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February 6, 2019
Carmen Tartarotti mit „Kribus-Krabus-Domine“ auf der 69. Berlinale
Kunigunde Weissenegger
„Jedes Jahr im Februar ist Berlin renommiertes Schaufenster und Kontaktbörse der internationalen Filmbranche – und zugleich das größte Publikumsfestival der Welt. Mehr als 20.000 akkreditierte Fachbesucher und Medienvertreter aus dem In- und Ausland treffen sich anlässlich der Filmfestspiele in der deutschen Hauptstadt.“ Von 7. bis 17. Februar ist es zum 69. Mal soweit. Als Festivalgast mit dabei ist die Filmemacherin Carmen Tartarotti, gebürtig aus Latsch, mit ihrem Erstlingswerk „Kribus-Krabus-Domine“: „Es ist unglaublich und wundersam, dass mein bescheidenes, kleines Alpendrama mit Eltern, Nichte und im Südtiroler Dialekt, nach 37 Jahren eine Aufführung bei der Berlinale erfährt. Das habe ich der Auswahlkommission, aber auch der umsichtigen Archivarbeit von Michael Schurig im Deutschen Filmmuseum Wiesbaden zu verdanken, der all meine Werke – auch die mit Südtirol-Bezug – wertgeschätzt und dafür Sorge getragen hat, dass sie erhalten bleiben“, kommentiert Carmen Tartarotti die Einladung durch Festivaldirektor Dieter Kosslick, dessen letzte Berlinale es nach 18 Jahren sein wird.
„Selbstbestimmt. Perspektiven von Filmemacherinnen” heißt die filmhistorische Retrospektive, in deren Zentrum deutsche Filmemacherinnen stehen, die in ihren Werken die Lebenswelten von Frauen in der DDR und der Bundesrepublik zwischen 1968 und 1999 festhalten. Gezeigt werden 26 Spiel- und Dokumentarfilme sowie rund 20 kurze und mittellange Filme aus der DDR, der Bundesrepublik und dem wiedervereinten Deutschland. Es sei vielleicht eine Koinzidenz, aber 1968 war in beiden Teilen Deutschlands so etwas wie der Startschuss dafür, dass Frauen eigene Themen behandeln und sich auf die Suche nach einer eigenen Filmsprache begeben konnten, vermeldet die Auswahlkommission der Retrospektive.
Mit ihrem experimentellen Erstlingsfilm von 1981, 16 mm, 15 Min., befindet sich Carmen Tartarotti in einer illustren Runde von Frauenfilmerinnen: Angela Schanelec, Claudia von Alemann, Helke Sanders, Jeanine Meerapfel, Iris Gusner, Helke Misselwitz, Evelyn Schmidt, Ula Stöckl, Katja von Garnier, Margarethe von Trotta und viele andere. „Ich bin zwar keine 68erin, aber dass ich mich auf die Suche nach einer eigenen Filmsprache begeben habe, trifft auch auf meinem Kurzfilm zu. Die Grundstimmung des Films sehe ich bereits im Titel ‚Kribus-Krabus-Domine‘ angelegt: Unter Kribus-Krabus versteht man im Südtiroler Dialekt ein Durcheinander, ein Drunter und Drüber, etwas nicht zu Bändigendes. Dem gegenüber steht „Domine – O Herr“, die Instanz für Macht, Kontrolle, das Patriarchat. In diesem assoziativen Zwischenbereich lebte und träumte das neunjährige Mädchen, das ich war und das im Film von meiner Nichte verkörpert wird.“
Claudia Honegger schreibt zum Film: „Die Zusammenfassung des Films erweckt zunächst Reminiszenzen an Johanna Spyris ‚Heidi‘: Ein etwa 9jähriges Mädchen verbringt regelmäßig den Sommer auf der Alm, zusammen mit der Mutter und den Kühen; auch der Vater kommt ab und an mal rauf. Doch beim Betrachten des Films stellt sich heraus, dass diese Bilder – aus der liebevollen Sicht der Entronnenen – nichts mit der hehren Bergwelt der Heimatromane, nichts mit den heutzutage geläufigen, alternativen Beschwörungen einer Landidylle gemein hat. Er zeigt die wirkliche, beinahe archaische Bedrohlichkeit der Natur, die das Kind trotz der väterlichen Versicherungen, wie herrlich es da oben doch sei, noch unmittelbar spürt und fürchtet. Allein, zwischen aufrechten Bäumen und Erwachsenen, die sich selbst als isoliertes Stück kraftvoller Natur begreifen, rettet es sich in stummen Trotz. Gegen die Kommunikationslosigkeit dieser Menschen und Tannen sind seine Ausbruchsphantasien gerichtet – die Briefe an die exotische Farah Diva etwa –, ebenso aussichtslose wie stereotype Versuche, der berglerischen Dumpfheit zu entrinnen. Nur manche Gegenstände sind auf seltsame, surreale Weise lebendig: die widerspenstigen Bratkartoffel, der matschige Teig, das Waschbrett oder der metallene Kessel, den die Mutter mit penetrant-monotonen Handbewegungen scheuert. Und nur einmal gerät wirklich etwas in Bewegung: als das kleine Mädchen im roten Röckchen hinterm Vater auf dem Motorrad ins Tal hinab fährt. Dieser Kurzfilm erinnert in einer kargen, ausdrucksstarken Bildersprache daran, dass Steine auch auf den Alpen nicht küssen, dass sie nicht per se tröstlicher sind als der Beton im Dickicht der Städte, dass in den Hymnen auf die hehre Bergwelt stets auch falsche Töne mitschwingen. Eine zeitlose Parabel über die Einsamkeit der kindlichen Seele also? Es wird dem wachen Zuschauer nicht schwer fallen, das aktuell Unzeitgemäße an diesem kleinen Alpendrama zu entdecken.“
Mit ihrem neuesten, ebenfalls autobiografisch geprägten Film knüpft Carmen Tartarotti an ihren Erstling an: „Es ist ein absoluter Zufall, dass ‚Kribus-Krabus-Domine‘ ausgerechnet jetzt für die Retrospektive der Berlinale ausgewählt wurde, wo ich vorhatte, Ausschnitte aus dem Film in mein neues, von der IDM Südtirol gefördertes Filmvorhaben mit dem Arbeitstitel ‚Lamento of the Seagulls‘, einzubauen. Somit erhalte ich die Gelegenheit, auf der Berlinale zu filmen und eine Brücke zu den Themen meines neuen Films zu schlagen – Themen, die mich bereits vor 37 Jahren beschäftigt haben: Patriarchat, Heimatverlust, Männer-und Frauenbilder, Wahlverwandtschaft, Selbsterkundung, Spiegelangebot, das Westliche und das Östliche. Die Geschichte handelt von einer Freundschaft, einer Wahlverwandtschaft, und wird in Berlin, Istanbul und der Bergwelt Südtirols spielen. Es wird ein Film sein, bei dem ich mich ganz auf mich selbst verlasse und dem selbstbestimmten Arbeiten, das ich mit meinem ersten Film begonnen habe, maximal treu bleiben werde. Der Titel der Berlinale-Retrospektive ‚Selbstbestimmt. Perspektiven von Filmemacherinnen‘ gefällt mir sehr und ich finde mich mit meiner Arbeit darin wieder: Somit schließt sich der Kreis.“
Die Filmpräsentation von „KRIBUS-KRABUS-DOMINE“ (BRD 1981) findet am 10.02.2019 um 17:00 H im CinemaxX 8 statt. Die Wiederholung ist am 11.02.2019 um 17:00 H im Zeughauskino. Der Kurzfilm wird zusammen mit „Das Glück meiner Schwester“ von Angela Schanelec aufgeführt, die ebenfalls anwesend sein wird.
Nach der Berlinale zeigt die Diagonale, das Festival des österreichischen Films in Graz, im Rahmen des historischen Specials „Über-Bilder: Projizierte Weiblichkeit(en)“, Mitte März Carmen Tartarottis Mayröcker-Porträt „Das Schreiben und das Schweigen“ (AT 2010). Ausgewählt hat ihn die Musikerin und Schauspielerin Anja Plaschg aka Soap&Skin: „Es ist die schönste Dokumentation über die geliebte Friederike Mayröcker.“ –– „Über das überraschende Plädoyer für die Poesie der Komponistin und Sängerin Anja Plaschg freuen wir, Friederike Mayröcker und Carmen Tartarotti, uns gleichermaßen.“
Carmen Tartarotti bei Dreharbeiten 1980 (c) Carmen Tartarotti
Filmstills aus „Kribus-Krabus-Domine“ (c) Carmen Tartarotti
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