Music

July 7, 2020

Homegrown Cyberreggae: Frische Klänge von Wicked and Bonny

Florian Rabatscher

Aus Vinschgau vernimmt man positiv vibrierende Klänge. Es knallt wieder aus diesen monströsen Boxentürmen, die aussehen wie ein dröhnender Inka-Tempel und sich Soundsystem nennen. Wer mit diesem Begriff nichts anfangen kann, hier eine kurze Erklärung: Wenn man den Sound aus diesen Türmen hört, fühlt es sich in etwa so an, als ob deine Gedärme wie in einem Cocktailshaker durchgeschüttelt werden würden. Nebenbei bemerkt: ein unglaubliches Gefühl. Eine Massage von innen nach außen sozusagen, aber nicht allein wegen der bebenden Bässe. Ein Soundsystem ist nicht nur eine mobile Diskothek, sondern eine Kultur für sich. Unsere lokalen Vertreter dieser Bewegung nennen sich Wicked and Bonny und haben ihr Hauptquartier in Schlanders. Wenn diese Herren auftreten, dann steht die Tanzfläche in Feuer. Ihre Art von Tonkunst zeigt uns, dass Musik wirklich keine Grenzen kennt. Der Geist vom Reggae ist allgegenwärtig, zeigt sich bei ihnen aber von seiner vielfältigen und rauen Seite. Mit 80’s Digital Roots, Electro Dub, Techno oder Dancehall ist eigentlich alles vertreten, was eure Hüften in Schwung bringt. Um euch nicht noch mehr zu verwirren, nennen wir es doch einfach Cyberreggae. In den letzten Jahren waren Wicked and Bonny ziemlich aktiv damit und trieben unzählige Auftrittsorte in den Ausnahmezustand. Energien wurden freigesetzt, sodass der Schweiß von der Decke zu tropfen schien. Aber nicht nur im Publikum, mit Berise am Mikrofon steht auch die Bühne selbst in Flammen. Dieser Mann rackert sich dort derart den Arsch ab, dass man meinen könnte, einem Marathonsportler zuzusehen. Kein Scherz, da treibt es einem schon beim Zuschauen den Schweiß aus jeder erdenklichen Pore. Wickedandbonny2

Berise ist vielleicht mehreren als Frontmann des Reggae-Orchesters Shanti Powa bekannt, das man eher als seinen ruhigeren Sound bezeichnen könnte. Was hingegen bei Wicked and Bonny aus den Boxen prescht, ist dermaßen kraftvoll, dass es leicht mit einem ganzen Orchester mithalten kann. Und genau diese Stimmung kann man sich jetzt auch nach Hause holen. Denn erst kürzlich wurden acht Tracks auf ein Album gebannt. Das Teil nennt sich „Daily Hustle“ und hört sich bombastisch an. Meine Nachbarn schlafen übrigens schon seit zwei Tagen nicht mehr, weil ich unentwegt zu diesen Beats in den Boden stampfen muss. Was für ein Fest. Ich muss, glaube ich, nicht erwähnen, dass man diesen Sound laut hören sollte, um den vollen Umfang zu genießen. Wer aber keine tüchtige Anlage zuhause besitzt, sollte sich einfach ins nächste Dorf begeben und den örtlichen Golf-GTI-Pro fragen, ob man es kurz über seine 5.000-Watt-Bassmachine im Kofferraum hören dürfte … Jedenfalls: „Daily Hustle“ ist eine Hammerscheibe und mein absoluter Liebling darauf ist der äußerst dunkle Dancehall-Track „Soundboy Gone“. Um euch aber nicht länger mit meinen Ansichten dazu zu nerven, haben wir uns mit dem geheimnisvollen Mann hinter den Reglern unterhalten. Erteilen wir das Wort Markus „Maggu“ Mair …

„Daily Hustle“ also … Ist hier der Name Programm?

Oh ja, es war schon eine Heidenarbeit, dann kam die Quarantäne und wir hatten endlich einmal Zeit, dieses Album fertigzustellen. 

Sind die Songs also schon lange in Arbeit?

Ja, sie entstanden Großteils auf unserer Tour 2019, wo wir mit Berise in ganz Europa unterwegs waren. In dieser Zeit testeten wir auch, wie die Tunes live ankommen, um sie dann im Studio aufzunehmen. Fünf Lieder mit Berise, zwei experimentelle Techno-Dub-Tracks (die beiden letzten) und auch zwei Kollaborationen mit jamaikanischen Künstlern … 

Wie kam es zu diesen Zusammenarbeiten?

Für den Song „Ticken“ haben wir einen Stimmtrack bekommen. Der jamaikanische Reggae-Artist Kazam Davis war in Europa auf Tour, wo dann Freunde von uns aus Innsbruck die Stimme aufgenommen und uns geschickt haben. Daraus machten wir einen Remix und, weil dieser Track live immer so gut ankam, mussten wir ihn aufs Album packen. Auch der letzte Track „Babylon Crash“ ist ähnlich spontan entstanden: Mexican Stepper, der bekannteste Dub-Künstler aus Mexiko, war bei mir im Studio, weil wir ihn zu einem Festival ins Vinschgau einluden. Nach ein paar nebligen Inspirationen machten wir gemeinsam diesen Tune. Die Stimme da drauf ist eine weitere Künstlerin aus Jamaika, Isha Bel, von der wir ein paar Samples rausnahmen, und so entstand der Track. 

Und Berise ist doch langsam ein fester Bestandteil der Gruppe? 

Ja, er gehörte schon von Anfang an zur Family. Er war oft bei uns im Studio, wo wir dann sogenannte Dubplates aufnahmen …

Dubplates?

Ein Dubplate ist etwas Exklusives, das nur wir besitzen – bis zum Tag der Veröffentlichung ist es also ein exklusiver Track. Unsere gesamte Live-Show besteht mehr oder weniger aus solchen Tracks. Genau deswegen kommen die Leute auf unsere Shows, weil sie diese unveröffentlichten Songs hören wollen. So in etwa funktioniert das Reggae-Business. Du spielst die Tunes und promotest sie so bei den Leuten. Sie wissen, dass es unveröffentlichtes Material ist, und fangen an nach diesen Tunes zu fragen. Wenn man dann merkt, die Leute wollen den Track unbedingt, dann lässt du ihn raus. 

Und das funktioniert bei uns hier?

Ja, immer mehr sogar. Anfangs mussten wir es den Leuten erst beibringen und brachten ihnen die jamaikanische Soundsystem-Culture näher. Vor allem mit Botheration Hi-Fi, auch um das eigene Soundsystem zu promoten. Was wir machen, ist ein Mix aus Reggae und elektronischer Musik, der sich für die Live-Bühne eignet. Wir sind imstande große Live-Bühnen zu füllen und zu bespielen, auch wenn wir nur so ein komisches Live-Dj-Set sind [lacht]. Es geht einfach um Energien, die freigesetzt werden. Wir sind ja fast jeden Tag im Studio und produzieren diese Energien, mit dem Ziel, die Leute zum Tanzen zu bringen. Und wenn man genau hinhört, ist es auch noch eine ziemlich punkige Attitude: Fuck the System usw. Und weil wir gerade beim Thema sind, darf ich mich kurz aufregen?

Natürlich …

Durch diese Krise wurde uns nämlich bewusst, dass Kultur total links liegen gelassen wird. Die Musiker hierzulande werden einfach mit leeren Versprechungen von Almosen abgespeist. Musikerkollegen aus anderen europäischen Ländern erzählten uns, dass es bei ihnen besser läuft und Hilfsgelder schneller fließen. Aber hier in Südtirol haben wir keine Basis als professionelle Musiker. Man sieht in dieser Zeit verstärkt, dass die Politik ständig Versprechungen macht, aber nicht imstande ist, diese einzuhalten. Wir kämpfen ja ständig dafür, dass Musiker eine gewisse Wertschätzung bekommen, aber in dieser Hinsicht sieht es zurzeit sehr schwach aus, und es betrifft auch die Hobbymusiker und alle anderen kulturellen Sparten. Es kann doch nicht sein, dass die da oben in ihrem Sessel sitzen und fett Kohle machen, während Leute im Kulturbereich komplett vergessen werden. Wir haben zurzeit auch eine GoFundMe Spendenaktion am Laufen, die ziemlich gut läuft. Es freut mich wirklich zu sehen, dass die Leute es wenigstens zu schätzen wissen. Man sieht einfach, dass gerade Leute aus der Privatwirtschaft herhalten müssen, um die Kultur zu finanzieren. In solchen Zeiten erkennt man Ungerechtigkeiten Schwarz auf Weiß …

Auch eure Musik stand ja auch schon immer für solche Sachen, oder nicht?

Genau, systemkritisches Denken, nie aufgeben, ans Bessere glauben und für die Rechte der Leute kämpfen. Hört euch doch einfach die Texte an und fühlt es. Vor allem in den Songs „Fight For The Better“, „Moving Forward“ oder „General Strike“. Die Geschichte zu Letzteren war, dass wir in Frankreich tourten und nicht mehr nach Hause fahren konnten. Durch einen Streik wurden alle Züge gestrichen und wir hingen für ein paar Tage in Paris fest. Da haben wir einmal mitgekriegt, wie Franzosen streiken: Die ganze Stadt lag in Flammen und der Streik dauerte drei Monate an. Diesen revolutionären Spirit zu erleben war unglaublich. Wir lernten dort einen Reggae-Artist namens Daman kennen, der stark im politischen Movement involviert ist und uns auf die Demonstrationen mitnahm. Einen Tag vorher schrieben wir diesen Song zusammen und er landete auf dem Album.

Dann sollte man diesen revolutionären Spirit auch bei uns hier mehr einbringen?

Es ist schwierig hier in Südtirol, die Leute gehen einfach wenig auf die Straße. Keine Ahnung, woran das liegen könnte … vielleicht geht es uns zu gut. Deswegen Respekt an die ganzen „Friday For Future“-Leute, das waren eigentlich die größten Demos, die ich bis jetzt in Bozen gesehen habe. 

Solche Themen sind euch schon wichtig in der Musik? Also nicht nur reiner Party-Sound …

Es ist eine Mischung aus beidem. Wicked and Bonny steht für: Protest in a joyful Style. Zum einen, um die Leute zum Tanzen zu bringen, und zum anderen ist es mit kritischen Texten unterlegt. Es geht meistens darum, Sachen zu kritisieren, die falsch auf dieser Welt laufen. Wir sind irgendwie eine politische Gruppe, aber nicht links- oder rechtsradikal. Wir sympathisieren einfach mit allen Leuten, die für eine bessere Welt kämpfen, nicht alles so hinnehmen und dem ganzen Brainwash der Medien hinterherrennen. Aber in einem positiven Kontext natürlich, denn es bringt ja auch nichts, alles nur negativ zu sehen.

Wie kommt man eigentlich in Vinschgau mit dieser Soundsystem-Kultur in Berührung?

Gute Frage … Für mich war es kompletter Zufall. Nach der Matura war ich auf einer Reise in Neuseeland, ging dort in irgendeine Bar und stand plötzlich vor einer riesigen Boxenwand. Reggae hat mir immer schon gefallen und, als ich dort zufällig den Soundcheck hörte, war ich hin und weg. Mungo’s Hi Fi war gerade auf Tour dort, die eines der größten europäischen Soundsystems sind. Es war ein einschneidendes Erlebnis für mich, weil ich sah, wieviel Kraft so ein Soundsystem hat. Man erlebt den Sound durch diese ganzen Bässe komplett anders. Da verstand ich auch, wie viele verschiedene Richtungen es von Reggae gibt, denn die meisten kennen einfach nur Bob Marley. Aber als der Reggae nach Europa kam und die Rastas sich mit den Skinheads und den Punks vereinten, entstand daraus ein Riesen-Movement. Als meine Crew und ich zurückkamen, dachten wir uns, so etwas wollen wir in Vinschgau jetzt auch machen. Die Geburt des ersten Soundsystems in Südtirol, mit dem Vorbild der jamaikanischen Kultur, aber trotzdem auf unsere Art und Weise. 

Genau, auf eure Art und Weise. Man kann schon sagen, dass ihr einen sehr eigenen Style gegenüber dem Standard-Dub habt …

Das hat viel mit unserer Vergangenheit zu tun, denn auch in der Dub-Szene sind wir für unseren etwas anderen Style bekannt. Vielleicht weil in unseren jungen Jahren die Punk- und Ska-Szene aufblühte. Später war ich auch noch in der Free Party oder Free Tekno Szene unterwegs und durch diese ganzen Einflüsse im Kopf entstand dann der „Wicked and Bonny“-Sound. Unser Sound ist relativ eigen, könnte man sagen. Die Einflüsse sind auf jeden Fall Reggae, elektronische Musik und Punk. 

Ein paar letzte Worte?

Danke an alle Leute da draußen, die uns konstant unterstützen, auf unsere Feten kommen und uns auf jegliche Art supporten. 

Fotos: Wicked and Bonny

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