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October 29, 2019
Peter Wächtler: im Tempel der Pfad durch „Up the Heavies“
Maria Oberrauch
Am Eröffnungstag der Ausstellung stehe ich in der Fondazione Antonio dalle Nogare und treffe den Künstler Peter Wächtler. Seine Arbeit wird bis Mai 2020 unter dem Titel Up the Heavies die untere Etage der Fondazione bespielen, es ist Wächtlers erste Einzelausstellung in Italien und ich gestehe: Ich musste seinen Namen in Vorbereitung auf das Interview ganz der Suchmaschine überlassen. Und dann habe ich gelesen und geschaut und gehört und versucht, eine Linie zu finden, ein Zentrum, aber leicht fiel es mir nicht.
Diverse Artikel unterlegen seiner Arbeit Eigenschaften wie brutale Ehrlichkeit. Selbstkritischen und nihilistischen Schwermut. Melancholie, aber mit einem Gespür für die durchschlagende Wirkung des Absurden. Es stehen da Worte wie klischeehaft tragikomisch und pseudoanalytisch. Ich sehe im Scrollen Figuratives und nicht, Haptisches und nicht, Atmendes und nicht. Es sind beschreibende Worte und erzählende und auch nicht. Manchmal tut es so, als würde es sich nicht wichtig nehmen und umgekehrt nimmt es sich nach außen hin furchtbar wichtig und macht Sarkasmus daraus. Aber was immer wieder durchklingt, ist ein Gefühl für das Menschliche in dieser Zeit. Wie es hadert mit Geschichte, Zeitgeschehen, Politik, dem Menschsein darin und mit sich selbst. Wie es so tut, als wäre es sachlich distanziert und gleichzeitig drückt es den Finger in die Wunde. It works, it works with squirrels too. Very efficent (Text aus Heat up the Nickle, 2013).
Peter Wächtler begleitet mich durch den Raum. Eine Erfahrung.
Welchen Fokus hat diese Show und warum?
Ich bin kein Atelier-Künstler, vieles entsteht vom Schreibtisch aus. Meine Arbeit ist physisch gesehen also nicht besonders groß, und der Raum schon. Aus der Konfrontation mit der Größe und Höhe dieses Raums, entstand die Idee überproportionale Sockel zu platzieren und mit anderen Elementen rudimentärer öffentlicher Architektur zu arbeiten. Wir stehen also hier im Eingang zur Ausstellung in einem Tempeleingang, steigen zwischen provisorischen Säulen hindurch und hinunter, wie in einem Indiana-Jones-Film. Als Künstler wurde für diese Show die sensible Fragestellung der zwiegespaltenen Geschichte Bozens an mich herangetragen. Es ist nicht so, dass ich diese Thematik prinzipiell als künstlerisch uninteressant finde, aber ich will nicht die Rolle übernehmen, von außen interne Themen zu bespiegeln oder kulturell aufzuwerten. Dennoch oder gerade deshalb entstehen gewisse Identitätsfragen, die man in den unterschiedlichen Skulpturen und ihren Wertigkeiten und Herangehensweisen findet.
Deine Arbeit ist prinzipiell von sehr unterschiedlichen künstlerischen Techniken geprägt …
Ja, es ist alles ein bisschen hysterisch. Die unterschiedlichen Formate werden auch immer wieder gegeneinander eingesetzt. In diesem Fall war es mein Anliegen, ein bühnenartiges Szenario zu entwickeln, das aber ohne eine tatsächliche Narration auszukommen hat, welche alles zusammenhält. Es gibt keinen kulturellen Konflikt in der Präsentation.
Du legst ihn nur oberflächlich an?
Es gibt offensichtlich, fast schon generisch eingesetzte Ruinenfragmente, wie sie die ganze Landschaft der Region prägen. Es gibt Kitsch-Installationen, billig ausgeführte Stahlgedrähte, wie sie in einer Airbnb-Wohnung zu finden wären. Es gibt Figuren aus Bronze, die an ausgestopfte Tiere, versehen mit bäuerlichen Attributen, erinnern. Sie sind Deplatzierte im eigenen Kostüm, comichaft verzerrte Figuren wie Popeye oder Odysseus, Heimkehrer, die sich in eine Situation wieder einfinden müssen, Reisende in einem Zwischenstatus, in einem Balanceakt zwischen Gewicht und Bewegung …
Dafür, dass du nicht „interne Themen bespiegeln oder kulturell aufwerten“ willst, machst du das aber sehr gut …
Oh, das erfinde ich gerade alles (lacht). Aber dazu müsste ich diesen Bären und auch den Wolf noch in den Kontext ihrer Rückkehr in den Westen setzen, den Bezug zu Kulturfolgen und territorialen Verschiebungen herleiten …
So weit gehst du nicht.
Darum geht es mir nicht. Man erwartet schon einen emanzipierten Beobachter, deshalb sind die Verbindungen auch fein tradiert, sie können jederzeit wieder wegfallen. In diesem Fall geht es mir in erster Linie um eine Art Würdehaltung. Den Balanceakt, in einem Kostüm zu bestehen und unter der Entfremdung nicht verloren zu gehen, kurz vor dem Cartoon abzubiegen in etwas Kreatürliches und auch Empathisches.
Gerne hätte ich den Künstler im Nachhinein noch gefragt, ob auch er hier ein Bär im Kostüm ist. Ein wenig kam es mir so vor, als fühlte er sich fehl am Platz und als wäre sein Balanceakt, aus dem, wohin er wollte, und dem, was wir im Südtiroler Identitätsnarzissmus von ihm erwarten, schwer wie Bronze.
Die fotografischen Arbeiten platzierst du in der Mitte des Raumes an vier weißen Kuben.
Die Entscheidung dahin ist raumbedingt gefallen. Dieser Ausstellungsraum stoppt einen erst einmal, da er doch recht imposant und fast quadratisch ist. Die Kuben definieren den Raum neu und auch das Distanz- und Näheverhältnis, mit welchem die Arbeiten betrachtet werden. In den Zwischenräumen der Kuben ist dieser Abstand ja schon fast kleinlich und mit der Materialwahl der Raumelemente grenze ich den Bereich noch ein wenig mehr von der restlichen Ausstellung in den oberen Geschossen ab und von dem repräsentativen, noblen Charakter, den hier Gebäude und Kunst irgendwo durchgängig haben. Die Fotografien selbst sind Handabzüge einer Hasselblad, die Qualität ist schon besonders, vor allem sind sie aber sentimental extrem aufgeladen.
Das ist vermutlich schon das Wort Hasselblad …
Ja, einmal das. Ich erinnere mich an die Fotopapier-Kartone im Labor der Schule … im Deckel gab es Abzüge von alten Eisenbahnen, Ruinen und Feldsteinmauern, welche die verschiedenen Grautöne zeigten. Die Bilder waren einerseits Anreiz dafür, was alles machbar ist, zugleich haben sie mich abgestoßen in ihrem sentimentalen Totsein und Vintage-Wollen. Genau das ist auch meine ambivalente Haltung gegenüber Ruinen. Wen repräsentieren sie denn? Es sind aristokratische, verschrobene Überbleibsel und man leitet sich kulturell davon ab, obwohl der Großteil der Bevölkerung nicht an dieser Art zu leben beteiligt war. Warum sollten Ruinen die Identität eines Landes widerspiegeln? Im Gegensatz zum extrem tiefen Schwarz der Fotografie stehen die stumpfen Aquarelle, im Vergleich zu den Ruinen haben sie eine sehr verletzliche Stilistik. Die Figur darin, in ihrer kleinen, für sich geschlossenen Welt, in ihrer Schrulligkeit, hat etwas Fremdes und ist zugleich bedroht in ihrem Nischendasein.
Daneben stehen noch drei Kräne aus Stahl. Sie haben etwas Modellhaftes in ihrer Proportion und sind doch fest verschweißt in ihren Verbindungen. Die Perspektive verschiebt sich wieder, wir schauen von oben auf das Kleine, normalerweise ist es ja umgekehrt und die Umgestaltung von Raum und Lebensraum wird über unseren Köpfen erbracht.
Aktuell läuft auch eine Einzelausstellung in der Kunsthalle Zürich. Wie unterscheidet sich die Konzeption? Wo liegt der Fokus?
Dort habe ich mit einem riesigen Mobile gearbeitet und einem Vampirfilm, der auch hier gezeigt wird. Meine Filme sind nicht digital, sondern im 80er-Jahre Stil produziert, also „handgemacht“. Ich kann sie selbst gestalten und zeichnen und modellieren.
Und betexten. Textliche Elemente spielen in deiner Arbeit oft auch eine größere Rolle, in diesem Raum bleiben sie außen vor. Was kann Sprache, was das Bildnerische nicht kann?
Ja, das stimmt. Der Vampirfilm ist stark textlastig, ansonsten war Text hier vielleicht überflüssig. Text kann sehr viel, er kann vor allem auch eine Sache oder Stimmung komplett drehen und ich arbeite prinzipiell gern damit. Vielleicht wollte ich die Leute aber dieses Mal einfach nicht zulabern.
Dann bedanke ich mich hiermit fürs Zulabern.
Ich bring dir noch ein Buch! (Jolly Rogers, Peter Wächtler, 2019)
Fotos: Jürgen Eheim (1–5), Tiberio Sorvillo (6, 7)
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