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September 16, 2019
Die schwarze Seele der Menschheit: Marko Dinićs „Die guten Tage“
Florian Rabatscher
Am 20.09.2019 wird in Laas im Vinschgau wieder der Franz-Tumler-Literaturpreis verliehen. Aus diesem Anlass riskierten unsere Redaktionsmitglieder auch einen genauen Blick in jeweils einen der nominierten Debütromane. Meine Wahl fiel auf ein Buch, das sich im Nachhinein als eine verdammt vortreffliche Entscheidung herausstellte. Sagen wir es so: Dieses Buch haut wirklich rein, wie eine Faust in deine Fresse. Habe ich da gerade puren Rock’n’Roll gelesen? Ja, richtig gehört … gelesen. Aber jetzt mal ehrlich: Nach dieser wilden Lektüre kommt es einem wirklich so vor, als hätte man eher ein Konzeptalbum von Led Zeppelin durchgehört und nicht ein Buch gelesen. Es ist rotzig und zugleich intelligent, lässt dich träumen und weckt dir gleichzeitig deinen Arsch auf. Eine geschriebene Wildheit, die nicht gerade üblich für Schriftsteller aus dem deutschen Raum ist. Anstatt mit lauten Instrumenten, lässt es der Debütroman von Marko Dinić literarisch krachen.
Sein Werk nennt sich „Die guten Tage“ und erzählt von einer verlorenen Generation, vom Aufwachsen in der serbischen Hauptstadt Belgrad, vom Leben in der Diaspora und von der ständigen Suche nach irgendeiner Identität des Balkans. Diese gehasste Heimat des Protagonisten, von der er sich aber nie wirklich lossagen kann, obwohl er ihr schon seit zehn Jahren den Rücken gekehrt hat. Als dann seine Großmutter, die einzige Person, die ihm wichtig ist, stirbt, muss er für ihre Beerdigung wieder zurück und reist mit einem Zug voller fluchender und saufender Landgenossen. Da schießen die scharfen Gedanken des namenlosen Erzählers dann los. Mein Gott, was für eine Flut der Abneigung gegen seine Mitbürger aus dem Balkan. Vom schweinsgesichtigen Politiker bis zu seinem Vater, den er stets noch mit liebenswürdigen Beinamen wie „Drecksack, Schwein, devoter Hund, Mistsau, falsches Stachelschwein, Schinder, Lügner, Verbrecher, Aas, orthodoxer Patriot, feiges Arschloch!“ betitelt. Die meisten Wutausbrüche des Erzählers kanalisieren sich, neben dem Wetter und eigentlich fast allem in Serbien, auf seinen Erzeuger. Diese raue Geschichte ist prall gefüllt mit starken Gefühlen, sie erzählt von Liebe, Hass, Tod, Schmerz und Auflehnung – das ganze Paket eben, das man sogar während des Lesens wahrlich am eigenen Leib spürt. Das liegt auch an der detailreichen Erzählweise von Marko Dinić, die aber nie unnötig in die Länge gezogen wird, wie bei einem Stephen King zum Beispiel. Oh nein, diese Geschichte nimmt wie der Zug in ihr, ständig Fahrt auf und bremst erst beim letzten Buchstaben. Ein so bildgewaltiges Werk, dass man fast den fauligen, von Sliwowitz durchtränkten Mundgeruch der Passagiere selbst riechen kann. Man erkennt plötzlich auch wieder, wie abartig der Mensch doch sein kann. Es ist kein Phantasie-Roman, auch wenn die Geschichte an sich wahrscheinlich erfunden ist, die dunklen Hintergründe dieses Landes entsprechen leider der Realität. Im Buch geht dies der Autor von zwei Seiten an, zum einen in den Kapiteln im Zug, wo der Hauptcharakter eher als Analyst in Erscheinung tritt, und zum anderen über alte Erinnerungen. Diese sind besonders stark in Szene gesetzt, ganz subtil führt uns der Erzähler in die Welt der Traumata, die der Krieg und die Verbrechen in diesem Land bei seinen Leuten hinterlassen haben.
Das ganze Buch wirkt wie ein komischer Traum, aus dem man völlig desillusioniert und schweißgebadet aufwacht, in den man aber trotzdem wieder zurück will. Von der Geschichte selbst will ich nicht mehr verraten, taucht doch selbst in diese völlig absurde Welt ein, die sich Realität nennt. Die guten Tage also? Naja, der Titel lässt euch lange im Dunkeln tappen und ihr werdet erst am Schluss mehr erfahren …
Wenn dieses Buch nicht den Nerv der Zeit trifft, na dann weiß ich auch nicht mehr … Ach, was rede ich, Nerv der Zeit? Hat sich irgend etwas verändert? Inmitten dieser ausgeklügelten Geschichte und ihrer ganzen poetischen Fluch-Arien steckt nicht nur der wahre Geist des Balkans, sondern auch der gesamten Menschheit. Den guten alten Satz „Sowas könnte heutzutage nicht mehr passieren“ hat man wahrscheinlich auch schon vor den Jugoslawienkriegen gehört. Warum also folgen wir immer noch blind diesen Arschgesichtern von Hasspredigern? Anscheinend gehört das zu unserer verdammten Natur. Was früher Hitler und Milošević waren, sind heute Trump und Salvini. Die Namen haben sich vielleicht geändert, doch ihre Scheißpropaganda bleibt dieselbe. Die ach so moderne Zivilisation hat wahrlich nichts dazugelernt und es deswegen nicht anders verdient, als sich gegenseitig auszurotten. Ja, genau und mir soll’s Recht sein. „Die guten Tage“ ist mehr als nur irgendeine Geschichte, es ist zudem ein äußerst unterhaltsamer Einblick in den schwarzen Abgrund der menschlichen Seele, aus dem wir uns nicht befreien können. Wie passend, dass der Roman für den Franz-Tumler-Literaturpreis nominiert ist, dessen Namensgeber auch einmal von einer der abartigsten Ideologien der Geschichte geblendet war. Das nenn ich Ironie.
Fotos: (1) franzmagazine; (2) Leonhard Pill, Zsolnay
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