbeereis, das aber nie eine Frucht gesehen hat. Versteht ihr? Ok, komplett künstlich erzeugt sind ihre Klänge natürlich nicht, man hört auch reale Instrumente wie Gitarre, Bass und Drums. Aber dennoch, dieser Old-School-Synth-Sound und diese betörende Gesangslinie verwandeln das gute Stück jetzt schon klangmäßig in einen Klassiker. Mir ist es sowieso ein Rätsel, wie zwei Leute, die jenes Jahrzehnt nicht einmal als Spermium miterlebt haben, diesen unbeschreiblichen Sound so verinnerlichen und auf den Punkt bringen können. Entweder wurden sie damit ständig im Elternhaus beschallt oder der Buddhismus hat Recht und wir sehen hier die Reinkarnation zweier zu früh verstorbener Musiker dieser Ära. Dazu muss ich noch etwas meditieren, was wir bestimmt wissen, ist, dass auch die Aufnahme selbst ziemlich klasse klingt, weshalb dazu unweigerlich ein hochwertiges Musikvideo gehört. Genau das ist der Fall. Worum genau es darin geht, bleibt mir zwar ein Rätsel, die Bilder haben es aber in sich. Wer hätte gedacht, dass die Herren von Another Vision auch schauspielerisches Talent besitzen? Allein durch ihre Mimik und Gestik fesseln sie mich bis zur finalen oscarreifen Umarmung an den Bildschirm … obwohl ich immer noch keinen Schimmer habe, was da abgeht. Am Ende ist und bleibt ihr Sound dafür verantwortlich: wie die melancholische Filmmusik eines 80er Jahre Streifens. Kein Unterleger für einen Schwarzenegger-Action-Film, sondern eher etwas in Richtung Breakfast Club. Wer erinnert sich an diese letzte Szene, wo der Schulrebell John Bender zu „Don’t You (Forget About Me)“ mit erhobener Faust einfriert und der Abspann läuft? Was für Gefühle, genau die Art von Erlebnis, das man auch bei Another Vision irgendwie hat. Kein Werbe-Song, den man mit einem Produkt identifiziert, und somit auch die Band, welche man ab diesem Punkt auch nicht mehr ernst nimmt. Nein, es ist dieses unbeschreibliche Gefühl, das man beim Sehen eines guten Films verspürt.Hyden_AV_2_online

Lasst euch aber vom ganzen 80er-Revival-Gequatsche nicht in die Irre führen, denn das ist es keinesfalls. Immer wenn der Sound von Musiker*innen an alte Musikrichtungen erinnert, spricht man gleich von einer neuen Welle, einem Comeback oder davon, wie angesagt diese Musik wieder ist. – Aus meiner Sicht völlig falsch. Außer es handelt sich um ein neues Album einer längst aufgelösten Band aus jener Ära, die wieder etwas Kleingeld benötigt oder neuer Bands, die jedes schon dagewesene AC/DC-Riff ausschlachten.  Another Vision machen ihr eigenes Ding und folgen sicher keiner musikalischen Vorlage. Sie sind wie das Intro der Serie „Stranger Things“.: irgendwie nostalgisch, aber trotzdem neu. Als ob man seinen Lieblingsfilm aus der Kindheit, den man bereits hundert Mal angeschaut hat, wieder zum ersten Mal sehen würde. Und langsam sollte diese Pandemie wirklich ein Ende finden, denn mir fällt gerade auf, dass ich zurzeit viel zu viel Filme sehe. Jedenfalls freue ich mich schon riesig auf den von den beiden angekündigten Longplayer. Wenn man beobachtet, wieviel Arbeit sie in ihr Projekt stecken, bin ich mir ziemlich sicher, es wird eines dieser raren No-Skip-Alben. Aber bis dahin höre ich einfach „Heartbeat“ in Dauerschleife. 

Fotos: Gabriel Hyden

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